Butler Parker Staffel 4 – Kriminalroman. Günter Dönges
Unterwegs zündete er sich eine Zigarette an.
Susan Dalby, wie die junge Frau sich am Telefon genannt hatte, dachte nur einen kurzen Augenblick an Flucht. Sie gab diesen Gedanken schnell wieder auf. Sie wußte, daß sie keine Chancen hatte. Es gab Dinge, die sich auch mit einer Flucht nicht erledigen ließen. Sie fragte sich nur, ob ihr Begleiter wußte, daß sie am Telefon ihre Adresse genannt hatte. Davon hing alles ab. Das war vielleicht die winzig kleine Chance, um noch einmal davonzukommen …
*
»Komische Geschichte«, sagte Mike Rander, als er den großen Wohnraum seiner Dachgartenwohnung betrat. Sein Butler Josuah Parker hatte bereits den Abendimbiß gerichtet. Der Tisch mit den Speisen stand vor dem Kamin, in dem wegen der Schwüle des Abends nur ein Miniaturfeuer glomm. Da Parker stets sehr auf Stil hielt, zündete er selbst im Hochsommer ein Kaminfeuer an. Seiner Ansicht nach gehörte es zu einem korrekten Supper in englischer Manier.
Am liebsten hätte er es noch gesehen, wenn Mike Rander sich dazu einen Smoking angezogen hätte, doch damit hatte er bei seinem jungen Herrn nicht landen können. Mike Rander war schließlich Amerikaner und kein englischer Landlord. Er liebte die saloppen Umgangsformen, die Parker insgeheim verabscheute.
»Das Steak, Sir«, meldete Parker und servierte das Fleischgericht. Er stutzte leicht, als Mike Rander weder nach Messer noch Gabel griff. Mike Rander starrte in das kleine Kaminfeuer und dachte nach.
»Entspricht irgend etwas nicht Ihren Wünschen, Sir?« erkundigte sich Parker. Hier zu Hause trug er schwarze Hose, tadellose Lackschuhe, eine gestreifte Weste und einen Eckkragen. Er war, auch äußerlich gesehen, ein Butler, wie er im Buche steht.
»Komische Geschichte«, wiederholte Rander versonnen. »Die Frau kam nicht mehr dazu, mir ihre Story zu erzählen. Ihr muß etwas dazwischen gekommen sein.«
»Ein neuer Fall, Sir, wenn mir diese bescheidene Frage gestattet ist?«
»Er hört auf, bevor er überhaupt begonnen hat, Parker.«
»Ich möchte keineswegs in den Geruch unziemlicher Neugierde kommen, Sir, aber Sie gestatten vielleicht, daß ich …«
»Eine gewisse Susan Dalby rief an. Sie schien in Schwierigkeiten zu stecken und redete von einem Verbrechen. Plötzlich schwieg sie und legte auf.«
»Erfreuliche Anhaltspunkte, Sir.«
»Für Sie vielleicht, Parker, nicht für mich. Ich denke nicht daran, mich in neue Abenteuer zu stürzen.«
»Es handelt sich, wie ich mir zu bemerken erlaube, um eine Frau«, antwortete der Butler, »um ein Wesen also, das sich durch Hilflosigkeit an sich auszeichnet.«
»Reden Sie meinetwegen mit Engelszungen, Parker. Ich bin Anwalt und kein FBI-Beamter.«
»Darf ich in aller Bescheidenheit fragen, Sir, ob Ihnen die Adresse der betreffenden Dame bekannt ist?«
»Ich glaube, sie sagte Belden Street 1236, Parker.«
Mike Rander beschäftigte sich ziemlich lustlos mit dem servierten Steak, während Parker den großen Raum verließ, um die nächsten Speisen hereinzutragen. Rander blickte nur kurz auf, als sein Butler mit einem großen silbernen Tablett erschien. Dann, mit einiger Verspätung, nahm er noch einmal den Kopf hoch.
»Was soll das?« fragte er scharf und deutete auf das aufgeschlagene Telefonbuch, das auf dem Tablett lag.
»Eine Miss Susan Dalby, Belden Street 1236, existiert tatsächlich«, meldete Parker höflich.
Rander seufzte und schob den Teller zurück. Parker schien den Wunsch seines jungen Herrn bereits erraten zu haben. Er lieferte den Telefonapparat nach und wählte die Nummer der Susan Dalby. Als das Freizeichen ertönte, reichte er Rander den Hörer.
Der Anwalt zog erstaunt die Augenbrauen hoch, als auf der Gegenseite abgehoben wurde.
»Spreche ich mit Miss Susan Dalby?« fragte er.
