Dr. Norden Staffel 2 – Arztroman. Patricia Vandenberg
als dass sie diesen Streit miterleben musste.
»Ach, und was, wenn ich hauptberuflich als Bedienung arbeiten würde?«, fauchte Tatjana zornig. »Dann wäre ich nicht gut genug für den feinen Arzt?«
»Das ist doch Blödsinn«, widersprach Danny halbherzig. Mit einem Schlag waren die Schmerzen und die schlechte Laune wieder da, und er starrte missmutig vor sich hin. »Bist du gekommen, um mir eine Szene zu machen? Falls du es vergessen haben solltest: Ich bin krank und habe im Augenblick andere Sorgen als ein Eifersuchtsdrama.«
»Ach ja, und welche denn?« Tatjana kannte sich selbst nicht wieder. Das war eigentlich nicht ihre Art. Doch im Augenblick konnte sie nicht anders. Dannys sanfte Stimme, mit der er zu Olivia gesprochen hatte, klang ihr noch im Ohr. Sie erinnerte sich noch an sein Lächeln, mit dem er die junge, attraktive Frau angesehen hatte, die noch dazu Ärztin werden wollte. Eine Leidenschaft, die sie, Tatjana, nicht teilte. Nie teilen würde.
»Komm schon, das interessiert dich doch nicht wirklich«, gab Danny trotzig zurück. Auch er hatte keine Lust mehr auf dieses Gespräch. Obwohl er wusste, dass diese Reaktion so falsch wie nur möglich war, sagte er: »Mir wär’s lieber, du würdest mich jetzt allein lassen. Die Visite kommt gleich.«
Bei diesen Worten erstarrte etwas in Tatjana. Das Lächeln, das sie sich auf die Lippen zwang, war kalt wie Eis.
»Oh, schon gut. Ich habe verstanden.« Damit machte sie auf dem Absatz kehrt und stürmte aus dem Zimmer, ohne sich noch einmal umzudrehen.
*
Als Chefin der renommierten Behnisch-Klinik hatte Jenny immer viel zu tun und hastete meist mit wehendem Kittel über einen der weitläufigen Klinikflure. An diesem Morgen hatte sie es besonders eilig.
»Guten Morgen, meine Damen und Herren«, begrüßte sie die Kollegen, die schon um den Besprechungstisch herumstanden und eifrig die Untersuchungsergebnisse diskutierten. Selbstverständlich war auch Daniel Norden unter ihnen. Seine Miene verriet nichts Gutes. »Was gibt es Neues im Fall Danny Norden?«, erkundigte sie sich gleich darauf.
»Die Infektion hat sich weiter ausgebreitet«, berichtete der Kollege Dr. Gerlach. »Die Beweglichkeit der Hand ist stark eingeschränkt.«
Jenny schickte Daniel einen mitfühlenden Blick.
»Haben wir ein neues Blutbild?«
»Das hat der Kollege schon heute Nacht angeordnet«, bestätigte Max Gerlach und reichte seiner Chefin die Unterlagen. Jenny Behnisch studierte sie eingehend.
»Die Entzündungsparameter sind weitergestiegen«, seufzte sie schließlich. »Mein Anfangsverdacht hat sich bestätigt. Die Infektion hat sich ausgedehnt.«
»Operation!« Dr. Norden wusste sofort, was das für seinen Sohn bedeutete. Jenny nickte und lächelte ihm aufmunternd zu. »Das ist die sicherste Möglichkeit, um die Sache in den Griff zu bekommen.«
Die Ärzte tauschten wissende Blicke.
»Wer sagt es ihm?«, erkundigte sich Dr. Gerlach in der ihm eigenen praktischen Art.
»Ich natürlich«, erklärte Daniel Norden sich sofort bereit, erhielt aber unerwarteten Widerspruch.
»Kommt überhaupt nicht infrage! Wir sind ein Team und werden auch als Team auftreten und unsere Entscheidung mitteilen«, erklärte Dr. Behnisch energisch und erhob sich auch sofort, um ihren Worten den entsprechenden Nachdruck zu verleihen. Sie verließ ihr Büro, und Daniel, Dr. Gerlach und die anderen Kollegen folgten ihr.
*
Jenny Behnischs Entscheidung sollte sich als sehr weise herausstellen. Nach dem Streit mit seiner Freundin war Danny Nordens Laune auf einen neuen Tiefpunkt gesunken. Abgesehen davon schmerzte die Wunde inzwischen fast unerträglich, und die Hitze, die sich in seinem Körper ausbreitete, war kein gutes Zeichen. All das wusste Danny natürlich, und er starrte die Ärzteschaft düster an.
