G. K. Chesterton: Krimis, Aufsätze, Romane und mehr. Гилберт Кит Честертон
Mann gegen Mann, Gregory gegenüber – und der stierte ihn immer noch in ohnmächtiger Wut an. Minutenlang schwiegen sie.
»Sie sind ein Teufel!« stieß Gregory schließlich hervor.
»Und Sie ein Gentleman«, sprach Syme mit Bedeutung.
»Sie waren es – Sie, Sie, Sie!« fuhr Gregory fort, und zitterte an allen Gliedern, »Sie führten mich in diese Falle – –«
»Reden Sie wie ein vernünftiger Mensch«, sagte Syme kurz. »In was für eine höllische Versammlung haben Sie mich hereinfallen lassen, wenn es darauf ankommt? Sie ließen mich schwören, bevor ich Sie schwören ließ. Mag sein, jeder von uns tat das, was er für recht fand. Aber was jeder von uns für recht findet, das ist so verflucht verschieden, daß es keine Brücke von einem zum andern gibt. Zwischen uns ist keine Möglichkeit als Ehrensache oder Tod.« Und er warf sich den schweren Mantelkragen um und nahm die Flasche vom Tisch.
»Das Schiff ist absolut bereit«, kam Mr. Buttons geschäftig an. »Belieben Sie bitte diesen Weg zu gehen.«
Mit einer Geste, die den Aufseher verriet, führte er Syme durch einen kurzen, eisengepanzerten Gang – und der immer noch betäubte Gregory folgte ihnen fiebrisch auf den Fersen. Am Ende des Ganges war ein Tor, das Buttons aufriß, – und du standst jäh vor einem Bild in Blau und Silber, vor einem Fluß im Mondschein, gerad als wie aus einem Theaterstück. Und unmittelbar vor dem Ausgang hielt eine schwarze, winzige Dampfbarkasse, wie ein Drachenbaby mit einem roten Auge.
Und wie er an Bord stieg, wandte sich Gabriel Syme an Gregory, der Mund und Augen und Ohren und Nase aufsperrte.
»Sie haben Ihr Wort gehalten«, sagte er artig – und sein Gesicht war im Schatten. »Sie sind ein Ehrenmann – und ich danke Ihnen. Sie haben es gehalten, sogar bis auf eine kleine besondere Kleinigkeit, die Sie mir zu Anfang der Affäre versprachen – und die Sie durch das Ende von allem eingelöst haben.«
»Wie meinen Sie?« rief der total übertölpelte Gregory. »Was hab ich Ihnen versprochen?«
»Einen ungemein unterhaltlichen Abend«, sprach Syme, und er grüßte militärisch mit dem Stockdegen, und das Schiff war fort.
Das vierte Kapitel.
Die Geschichte eines Detektivs
Gabriel Syme war nicht bloß ein Detektiv, der ein Dichter zu sein vorgab; er war tatsächlich ein Dichter, der ein Detektiv geworden war. Auch haßte er den Anarchismus nicht aus reiner Heuchelei. Er war einer von denen, die früh im Leben allzu konservativ werden: durch das wahnsinnige Gehaben der meisten Revolutionäre. Und er war es absolut nicht durch irgendeine geistlose, erstarrte Tradition geworden. Seine Respektabilität war eine spontane und eine plötzliche gewesen, eine Rebellion gegen eine Rebellion. Er stammte aus einer verdrehten Familie, in der die ältesten Leute die jüngsten Kindereien an sich hatten. Einer seiner Onkel ging stets ohne Hut herum; und ein anderer hatte sogar den nicht sehr glücklich ausgefallenen Versuch unternommen, mit einem Hut wohl, aber mit sonst gar nichts anderem herumzugehen. Sein Vater, der übte sich in der Kunst und in dem Gebot: »Hilf dir selber und aus dir selber.« Seine Mutter, die trat ein für alle Schmucklosigkeit und Hygiene. So kam es, daß das Kind durch all seine zarteren Jahre an kein Getränk gewöhnt war zwischen den beiden Extremen Absinth und Kakao, die er beide zu seinem Heile verabscheute. Je mehr seine Mutter eine mehr als puritanische Abstinenz predigte, desto mehr artete sein Vater in eine mehr als heidnische Lebensführung aus. Und als die erstere so weit gekommen war, daß sie den Vegetarismus einführte, war der letztere ziemlich an dem Punkt angelangt, wo er den Kannibalismus verteidigte.
