Ehstnische Märchen. Friedrich Reinhold Kreutzwald
ist der Tod als unaufhörliches Trauern. Er setzte sich zu Pferde und ritt den bekannten Weg zum Ufer des Flusses. Als er an die Brücke kam, hörte er den Gesang:
»Durch der Mutter Fluch beschworen
Muß ich hier im Schlummer liegen,
Muß das junge Kind verwelken,
In der Wellen Schoos hinsiechen.
Feucht und kalt das tiefe Bette
Decket jetzt die zarte Jungfrau.«
Der Königssohn legte seinem Pferde die Fußfessel an, damit es sich nicht zu weit von der Brücke entfernen könnte, warf die Kleider ab, schmierte den Körper über und über mit Schlamm, so daß nirgends ein weißer Fleck blieb, faßte sich dann an die Nasenspitze und sprang in's Wasser mit dem Rufe: »Aus dem Mann ein Krebs!« Einen Augenblick zischte das Wasser auf, dann war Alles wieder still wie zuvor.
Das in einen Krebs verwandelte Männlein begann die Wurzeln der Teichrose aus dem Flußbette loszumachen, brauchte aber viel Zeit dazu. Die Würzelchen saßen im Schlamm und Schilf fest, so daß der Krebs sieben Tage schwere Arbeit hatte, bis die Sache von Statten ging. Als die Arbeit beendigt war, hakte das Krebsmännlein seine Scheeren in ein Zweiglein der Wurzel ein, und das Wasser hob ihn sammt dem Blümchen auf die Oberfläche des Flusses. Die schaukelnden Wellen trieben Krebs und Teichrose nur allmählich vorwärts, und wiewohl Bäume und Sträuche genug am Ufer sichtbar wurden, so kam doch immer die Eberesche mit dem großen Stein nicht zum Vorschein. Endlich sah er links am Ufer den Baum mit seinem Laube und den rothen Beerenbüscheln, und etwas weiterhin stand auch der Fels, der die Höhe einer kleinen Badstube hatte. Jetzt stieß das Krebsmännlein die Worte aus: »Aus der Teichrose die Jungfrau, aus dem Krebse der Mann!« — Augenblicklich schwammen auf dem Wasser zwei Menschenhäupter, ein männliches und ein weibliches, das Wasser trieb sie an's Ufer, aber Beide waren splitternackt, wie Gott sie geschaffen.
Die verschämte Jungfrau bat nun: »Lieber Jüngling, ich habe keine Kleider anzuziehen, darum mag ich nicht aus dem Wasser steigen.« — Der Jüngling bat dagegen: »Tretet an's Ufer unter die Eberesche, ich mache so lange die Augen zu, bis ihr hinauf klettert und euch unter dem Baume berget. Dann eile ich zur Brücke, wo ich mein Pferd und meine Kleider ließ, als ich in den Fluß sprang.« Die Jungfrau hatte sich unter der Eberesche verborgen, und der Jüngling eilte zur Brücke, wo er Kleider und Pferd gelassen hatte; aber er fand dort weder das Eine noch das Andere. Daß sein Krebszustand so viele Tage gedauert hatte, wußte er nicht, vielmehr glaubte er nur einige Stunden auf dem Grunde des Wassers gewesen zu sein. Siehe, da kommt ihm am Ufer eine prächtige mit sechs Pferden bespannte Kutsche langsam entgegen. In der Kutsche fand er alles Nöthige, sowohl für sich, wie für die aus dem Wasserkerker erlöste Jungfrau; sogar ein Diener und eine Zofe waren mit der Kutsche angekommen. Den Diener behielt der Königssohn für sich, das Mädchen schickte er mit der Kutsche und den Kleidern dahin, wo sein nacktes Liebchen unter der Eberesche harrte. Es verging über eine Stunde, da kam die hochzeitlich geschmückte Jungfrau in der Kutsche an die Stelle, wo der Königssohn ihrer wartete. Er war gleichfalls prächtig als Bräutigam gekleidet und setzte sich zu ihr in die Kutsche. Sie fuhren gradeswegs zur Stadt und vor die Kirchenthür. Der König und die Königin saßen in Trauerkleidern in der Kirche, denn sie trauerten über den theuren verlorenen Sohn, den man im Flusse ertrunken glaubte, da man Pferd und Kleider am Ufer gefunden hatte. Groß war der Eltern Freude, als der für todt beweinte Sohn lebend an der Seite einer schönen Jungfrau vor sie trat, beide in Prunkgewändern. Der König führte sie selbst zum Altar und sie wurden getraut. Dann wurde ein Hochzeitsfest veranstaltet, das in Saus und Braus sechs Wochen lang dauerte.