»Doch, ja …! Und wer sind Sie?«
Um ein Haar hätte Mike Rander seinen richtigen Namen genannt. Im letzten Augenblick wurde ihm aber bewußt, daß er die Frau damit gefährden konnte. Noch war die Lage viel zu unklar.
»Stew Allerton«, sage er ohne Zögern. »Wir sprachen ja schon über die neue Sitzgarnitur. Haben Sie sich die Sache überlegt? Mir könnten Ihnen bequeme Raten einräumen.«
»Nein, nein«, erwiderte die Frau nervös. »Ich …, ich will nicht mehr. Vielen Dank für den Anruf.«
Mike Rander hörte das Knacken in der Leitung, dann legte er langsam auf.
»Es war ihre Stimme«, meinte er zu Josuah Parker, der ihn aufmerksam ansah. »Sie hat sofort verstanden. Sie ist nicht allein in ihrer Wohnung, sonst hätte sie frei geredet, Parker.«
»Wie sind Ihre Wünsche?« fragte Parker höflich, »Schulter- oder nur Gürtelhalfter? Automatik oder Colt?«
»Die Auswahl überlasse ich Ihnen.« Rander lächelte. »Wie ich Sie kenne, Parker, werden Sie schon die richtigen Utensilien bereit haben …!«
*
Cliff Roberts öffnete den schmalen Spindschrank, in dem seine Zivilkleider hingen. Er hatte seinen Dienst als Elektromonteur für die Bell Company beendet. Der junge, zweiundzwanzigjährige Mann mit dem kurzen Bürstenhaarschnitt war im Außendienst beschäftigt. Er befaßte sich mit schadhaften Leitungen, Verteilern und Telefonapparaten.
An diesem Abend war er in bester Laune. Er frotzelte sich mit Männern seiner Schicht, die sich ebenfalls umzogen. Cliff streifte sich den Overall ab, schlüpfte in Hemd und Hose und griff nach seinem großkarierten Jackett. Er hatte es kaum in der Hand, als er stutzte, sich verstohlen umschaute und dann in die rechte Innentasche griff.
Er stieß einen leisen Fluch aus. Er griff ein zweites Mal in die Innentasche, wurde nervös und suchte danach alle übrigen Taschen ab. Er vermißte seinen kurzläufigen 38er. Er wußte genau, daß er ihn mit hierher in den Umkleideraum gebracht hatte. Die Waffe konnte sich unmöglich selbständig gemacht haben.
In schneller Reihenfolge suchte er die Fächer des Spinds ab. Die Waffe war und blieb verschwunden. Sie schien sich in Luft aufgelöst zu haben. Cliff Roberts sah sich das Schloß des schmalen Schranks genau an. Es war völlig intakt und zeigte keine Spuren eines gewaltsamen Öffnens.
Er war ratlos.
Wer wußte von der Waffe? Wer konnte sie ihm aus dem Spind gestohlen haben? Einer der Männer der Tagschicht? Ausgeschlossen. Es handelte sich in der Mehrzahl um bereits ältere Männer, die schon seit vielen Jahren für die Bell Company arbeiteten. Und die jüngeren Kollegen waren eigentlich auch in Ordnung. Wer zum Teufel hatte also die Waffe gestohlen?
Habe ich sie vielleicht zu Hause gelassen, fragte er sich. Ist ja eigentlich ausgeschlossen. Ich bin sicher, daß ich sie am Morgen bei mir hatte. Aber möglich ist schließlich alles. Ich werde zu Hause gründlich nachsuchen müssen.
Seine anfangs gute Laune war verflogen. Das Fehlen der Waffe lag ihm im Magen. Er war stolz auf diesen kurzläufigen Colt. Seitdem er ihn besaß, fühlte er sich stark und unbesiegbar. Er war ein anderer Mensch geworden.
»Was ist los?« wurde er von einem etwas älteren Mann angesprochen.
»Nichts, rein nichts«, gab Cliff schnell zurück.
»Nehmen wir drüben in Randys Kneipe einen Drink?«
»Heute nicht, Brett, ich bin verabredet.«
»Mann, du bist auf einmal so komisch. Ist wirklich nichts?«
»Nein, zum Teufel, was soll schon sein …!« Cliff feuerte die Tür des Spindes zu und ließ seinen Kollegen einfach stehen. Er verließ den Umkleideraum, stieg über die breite Betontreppe hinauf in die Halle und stempelte seine Arbeitskarte ab.
Ich hab’ sie bei mir gehabt, sagte er sich immer wieder. Ich hab’ sie in der Innentasche gehabt. Und sie ist mir gestohlen worden. Von irgendeinem raffinierten Burschen, der das