Ehstnische Märchen. Friedrich Reinhold Kreutzwald
und Auge gleich fest und sicher waren. Als Schnellfuß dies Alles erfahren hatte, ging er nicht gleich zum Könige, sondern suchte erst seine Brüder wieder auf, die ihn vor der Stadt erwarteten. Nachdem sich die Männer berathen hatten, fanden sie, daß sie zu Dreien diese Dinge wohl zu Stande bringen könnten, das Verdrießliche war nur, daß sie in den Augen des Königs als Einer erscheinen mußten, wenn sie den versprochenen Kampflohn erringen wollten. Die schlauen[17] Brüder beschnitten also ihre Bärte auf gleiche Weise, so daß keinem weder auf der Oberlippe noch unter dem Kinn die Haare dichter standen als dem andern; und da sie als Söhne einer Mutter und als Drillinge an Körperbildnug und Geberde wenig verschieden waren, so konnte ein fremdes Auge den Betrug nicht herausfinden. Sie ließen sich dann einen gar prächtigen fürstlichen Anzug machen, der aus Seide und dem kostbarsten Sammet bestand und mit Gold und blitzenden Edelsteinen verziert war, so daß Alles glänzte und schimmerte, wie der Sternenhimmel in einer klaren Winternacht. Ehe sie sich anschickten, die Probearbeiten zu unternehmen, gelobten sich die Brüder mit einem Eide, daß nur das Loos entscheiden solle, wer von ihnen des Königs Schwiegersohn werden sollte. Da nun die starken Brüder auf diese Weise allen künftigen Mißhelligkeiten vorgebeugt hatten, schmückten sie eines Tages Schnellfuß mit den prächtigen Kleidern und schickten ihn zum Könige, damit er die Rennthierkuh auf die Weide führe. Ging die Sache nach Wunsch, so war der erste große Stein hinweggewälzt, der bis jetzt alle dreier verhindert hatte, die Brautkammer zu betreten.
Schnellfuß trat so stolz vor den König hin, als wäre er ein geborener Königssohn, grüßte mit Anstand und bat um Erlaubniß, das Probestück am andern Morgen zu versuchen. Der König gab sie, fügte aber hinzu: »Gut wäre es, wenn ihr schlechtere Kleider anzöget, denn unsere Rennthierkuh läuft unbekümmert durch Sumpf und Moor, immer gerade aus, da könntet ihr die theuren Kleider verderben.« Schnellfuß erwiederte: »Wer eure Tochter freien will, was macht sich der aus Kleidern?« und ging dann zur Ruhe, um den andern Tag desto munterer zu sein. Des Königs Tochter, die heimlich durch eine Thürspalte nach dem stattlichen Manne gespäht hatte, sagte seufzend: »Wenn ich doch dem Rennthier Fußfesseln anlegen könnte, ich thäte es, um diesen Mann zum Gemahle zu erhalten.«
Als den andern Morgen die Sonne aufgegangen war, band Schnellfuß der Rennthierkuh einen Halfterstrang[18] um den Hals und nahm das andere Ende in die Faust, damit die Kuh sich nicht zu weit entfernen könnte. Als die Stallthür geöffnet wurde, schoß die Kuh wie der Wind davon, der Hirte aber lief den Halfter festhaltend neben ihr her, und blieb keinen Schritt zurück. Der König und die Zuschauer aus der Stadt erstaunten über die wunderbare Schnelligkeit des Mannes, denn bis hierzu hatte noch Keiner auch nur ein paar hundert Schritt weit neben der Kuh herlaufen können. Wiewohl Schnellfuß sobald keine Ermüdung zu fürchten hatte, so hielt er es doch für gerathen, die Kuh zu besteigen, sobald er den Leuten aus den Augen war. Er sprang auf den Rücken des Thieres, hielt sich am Halfter fest und ließ sich weiter tragen. Es war noch früh am Morgen, als die Rennthierkuh schon merkte, daß von diesem Hirten nicht loszukommen sei; sie hielt den Schritt an und rupfte das Gras vom Boden. Schnellfuß sprang ab und warf sich unter einen Busch, um auszuruhen, hielt aber den Halfter fest, damit die Kuh nicht davon liefe. Als die Sonne um Mittag brannte, legte sich auch die Kuh neben ihn in den Schatten und fing an wiederzukäuen. Nach Mittag versuchte das Thier noch einige Mal die Schnelligkeit seiner Beine, um dem Hirten zu entkommen, aber dieser war wie der Wind wieder auf dem Rücken der Kuh, so daß er seine Beine nicht anzustrengen brauchte. Sehr groß war das Erstaunen des Königs und der Leute, als sie bei Sonnenuntergang sahen, wie die störrige Rennthierkuh gleich dem frömmsten Lamme mit ihrem Hirten heim kehrte. Schnellfuß führte sie in den Stall, verschloß die Thür und speiste dann auf Einladung des Königs an dessen Tafel. Nach dem Abendessen verabschiedete er sich, indem er sagte, er wollte zeitig zur Ruhe gehen, um die Ermüdung des Tages los zu werden.