Im Gange der Zeit ist zwar kein Stillstand und keine Ruhe, dennoch scheinen die Tage der Freude rascher dahin zu fließen als die Stunden der Trübsal. Nach dem Hochzeitsfeste war der Herbst eingetreten, dann kam Frost und Schnee, so daß das junge Paar nicht viel Lust hatte, den Fuß aus dem Hause zu setzen. Als aber der Frühling wiederkehrte und neue Freuden brachte, ging der Königssohn mit seiner jungen Gattin im Garten spazieren. Da hörten sie, wie eine Elster vom Wipfel eines Baumes herab rief: »O du undankbares Geschöpf, das in den Tagen des Glücks seine hülfreichen Freunde vergessen hat. Sollen die beiden armen Jungfrauen ihr Lebelang Goldgarn spinnen? Die lahme Alte ist nicht die Mutter der Mädchen, sondern eine Zauberhexe, welche die Jungfrauen als Kinder aus fernen Landen gestohlen hat. Der Alten Sünden sind groß, sie verdient keine Barmherzigkeit. Gekochter Schierling wäre für sie das beste Gericht; sonst würde sie wohl das gerettete Kind abermals mit einem Hexenknäuel verfolgen.«
Jetzt fiel es dem Königssohne wieder ein und er bekannte seiner Gattin, wie er zur Waldhütte gegangen sei, die Schwestern um Rath zu fragen, dort die Vogelsprache gelernt und den Jungfrauen versprochen habe, sie aus ihrer Gefangenschaft zu erlösen. Die Gattin bat mit Thränen in den Augen, den Schwestern zu Hülfe zu eilen. Als sie den andern Morgen erwachte, sagte sie: »Ich hatte einen bedeutungsvollen Traum. Die alte Mutter war von Hause gegangen und hatte die Töchter allein gelassen; jetzt wäre gewiß die rechte Zeit ihnen zu Hülfe zu kommen.«
Der Königssohn ließ sofort eine Kriegerschaar sich rüsten und zog mit ihnen zur Waldhütte. Am andern Tage langten sie dort an. Die Mädchen waren, wie der Traum geweissagt hatte, allein zu Hause und kamen mit Freudengeschrei den Errettern entgegen. Einem Kriegsmanne wurde Befehl gegeben, Schierlingswurzeln zu sammeln und daraus für die Alte ein Gericht zu kochen, so daß, wenn sie nach Hause käme und sich daran satt äße, ihr die Lust am Essen für immer verginge. Sie blieben zur Nacht in der Waldhütte und machten sich am andern Morgen in der Frühe mit den Mädchen auf den Weg, so daß sie Abends die Stadt erreichten. Der Schwestern Freude war groß, als sie sich hier nach zwei Jahren wieder vereinigt fanden.
Die Alte war in derselben Nacht nach Hause gekommen; sie verzehrte mit großer Gier die Speise, welche sie auf dem Tische fand und kroch dann in's Bett um zu ruhen, wachte aber nicht wieder auf: der Schierling hatte dem Leben des Unholds ein Ende gemacht. Als der Königssohn eine Woche später einen zuverlässigen Hauptmann hinschickte, sich die Sache anzusehen, fand man die Alte todt. In der heimlichen Kammer wurden funfzig Fuder Goldgarn aufgehäuft gefunden, welche unter die Schwestern vertheilt wurden. Als der Schatz weggeführt war, ließ der Hauptmann den Feuerhahn auf's Dach setzen. Schon streckte der Hahn seinen rothen Kamm zum Rauchloch[9] heraus, als eine große Katze mit glühenden Augen vom Dache her an der Wand herunterkletterte. Die Kriegsleute jagten der Katze nach und wurden ihrer bald habhaft. Ein Vögelchen gab von einem Baumwipfel herab die Weisung: »Heftet der Katze eine Falle an den Schwanz, dann wird Alles an den Tag kommen!« Die Männer thaten es.
»Peinigt mich nicht, ihr Männer!« bat nun die Katze. »Ich bin ein Mensch wie ihr, wenn ich auch jetzt durch Hexenzauber in Katzengestalt gebannt bin. Es war der Lohn für meine Schlechtigkeit, daß ich in eine Katze verwandelt wurde. Ich war weit von hier in einem reichen Königsschlosse Haushälterin, und die Alte war der Königin erste Kammerjungfer. Von Habgier getrieben machten wir mit einander den heimlichen Anschlag, des Königs drei Töchter und außerdem einen großen Schatz zu stehlen und dann zu entfliehen. Nachdem wir allmählich alle goldenen Geräthe bei Seite geschafft hatten, welche die Alte in goldenen Flachs verwandelte, nahmen wir die Kinder, deren ältestes drei Jahre, das jüngste sechs Monate alt war. Die Alte fürchtete dann, daß ich bereuen und anderen Sinnes werden möchte, und verwandelte mich deshalb in eine Katze; zwar wurde mir in ihrer Todesstunde die Zunge gelöst, aber die frühere Gestalt habe ich nicht wieder erhalten.« Der Kriegshauptmann sagte, als die Katze ausgesprochen hatte: »Du brauchst kein besseres Ende zu nehmen, als die Alte!« und ließ sie in's Feuer werfen.
Die beiden Königstöchter aber bekamen bald, wie ihre jüngste Schwester, Königssöhne zu Männern, und das von ihnen in der Waldhütte gesponnene Goldgarn war ihnen reiche Mitgift. Ihr Geburtsort und ihre Eltern blieben unbekannt. Man erzählt sich, daß das alte Weib noch manches Fuder Goldgarn unter der Erde vergraben hatte, aber Niemand konnte die Stelle angeben.
2. Die im Mondschein badenden Jungfrauen.
Es lebte einmal ein Jüngling, der