Asklepios. Charlotte Charonne

Asklepios - Charlotte Charonne


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nur Interesse für ihre Tochter. „Tschüss!“, rief sie nochmals, während das Taxi die Einfahrt runterrollte.

      „Tschüss, Mama!“ Emma kicherte. Ihr Händchen trudelte in der Luft.

      Sophie winkte so lange, bis sie ihre Tochter nicht mehr sehen konnte.

      „Und jetzt beginnt der Spaß!“ Maria blinzelte ihrer Enkelin zu. Womit fangen wir an?“

      „Plätzchen backen!“ Sie hüpfte an der Hand ihrer Oma über die Steinplatten ins Haus.

      „Wenn ich groß bin, werde ich Bäcker.“ Emma streute das Mehl großzügig auf die Arbeitsplatte und matschte genüsslich in dem Teig. „Dann kann ich den ganzen Tag backen.“

      „Das ist eine großartige Idee.“ Maria unterdrückte einen Lachanfall und verlor fast das Gleichgewicht auf dem Tritthocker. Sie wankte. Um Haaresbreite wäre sie ins Leere getreten. Sie balancierte den Körper­schwerpunkt aus und zog die durchsichtige Dose mit den Plätzchen­ausstechern aus dem oberen Schrankbereich. „Einhundert­ein Cookie Cutters“ las sie und beäugte die bunten Plastikausstecher. „Das sind aber viele!“

      „Ja, aber ich will nur die Tiere haben.“ Emma wischte sich einige Haarsträhnen aus der Stirn und verteilte dabei reichlich Mehl in ihrem Gesicht. „Für Mama und Papa – weil sie nicht mit uns in den Zoo gehen können.“

      „Dann werde ich sie mal aus ihrem Gehege befreien.“ Maria schraubte den Deckel ab und schüttete den Inhalt auf die Küchentheke, an der sich oft Freunde oder Familien­mitglieder versammelten und an einem Glas Wein oder Aperitif nippten, während Emmas Eltern in der Küche werkelten und dem Essen den letzten Schliff verliehen.

      Einige der Ausstecher schienen regelrecht zum Leben zu erwachen: Sie schlidderten über die Theke, fielen auf den Parkettboden und versuchten zu entkommen. Maria zuckelte auf die andere Seite der Theke und sammelte die Ausreißer ein. Anschließend verfrachtete sie Weihnachtsformen, Blumen und andere Motive zurück in die Box und baute die Ausbeute vor Emma auf. Zum Dank schenkte ihre Enkelin ihr ein breites Grinsen und gab die Aussicht auf ein noch lückenloses Milchgebiss preis.

      „Ich will kein Arzt werden so wie du und Mama und Papa.“ Emma bemühte sich, den Teig mit ihren Händen platt zu pressen, wobei sie die Zungenspitze zwischen die Lippen klemmte. „Ich mag kein Blut.“ Sie packte das Nudel­holz und bearbeitete den Teigklumpen.

      „Wir machen etwas Mehl an das Holz.“ Maria nahm ihr die Rolle ab und bestäubte sie mit dem weißen Pulver.

      „Einmal habe ich mich geschnitten. Es hat geblutet und wehgetan.“ Emma hob demonstrativ einen mit Teig und Mehl überzogenen Finger in die Höhe. „Warum magst du Blut, Oma?“

      „Oh, weißt du, eigentlich mag ich auch kein Blut sehen, aber mir gefällt es, Menschen zu helfen. Leider bluten viele von ihnen.“ Sie verstaute die Dose mit den restlichen Ausstechern wieder im Schrank.

      „Vielleicht werde ich aber auch Kindergärtnerin.“ Emma klopfte mit den Fäusten auf den Teig. Dann kann ich ganz viel spielen, oder Kaninchenzüchter.“

      „Kaninchenzüchter?“ Maria verkniff sich ein Lachen. „Das ist aber ein ungewöhnlicher Berufswunsch. Wie kommst du denn auf die Idee?“

      „Weil ich ein Kaninchen haben möchte, aber Papa will das nicht.“

      „Warum erlaubt er es nicht?“ Maria verfolgte die vergeblichen Bemühungen ihrer Enkeltochter, den Teig zu bezwingen. „Darf ich auch einmal rollen? Das habe ich schon so lange nicht mehr gemacht.“

      „Okay.“ Emma reichte ihr das Nudelholz. „Papa meint, die sind sehr empfindlich und machen Dreck, und ich bin zu klein, um mich allein darum zu kümmern. Und wenn ich in die Schule komme, will Mama ihren Dacharzt machen. Dann hat sie auch keine Zeit, den Stall sauber zu machen.“

      „Dacharzt?“ Maria grinste. „Ich dachte, wenn das Dach kaputt ist, kommt der Dachdecker. Meinst du möglicherweise einen Facharzt?“

