Gesammelte Erzählungen von Anatole France. Anatole France
befand, aber von denen erfuhren sie, daß die Südarmee bei St. Paulair im Gefecht läge.
St. Paulair – St. Paulair – das lag in 40 Kilometer Entfernung in der Richtung von Montil.
Das Auto drehte um, und nun ging es zurück auf der Landstraße über Mirange, Trupféme, St. Porçain, Letaf, Villeneuve und St. André.
»Fahren Sie schneller,« befahl der junge Baron.
Und der Wagen flog an den Ortschaften vorüber in eine leuchtende Staubwolke, wie in eine Gloriole gehüllt, überfuhr Hühner und Schweine und traf 2 Kilometer vor St. Paulair auf die Vorposten der Südarmee, die La Saulaie, Mesville und Le Sourdais besetzt hielten. Hier erfuhren sie, daß die ganze Nordarmee auf dem jenseitigen Ufer der Ilette stand.
Jetzt nahmen sie die Richtung von Torcy-la Mirande, um den Fluß in der Höhe von Vieux Bac zu erreichen.
Als nach einstündiger Fahrt an dem klaren Abend schon weiße Nebel in den Wiesen lagerten, rief der junge Baron plötzlich:
»Verdammt noch mal! wir können nicht hinüber, die Brücke über die Ilette ist zerstört.«
»Was!« schrie der General, »die Brücke ist zerstört?«
»Nun ja, Herr General, in der Manöversprache ist die Brücke angeblich zerstört.«
Der General war kein Freund von schlechten Späßen.
»Sehr witzig, junger Mann,« sagte er verbissen.
Bei Vieux Bac fuhren sie mit Donnergetöse über die eiserne Brücke und gelangten auf die alte römische Heerstraße, die Torcy la Mirande mit dem Hauptort des Departements verbindet. Am Himmel leuchtete schon die Venus neben dem jungen Mond in silbernem Licht. Sie fuhren noch etwa 30 Kilometer, ohne auf die Truppen zu stoßen. Bei St. Evariste mußte eine schlimme Steigung überwunden werden. Der Wagen ächzte wie ein müdes Tier, aber er zog durch. Als es dann bergab ging, war der Weg so steinig, daß das Auto sich fast überschlug und in den Graben geriet. Aber dann war der Weg vorzüglich bis Mallemanche, wo sie in der Nacht während eines Alarms anlangten.
Der Himmel strahlte von Sternen, Trompeten erschallten, und Fackeln warfen ihre roten Feuergarben über die bläuliche Straße. Infanteristen stürzten aus allen Häusern, an deren Fenster sich die Einwohner drängten.
»Obgleich diese Operationen nur fingiert sind,« sagte Lacrisse, »ist dies alles doch sehr eindrucksvoll.«
Der General erfuhr, daß seine Brigade am linken Flügel der siegreichen Armee Villeneuve besetzt hielte und daß der Feind im vollsten Rückzuge begriffen sei.
Villeneuve liegt da, wo die Ilette und Claine zusammenfließen, ungefähr 20 Kilometer von Mallemanche entfernt.
»Nach Villeneuve!« sagte der General, »wir wissen nun doch endlich, woran wir sind, das ist schon viel wert.«
Die Straße von Villeneuve war versperrt mit Kanonen, Munitionswagen und Artilleristen, die in ihren großen Mänteln schliefen. Das Auto konnte daher nur langsam vorwärts kommen.
Eine Marketenderin rief aus ihrem, mit chinesischen Lampions erhellten Wagen zu ihnen hinüber und bot ihnen Kaffee und Likör an.
»Wir geben Ihnen keinen Korb,« sagte der General, »denn wir haben im Manöver viel Staub schlucken müssen.«
Man trank ein Gläschen und fuhr dann bis Villeneuve, das von Infanterie besetzt war.
»Wo ist denn meine Brigade,« fragte der General beunruhigt. Sie befragten die Offiziere, die ihnen begegneten, aber niemand hatte irgendwelche Nachricht von der Brigade Ducuir.