»Was haben Sie vor?« Ihm schwante nichts Gutes, als die Kollegen sein Bett mit ernsten Gesichtern umringten.
Ganz besorgter Vater holte Daniel Norden tief Luft und trat einen Schritt vor, ehe Jenny ihn zurückhalten konnte.
»Es gibt leider keine guten Neuigkeiten.« In aller Kürze, aber so ausführlich wie nötig, erklärte er, wie der Beschluss der Ärzte zustande gekommen war. »Deshalb ist eine Operation unumgänglich«, schloss er seinen Bericht.
Während Daniels Erklärung hatte sich Jenny dezent im Hintergrund gehalten. Als sich Dannys Augen vor Schreck weiteten, trat sie an die andere Seite des Bettes.
»Jetzt mach nicht so ein Gesicht. Das ist wirklich keine große Sache«, versuchte sie, ihn etwas positiver zu stimmen. »Aufmachen, entlasten, spülen, säubern. Mehr wird nicht nötig sein. Das hast du alles selbst schon gemacht.«
Es war offensichtlich, dass Danny ihr nicht glaubte. Mit Leichenbittermiene lag er im Bett und sah sie forschend an.
»Glaubst du, dass meine Hand ernsthaft in Gefahr ist?«
Es entging ihm nicht, dass Jennys Blick schnell zu Daniel huschte.
»Ich denke nicht«, sagte sie dann.
»Es gibt keinen Grund, etwas zu dramatisieren«, tat auch Dr. Gerlach seine Meinung kund. »Und jetzt machen wir Sie für die OP fertig«, sprach er schließlich ein Machtwort.
*
Vom Krankenhaus fuhr Olivia direkt zurück ins Haus ihrer Mutter und machte sich an die Arbeit. Christines Zimmer hatte sie am Abend vorher schon inspiziert, hatte die Schachteln mit Briefen und Fotos unter dem Bett entdeckt, aber nicht den Mut gehabt, sie zu öffnen.
»Noch nicht«, hatte sie gemurmelt und einen sauberen Überwurf über die frisch bezogene Bettdecke gebreitet.
An diesem Morgen machte sie sich nun daran, das Erdgeschoss in Ordnung zu bringen. Sie sammelte den Müll ein und steckte ihn in große Tüten, die sie in der Abstellkammer gefunden hatte. Sie staubsaugte, wischte die Böden und füllte Eimer mit Wasser, um die Küchenschränke innen und außen abzuwaschen. Am späten Vormittag erwachte Paul endgültig von dem Lärm, den sie unweigerlich dabei machte. Im Bademantel kam er in die Küche und entdeckte Olivia, die kopfüber im Kühlschrank steckte.
»Du steckst im falschen Gerät«, murmelte er missmutig und griff an ihrem Kopf vorbei nach einer Packung Orangensaft. Am liebsten wäre er wieder allein gewesen.
»Was?« Erschrocken über diese unerwartete Störung richtete sie sich auf und starrte ihren Mitbewohner feindselig an.
»Wenn dein Selbstmordversuch erfolgreich sein soll, musst du den Kopf in den Backofen stecken.« Paul grinste spöttisch und sah dabei zu, wie sich der goldgelbe Saft mit dem Rest Rotwein mischte, den er in einer alten Flasche gefunden hatte.
»Dummerweise ist das hier kein Gasherd«, konterte Olivia schlagfertig. Die Hände in die schmalen Hüften gestützt, funkelte sie Paul wütend an. »Mal abgesehen davon gibst du ein reizendes Bild ab.«
»Ich wünsche dir auch einen wunderschönen guten Morgen«, grinste Paul unbeeindruckt und nahm einen tiefen Zug aus seinem Glas. »Gehe ich recht in der Annahme, dass du heute nicht zur Schule gehst?«, fragte er dann und setzte sich auf einen der beiden Stühle am Küchentisch.
»Nein, ich hab vor dem Abi aufgehört.«
Paul durchbohrte Olivia mit Blicken.
»Wenn deine Mutter das wüsste …« Unwillig schüttelte er den Kopf mit den kurz geschorenen Haaren, in denen silberne Fäden schimmerten. »Willst du damit also sagen, dass du nichts tust? Keine Schule, keine Arbeit, nichts?«
»Du doch offenbar auch nicht.« Olivia war wild entschlossen, sich nichts gefallen zu lassen. »Bekanntlich gesellt sich Gleich und Gleich ja gern.« Ihr angewiderter Blick ruhte auf dem Inhalt seines Glases. »Was trinkst du da überhaupt?«
»Orangensaft mit Rotwein. Frühstück für starke Männer.«
»Eher für Versager!«, schnaubte sie.