G. K. Chesterton: Krimis, Aufsätze, Romane und mehr. Гилберт Кит Честертон

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zu sagen.«

      »Wo war das?« fragte Syme verwundert.

      »Oh! zu Narrow«, sagte der Blaue.

      Wa–wa–wa–was! Das war ja eine berühmte höhere Lehranstalt, – auf der auch Syme gewesen! … Und die Schulkameraden-Sympathien, die, so falsch sie auch sind, die wahrsten Dinge in so manchen Menschen ausmachen, – die kamen bei Syme zum Durchbruch, noch ehe er sie kontrollieren konnte.

      »Aber – aber – himmlischer Vater …« sprach er. »Mensch! – da hätten Sie doch kein Blauer werden sollen!«

      Und der Blaue seufzte sehr und neigte sein Haupt –

      »Ich weiß«, sagte er feierlich, »ich weiß, daß ich unwürdig war – –«

      »Aber warum gingen Sie denn dann zur Polizei?« fragte Syme mit mächtiger Neugier.

      »Vielleicht aus demselben Grunde, aus dem Sie unsere Institution schmähen«, sprach der andere. »Ich fand, daß da eine besonders gute Aussicht bestand für solche, deren Aengste um die Menschheit sich mehr um die Verirrungen des wissenschaftlichen Intellekts als um die normalen und entschuldbaren wenn auch exzessiven Ausbrüche des menschlichen Willens drehten. Ich hoffe, daß ich mich klar ausdrückte.«

      »Wenn Sie damit meinen, daß Sie damit Ihre Meinung klar ausdrückten«, sprach Syme, »hoffe ich – ja. Aber es sich selber einmal klar machen, das wär die Hauptsache. Wie kommt ein Mann wie Sie dazu, in einem blauen Helm am Themsestrand Philosophie zu verzapfen?«

      »Sie haben sicher nichts von der letzten Entwicklung in unserm Polizeisystem gehört«, versetzte der andere. »Was mich übrigens gar nicht überrascht. Wir haben die Instruktion, es vor den gebildeteren Klassen soviel wie möglich zu verbergen, weil diese Klassen die meisten unserer Feinde enthalten. Sie dahingegen – Sie scheinen sich genau in der richtigen Gemütsverfassung zu befinden. Sie sollten fast zu uns kommen.«

      »Zu Ihnen?« fragte Syme. »Zu was?«

      »Das will ich Ihnen sagen«, sagte der Polizeidiener langsam. »Die Lage ist nämlich diese: das Haupt eines unserer Departements, einer der berühmtesten Detektivs Europas, war seit langem schon der Meinung, daß eine rein intellektuelle Verschwörung bald unsere ganze Zivilisation bedrohen würde. Er ist sich vollkommen klar, daß die wissenschaftlichen und künstlerischen Kreise sich zu einem Kreuzzug zusammentun würden – wohl gegen Familie und Staat. Und er hat, dessentwegen, ein Spezialkorps von Polizeileuten gebildet, – von Polizeileuten, die Philosophen sind. Deren Geschäft ist es nun, die Anfänge der Verschwörung zu überwachen, und das nicht nur in einem kriminellen, sondern in einem kontroversen Sinn. Ich selbst bin Demokrat und bin hauptsächlich auf den Wert des Durchschnittsmannes in bezug auf durchschnittliche Tapferkeit und Kühnheit bedacht. Aber es ist in die Augen springend, daß es unratsam wäre, den Durchschnittspolizeimenschen zu einem Aufklärungsdienst zu verwenden, der einer Ketzerverfolgung gleichkommt.«

      Symes Augen steckten helle Lichter der Sympathie sowie als der Wißbegierde aus.

      »Und wie machen Sie das?« sagte er.

      »Die Leistung des philosophischen Schutzmanns«, versetzte der Mann in Blau, »ist eine verwegenere und erfinderischere zugleich als die eines gewöhnlichen Detektivs. Der gewöhnliche Detektiv geht in die Kaschemmen, um Diebe zu arretieren. Wir gehen zu artistischen Teegesellschaften, um Pessimisten zu überwachen. Der gewöhnliche Detektiv ersieht aus dem Hauptbuch oder Journal, daß ein Verbrechen begangen worden ist. Wir indes lesen aus einem Sonettbande, daß ein Verbrechen begangen werden wird. Wir haben die Quellen aufzuspüren jener furchtbaren Gedanken, die die Mühlsteine des geistigen Fanatismus und des geistigen Verbrechens treiben. Wir verhinderten beispielsweise den Meuchelmord zu Hartlepool, und das verdanken wir ganz und gar der Tatsache, daß unser Mr. Wilks, ein smarter, junger Bursche, sich durchaus und gründlich auf das Triolet verstand.