Von jeder nur denkbaren Art von Revolte von Kindheit an umgeben, wollte auch Gabriel in etwas revoltieren, und so revoltierte er in dem einzigen Ding, das ihm blieb – in gesundem Menschenverstand. Aber da war gerade genug von dem Blut jener Fanatiker in ihm: daß sein Protest, vernünftigerweise, ein bißchen allzu sensibel und ungestüm ausfiel. Und dann setzte seinem Abscheu vor aller moderner Gesetzlosigkeit noch ein unglückliches Erlebnis, das er hatte, die Krone auf. Es geschah nämlich, daß er in einer Seitenstraße ging – in dem Augenblick eines Dynamitverbrechens. Den ersten Augenblick war er blind und taub gewesen, und dann ersah er, durch verwehenden Rauch, zertrümmerte Fenster und blutige Gesichter. Nach diesem kam er daher – ganz der alte: ruhig, freundlich, ja sanft sogar; und doch war seitdem ein Flecken auf seinem Gemüt, der nichts Gesundes sein konnte. Ihm waren die Anarchisten nicht, wie den meisten von uns, eine Handvoll pathologischer Burschen, die hübsch viel Ignoranz und Intellekt in sich vereinigen; sondern er sah sie vielmehr als eine ungeheure und unerbittliche – als eine Gelbe Gefahr schlechthin an …
Er übergoß die Zeitungen und – Redaktionspapierkörbe mit wahren Sturzbächen von Geschichten, Versen und heftigsten Artikeln, darinnen er die Menschheit vor dieser neuen Sintflut zittern machte. Aber er schien seinen Feind nie richtig vor die Büchse zu bekommen – wenigstens, was noch weit schlimmer war, nie einen lebendigen … Wenn er, weh an seiner wohlfeilen Zigarre kauend und schmerzlicher noch über den guten Fortgang alles Anarchismus brütend, so den Londoner Themse-Quai hinabschlenderte, da war kein Anarchist, mit einer Bombe in der Tasche, so wild, so weltverlassen wie er. Da fühlte er so recht, da fühlte ers zum Greifen, daß die Regierung allein und hoffnungslos stand, – vor ihm nach hinten heraus und gerad als wie an die Wand gedrückt. Er war übrigens zu sehr Don Quichotte, als daß er noch anders für sie gefürchtet hätte …
So ging er wieder einmal den Themse-Quai hin … und da war ein böser, bös-roter Sonnenuntergang. Der rote Fluß warf den roten Himmel zurück, und beide spiegelten seinen unmeßbaren Kummer. Der Himmel, der war in der Tat so dunkelfarben und das Licht auf den Wassern dagegen von einer so geisterhaften Blässe, daß das Wasser in wilderen Tinten zu flammen schien als der Sonnenuntergang sich abspiegelte. Als wie ein Feuerstrom wars, der durch gewaltige Höhlen einer unterirdischen Landschaft dahinbraust.
Syme war zerlumpt und elend schäbig in jenen Tagen. Er trug eine altmodische, schwarze Angströhre; und er ging in einem noch altmodischeren, schwarzen, zerschlissenen Dallesmantel, so daß er aussah als wie ein Bösepicht aus Dickens oder Bulwer Lytton. Auch waren sein gelber Bart und sein gelbes Haar viel ungekämmter und löwenhafter als sie es später in den Gefilden Saffron Parks waren. Denn da waren sie ja geordnet und geschnitten … Ein langer, dünner, schwarzer Glimmstengel, in Soho erhandelt und im Freien zu rauchen, stak aus seinem Gezähne, und alles in allem sah er eben hinlänglich so aus wie einer jener Anarchisten, denen er einen Heiligen Krieg erklärt hatte. Und vielleicht gerade deswegen wars, daß auf demselbigen Themsequai ein Policeman zu ihm sprach und sagte: »Guten Abend.« Syme, in einer Krisis gerade seiner morbiden Aengste um die Menschheit, schien ungeheuer schmerzlich berührt von der Dummheit des automatischen Beamten, der eine tüchtige Tube Blau war in all der Zwielichtsauce rundum.
»Einen guten Abend nennen Sie das?« sagte er gereizt. »Ihr Kerle würdet den Untergang der Welt noch einen guten Abend nennen. Sehen Sie sich bloß mal diese blutrote Sonne und diesen blutigen Fluß da an! Ich kann Ihnen sagen, daß Sie, wenn das alles vergossenes und flammendes Menschenblut wär, trotzdem und grad noch so solide hier aufgepflanzt stehen würden und nach irgendeinem harmlosen Wanderer auslugen und ihn vorwärts! oder auseinandergehn! heißen. Ihr Blauen, ihr seid nur zu den Elenden grausam, aber selbst diese eure Grausamkeit würde ich euch noch hingehen lassen und nachsehen, wenn ihrs nicht rein aus dem Bedürfnis nach absoluter Gemütsruhe wäret.«
»Unsere Ruhe«, erwiderte der Schutzmann, »ist die Ruhe der organisierten Resistenz.«
»Hä?« sagte Syme und war baff.
»Der Soldat hat seine eiserne Ruhe im dicksten Dickicht des Gefechts zu bewahren«, fuhr der Polizist fort. »Die Gemütsruhe der Armee ist die Angst der Nation.«
»Himmlischer Vater – die öffentlichen Elementarschulen!« sprach Syme. »Haben Sie das aus einem Katechismus auswendig lernen müssen?«
»Nein«,