Allein er ging nicht zur Ruhe, sondern begab sich zu seinen Brüdern, die seiner im Walde harrten. Den anderen Tag sollte Flinkhand die prächtigen Kleider anziehen und zum Könige gehen, um das zweite Probestück auszuführen. Der König, welcher ihn für den Mann von gestern hielt, lobte seine Hirtenarbeit und wünschte ihm Glück zu seiner heutigen Aufgabe, nämlich am Abend die Pforte zu verschließen. Des Königs Tochter hatte wieder durch die Thürspalte nach dem stattlichen Manne gespäht und sagte seufzend: »Wenn ich könnte, ich schaffte die böse Hexe von der Pforte fort, damit diesem theuren Jünglinge kein Leid geschähe, den ich mir zum Gemahl wünsche.«
Flinkhand, der genau wußte, wie es sich mit dem Pfortenriegel verhielt, ging vom Könige gerades Wegs zum Schmied und ließ sich eine starke eiserne Hand machen. Als am Abend alle Welt im Schlosse zur Ruhe gegangen war, machte er Feuer an und ließ darin die Eisenhand rothglühend werden. Darauf stellte er eine Leiter gegen die Pforte, denn seine Körperlänge reichte nicht hinan. Von der Leiter aus legte er die glühende Eisenhand an den Riegel, und in demselben Augenblick hatte die Hexe, die darin steckte, zugepackt und die Hand ergriffen, welche sie für eine natürliche hielt. Als sie aber den brennenden Schmerz fühlte, fing sie so an zu brüllen, daß alle Wände bebten und viele Schläfer im Schloß durch den Lärm aufgeweckt wurden. Aber Flinkhand hatte in demselben Augenblick, wo die Eisenhand ihn selbst vor dem Griffe der Hexe geschützt hatte, den Riegel vorgeschoben, so daß die Pforte verschlossen war. Gleichwohl blieb er wach, bis der König am Morgen aufstand und die Sache selbst in Augenschein nahm. Die Pforte war noch verriegelt. Der König lobte die Geschicklichkeit des Jünglings, der schon zwei schwierige Arbeiten ausgeführt hatte und lud ihn zu Mittag zu Gaste. Flinkhand aß sich an des Königs Tafel satt und wußte sich auch angenehm zu unterhalten, bis er endlich um Erlaubniß bat, nach Hause zu gehen, und auszuruhen, da er die ganze vorige Nacht kein Auge zugethan, auch noch mancherlei Vorbereitungen für den kommenden Tag zu treffen habe. Er ging dann in den Wald, wo die Brüder ihn längst erwarteten und wissen wollten, wie das Probestück abgelaufen wäre. Da nun die starken Brüder sich einander nicht beneideten und keiner voraus wissen konnte, wen endlich das Glück treffen würde, Schwiegersohn des Königs zu werden, so freuten sie sich gemeinschaftlich des gelungenen Werkes.
Am folgenden Morgen wurde Scharfauge mit dem prächtigen königlichen Anzuge bekleidet und ausgeschickt, um das dritte Probestück auszuführen. Nicht minder stolz und anmuthig wie die beiden andern Brüder trat er vor den König, und bat um die Erlaubniß, das letzte Probestück zu unternehmen. Der König sagte: »Ich freue mich sehr, daß es euch möglich gewesen ist zwei Arbeiten zu vollbringen, welche bis auf den heutigen Tag noch Keiner ausführen konnte, so viel ihrer auch von allen Seiten zusammenströmten, um den Versuch zu machen. Dennoch fürchte ich, daß ihr die dritte Arbeit nicht zu Stande bringen werdet, denn das Ziel, welches ihr treffen müßt, steht sehr hoch und ist ein kleiner Körper.« Scharfauge erwiederte: »Wer euer Schwiegersohn werden will, der darf nichts für schwer achten, denn so großes Glück fällt Niemanden im Schlafe zu.« Darauf gab der König die Erlaubniß, am folgenden Morgen das Probestück zu unternehmen. Aber des Königs Tochter, welche wiederum durch die Thürspalte nach dem Jüngling gespäht hatte, seufzte mit Thränen in den Augen: »Könnte ich etwas für diesen Jüngling thun, daß er morgen zum dritten Male Sieger bliebe, ich gäbe Hab' und Gut dafür —um ihn zum Gemahl zu erhalten.«
War schon das erste und zweite Mal eine große Menge Volks von allen Seiten herbei gekommen, um die Wunderwerke zu sehen, so waren heute die Tausende gar nicht mehr zu zählen. Auf dem Gipfel eines Berges stand der Apfelträger, der in solcher Höhe nicht viel größer aussah als eine Krähe, und ihm sollte Scharfauge den Apfel vom Munde weg schießen, so daß der Pfeil ihn in der Mitte spaltete. Niemand hielt die Sache für möglich. Gleichwohl fürchtete der Mann oben, der den Apfel am Stiele im Munde zu halten hatte, der Schütze könnte doch vielleicht in's Ziel treffen, darum beschloß er in seinem mißgünstigen Sinne, dem Schützen die an sich schwere Aufgabe noch schwerer zu machen. Er faßte nicht, wie vorgeschrieben war, den Apfel mit den Zähnen am Stiele, sondern steckte den halben Apfel in den Mund und dachte: je kleiner ich den Gegenstand mache, auf den er zielen muß, desto weniger kann er sehen und treffen. Aber für Scharfauge war der halbe Apfel nicht minder deutlich als der ganze. Er zielte einige Augenblicke mit seinem durchdringenden Blicke, schnellte den Pfeil vom Bogen und o Wunder! der Apfel war mitten durchgespalten, so daß beide Hälften genau gleiche Größe hatten. Der neidische Apfelhüter hatte zugleich den