      »Ja, meinen Sie denn wirklich«, fragte Syme, »daß zwischen Verbrechen und modernem Geist ein so großer Konnex besteht?«

      »Sie sind nicht genug Demokrat«, antwortete der Polizist, »aber Sie hatten absolut recht vorhin, als Sie sagten, daß unsere gewöhnliche Behandlung des Armen-Verbrechens ein ziemlich brutales Geschäft sei. Ich kann Ihnen sagen, daß mich mein Amt oft ganz krank macht, wenn ich sehen muß, wie es fort und fort nur den Krieg meint mit den Ignoranten und den Desperaten. Aber unser neues System nun, das ist ein höchst verschiedenes. Wir wissen nichts und wollen nichts mehr wissen von der snobbistischen englischen Anmaßung: daß nur die Ungebildeten die gefährlichen Verbrecher seien. Wir erinnern nur an die Römischen Kaiser. Wir erinnern nur an die vielen großen fürstlichen Giftmischer der Renaissance. Wir sagen: der Gebildete ist der Schwerverbrecher. Wir behaupten: das gefährlichste Verbrechen von heute ist der absolut gesetzlose moderne Philosoph. Gegen ihn sind – gegen ihn sind Einbrecher und Bigamisten moralische Menschen; mein Herz ist ganz mit auf ihrer Seite. Die glauben an das höchste Ideal der Menschen; nur suchen sie es auf der verkehrten Seite. Diebe? Die respektieren das Eigentum. Sie wünschen vom Eigentum nur, daß es sich ihnen aneignen möchte, auf daß sie es dann um so vollkommener respektieren könnten. Aber Philosophen? Die verwerfen das Eigentum als Eigentum an sich. Die wollen gleich den ganzen Begriff Personalbesitz ausmerzen. Bigamisten? Die respektieren die Ehe. Sonst würden sie nicht durch die so hochzeremonielle und sogar ritualistische Formalität der Bigamie gehen. Aber Philosophen? Die verabscheuen die Ehe als Ehe an sich. Der Mörder respektiert das Menschenleben. Er wünscht nur, eine größere Fülle menschlichen Lebens in sich zu erlangen – durch die Opferung von etwas, das ihm weniger lebenswert scheint. Aber der Philosoph? Der haßt das Leben an sich. Sein eigenes sowohl als das aller andern.«

      Syme schlug die Hände zusammen.

      »Wie so wahr – wie so wahr das alles!« rief er aus. »Ich habs gefühlt, seit meiner Knabenzeit, nur konnt ich nie die verbalische Antithese statuieren. Der gewöhnliche Verbrecher ist ein schlechter Mensch, aber wenigstens ist er, gleichsam, ein – bedingungsweise – guter Mensch. Er sagt, wenn nur ein gewisses Hindernis beseitigt wäre – ein Erbonkel etwan – dann wär er total bereit, an das Weltall zu glauben und Gott zu preisen. Er ist ein Reformator, aber noch lange kein Anarchist. Er will den Tempel gereinigt sehen, aber noch lange nicht niedergerissen. Nur der Schädling: der Philosoph, versucht nicht, die Dinge zu wandeln, sondern sie auszurotten – zu nihilisieren. Ja, die moderne Welt hat all jene Sparten des Polizeidienstes zurückbehalten, die tyrannisch und über die Maßen greulich sind, die Ausplünderung der Armen, das Ausspionieren der Unglücklichen. Und hat ihre würdigste Tat aufgegeben: die Bestrafung der großen Staatsverräter und der großen Kirchenketzer. Ich zweifle immer wieder nur daran, daß wir ein Recht haben sollen, wenn die nicht – dann irgendeinen andern zu bestrafen.«

      »Aber das ist doch absurd!« rief der Blaue und rang die Hände – gar nicht wie ein Blauer, »aber das ist doch unausstehlich! Ich weiß nicht, was Sie treiben im Leben, aber sicher vergeuden Sie Ihr Leben. Sie müssen – Sie müßten unserer Spezialarmee gegen die Anarchie beitreten! Ihre Truppen stehen vor unseren Grenzen. Der Pfeil schwirrt von der Sehne. Wenn Sie noch einen Augenblick länger verziehen, ist der Ruhm für Sie verloren, als einer der Unsrigen zu streiten – und damit vielleicht der Heldentod zusammen mit den letzten Heroen dieser Welt.«

      »Das ist eine Chance – sicherlich –« pflichtete Syme bei, »die ich mir nicht entgehen lassen sollte. Aber ich kenn mich da immer noch nicht recht aus. Ich weiß wohl so gut wie einer, daß die moderne Welt angefüllt ist von den gesetzlosen kleinen Menschen und von total verdrehten kleinen Emotionen. Aber, so verbiestert das alles auch sein mag, bleibt immer noch das eine Gute – dieses, daß sie miserabel untereinander auskommen. Wie kommen Sie also dazu, von einem Oberkommando an der Spitze einer Armee und vom ersten abschwirrenden Bolzen zu reden? Wie wie – wie verhält es sich denn nun eigentlich mit dieser Anarchisterei?«

      »Verwechseln Sie’s beileibe nicht«, versetzte der Konstabler, »mit jenen ungefähren Dynamitattentaten in Rußland oder Irland: die sind weiter nichts als Expansionen, Expektorationen und Explosionen unterdrückter – irrender Menschen. Das andere aber, das ist eine ungeheure philosophische Bewegung, die aus einem äußeren und in einem inneren Ring besteht.


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