      „Genau. Darf ich wieder rollen?“ Emma walzte über den glatten Teig und grunzte zufrieden. „Jetzt ist es gut. Du darfst auch ausstechen!“

      Sie füllten das Blech mit allerlei Zootieren und bugsierten es in den Ofen. Ein köstlicher Duft breitete sich in der Küche aus, während Emma die Ausstecher und allerlei Schüsseln in die Spülmaschine räumte und Maria die Küchenablage reinigte. Anschließend mischten sie Zuckerguss an und verliehen den Tieren einen kunterbunten Farbanstrich: Rote Löwen mit orangenen Mähnen tummelten sich friedlich neben grünen Giraffen mit pinken Flecken, Zebras mit farbenfrohen Streifen und anderen wilden Tieren. Beim Verzieren plapperte Emma fröhlich vor sich hin und füllte den Raum mit kindlichen Weisheiten und Gekicher.

      Als die Tiere endlich auf den Plätzchenplatten grasten und die Küche von Mehlstaub und Farbkleksen befreit war, linste Maria erstmals auf die Uhr. „Was?“ Ihre Augen weiteten sich. „Schon ein Uhr? Das hat mir so viel Spaß gemacht, dass ich glatt die Zeit vergessen habe. Was hältst du davon, wenn wir auf das Kochen verzichten und stattdessen sofort in den Zoo fahren? Auf dem Weg dorthin können wir bei meinem Lieblingsitaliener anhalten.“

      „McDonalds?“ Emma neigte ihren Schopf zur Seite und ließ es auf einen Versuch ankommen.

      „I-ta-li-e-ner!“ Maria betonte Silbe für Silbe, wobei ihre Augen größer und größer wurden.

      „Gibt es da Eis?“ Emma kniff die Lippen zusammen und zog die Mundwinkel hoch.

      „Aber hallo! Das beste Eis auf der ganzen Welt.“

      „Echt?“ Emma riss die Augen auf.

      „Wenn ich es sage! Also los!“

      „Liest du mir noch eine Geschichte vor?“ Emma kuschelte sich in ihr Bett, das mit Prinzessin Lillifee-Bettwäsche und zahlreichen Kuscheltieren ausstaffiert war. Über ihr schwebte ein Himmel aus rosa-grün gestreiftem Stoff.

      „Klar! Was möchtest du denn hören?“ Maria durch­forstete das Regal, in dem sich große und kleine, dicke und dünne Kinderbücher wie Wäschestücke auf einer Leine aneinanderdrückten. „Lauras Stern?“

      „Der kleine Rabe Socke!“ Emma quetschte ihren Lieblings­hasen Flopsi in die Ellenbeuge und fingerte an dem abgegriffenen Ohr.

      Maria verdrehte den Kopf, las die Titel auf den Buch­rücken und rupfte das gewünschte Buch heraus. Ihr Handy, das sie auf dem Nachttisch geparkt hatte, klingelte. Sie schaute auf das Display und zwinkerte Emma zu. „Unser Kontrollanruf – pünktlich wie die Maurer.“

      Emma gluckste.

      „Hallo, Sophie“, meldete sich Maria, „wie geht es euch?“

      „Richtig gut! Wir hatten einen wundervollen Tag. Und ihr?“ Sophie saß in der Tower Bar des Hotel Hafen Hamburg und genoss das Panorama auf den Hamburger Hafen.

      „Ebenfalls. Emma hat mich ordentlich auf Trab gehalten. Sie könnte glatt meinem Chefarzt Konkurrenz machen.“ Maria setzte sich auf die Bettkante und legte das Buch auf ihrem Schoß ab.

      „Kann ich Emma mal sprechen?“ Sophie beäugelte das leere Champagnerglas, mit dem sie zuvor mit Paul angestoßen hatte. Sie hatten ihre Rückkehr in das Hotel, in dem sie vor sieben Jahren ihr erstes gemeinsames Wochenende verbracht hatten, gebührend gefeiert.

      „Sie liegt neben mir. Ich gebe sie dir.“ Maria reichte das Telefon weiter.

      „Hallo, mein Schatz“, sagte Sophie, „hattest du einen schönen Tag?“ Sie entdeckte den Kellner, der sich ihrem Tisch mit der Rechnung näherte. Sein feierliches Mienenspiel passte zu der schwarzen Fliege, dem weißen Hemd und den auf Hochglanz polierten Lackschuhen.

      „Jaaaaa!“ Emma nickte. „Wir haben eine Überraschung für euch gebacken und Eis gegessen und waren im Zoo.“

      „Das hört sich richtig spannend an. Was denn für eine Überraschung?“ Sophies Gesicht leuchtete, angesteckt durch die Begeisterung, die in der Stimme ihrer Tochter hüpfte.

      „Das


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