»Was, keine Nachricht? die Brigade ist nicht hier in Villeneuve? das ist doch unglaublich.«
Jetzt klang eine Frauenstimme wie ein Glockenzeichen durch die Nacht.
»Meine Herren!«
Sie hoben die Köpfe und erblickten die Posthalterin, die den Kopf ganz voller Lockenwickel zum Fenster hinaussah.
»Meine Herren! es gibt zwei Villeneuve. Dies hier ist Villeneuve an der Claine, vielleicht wollen die Herren nach Villeneuve la Bataille.«
»Ja, das wird es wohl sein.«
»Aber das ist noch weit,« sagte die Posthalterin. »Erst müssen Sie nach Montil fahren … wissen Sie, wo das liegt?«
»Allerdings« erwiderte der junge Baron mit ironischem Lächeln.
»Nun gut, von dort aus fahren Sie nach St. Michel, dann nehmen Sie die Heeresstraße und …«
»Meine Herren …«
Diesmal war es der Notar von Villeneuve an der Claine, der seinen Rat an den Mann bringen wollte.
»Ich sollte meinen, um nach Villeneuve la Bataille zu kommen, täten Sie am besten, wenn Sie durch den Wald von Tongues fahren würden, dann biegen Sie rechts ab …«
»Schon gut, den Wald von Tongues kenne ich, ich habe da des öfteren gejagt, danke mein Herr, danke Fräulein.«
»Bitte keine Ursache,« erwiderte die Posthalterin.
»Zu Ihren Diensten meine Herren,« dienerte der Notar.
»Wollen wir uns nicht erst im Wirtshaus einen Cocktail brauen lassen,« schlug der Baron vor.
»Ja, ich würde gern etwas essen,« sagte Lacrisse, »ich bin schachmatt.«
»Ein bißchen Courage, meine Herren,«ermunterte der General. »In Villeneuve la Bataille können wir uns erholen.«
Nun ging es wieder los. Vorüber an unzähligen Dörfern und Flecken raste der Wagen und warf seinen gespenstischen Lichtkegel vor sich her in die schweigende Einsamkeit der Wälder.
Sie sahen Hirsche, die eiligst vor ihnen die Flucht ergriffen, sahen die Lichter in den Hütten der Köhler – plötzlich – in einem Hohlweg fahren sie erschrocken zusammen bei einem fürchterlichen Explosionsgetöse – der Wagen schleudert und stößt gegen einen Baum.
»Herrgott, was ist los!« ruft der General.
Lacrisse liegt auf dem Moose und seufzt schwer.
Der junge Baron hantiert mit der Laterne und spricht mit düsterer Stimme:
»Ein Reifen ist geplatzt, aber was viel schlimmer ist, die Vorderachse ist verbogen.«
Der verkannte Patriot
(Emile)
Fräulein Bergeret schwieg und lächelte still vor sich hin, was sonst nicht ihre Gewohnheit war.
»Warum lachst du, Zoë?«
»Ach, ich dachte an Emil Vincent.«
»Was, Zoë, du denkst an diesen ausgezeichneten Menschen, den wir so lieb hatten und den wir beweinen, und du kannst lachen?«
»Ich lache, weil mir einfiel, wie er früher war, und alte Erinnerungen sind immer die stärksten. Du müßtest übrigens wissen, Lucien, daß nicht jedes Lachen freudiger Art ist, wie auch nicht alle Tränen schmerzlich zu sein brauchen. Muß ich altes Mädchen dir das erst sagen?«
»O nein, Zoë, ich weiß wohl, daß das Lachen der Effekt eines nervösen Reizes sein kann. Als Frau Custine von ihrem Gatten Abschied nahm, der von dem revolutionären Gerichtshof zum Tode verurteilt war, wurde sie im Gefängnis von einem konvulsivischen Lachen befallen beim Anblick eines Gefangenen, der an ihr vorüberging in Schlafrock und Nachtmütze mit gepudertem Gesicht, einen Leuchter in der Hand.«
»Das läßt sich nicht vergleichen,« sagte Zoë.
»Nein, erwiderte Herr Bergeret, aber ich weiß wohl, was mir selbst passierte,