Karin Bucha Paket 1 – Liebesroman. Karin Bucha
lehnte Angela ein Stück von ihm entfernt am Fußende des leeren Bettes.
Er drehte das Gesicht dem Fenster zu, und so fiel das Tageslicht voll auf sein Gesicht und ließ es noch kränker, noch farbloser und müder erscheinen.
Wie konnte Angela wissen, daß alles Berechnung von ihm war.
»Du hast mich sprechen wollen?« fragte sie kurz und ablehnend. »Was willst du von mir? Brauchst du Geld?«
Sie sprach hastig, überstürzt und wunderte sich, als er darauf eine geringschätzige Handbewegung machte.
»Geld? Daß ich doch immer falsch verstanden werde! Andere Beweggründe als nur Berechnung traust du mir wohl nicht zu?« fragte er traurig.
Sie grub die kleinen, festen Zähne in die Unterlippe und schwieg verwirrt.
Reimer sprach weiter im Ton tiefster Reue, wenigstens empfand Angela das so.
»Sei mir nicht böse, Kind, wenn ich dich aufhalte. Siehst du, wenn man monatelang hilflos an einen Fleck gefesselt ist, da kommen einem eigenartige Gedanken. Man lernt dabei verachten, was einem vielleicht vorher erstrebenswert erschienen ist. Ich habe nicht immer gut gehandelt, Angela; heute bin ich durch mein langes Schmerzenslager soweit abgeklärt, daß ich das ruhig zugeben kann. Ich möchte Frieden schließen mit dem einzigen Menschen, der zu mir gehört, und dieser Mensch bist du, Angela – mein Kind.«
Er schwieg wie in großer Erschöpfung und ließ die Lider sekundenlang über die tiefliegenden Augen fallen, die wie im Fieber zu brennen schienen. Es war aber nur die innere Spannung. Ein blitzschneller Blick traf Angelas blasses Gesicht, in dem sich ein stummer Kampf spiegelte.
Nach einer Pause nahm er abermals das Wort.
»Nur einen letzten Zwang möchte ich auf dich ausüben. Besuch mich hin und wieder, wenigstens solange ich hier liegen muß! Mehr verlange ich nicht von dir. Sieh, Kind, bin ich nicht dein Vater? Habe ich nicht ein kleines Anrecht auf dich? Und wenn ich dieses Anrecht nur für einen Besuch von einer Viertelstunde in Anspruch nehme – kannst du mir das verwehren? Wo du mir so nahe bist, daß du nur ein paar Schritte zurückzulegen brauchst, um mir ein wenig Sonne in mein Krankenzimmer zu tragen!«
Immer schwerer trafen seine Worte das Mädchen. Alle Vermutungen, die sie gepeinigt hatten, waren sinnlos gewesen. Frieden wollte er schließen mit ihr – und damit natürlich auch mit der Mutter. Das Schicksal hatte den Vater geschlagen und ihn endlich bekehrt!
»Ja«, sagte sie entschlossen, »ich will deinen Wunsch erfüllen. Und – du wirst meinem Glück nicht hindernd im Wege stehen?« drängte es sich beschwörend über ihre Lippen.
»Gewiß nicht, ich schwöre, daß dein Verlobter niemals erfährt, daß ich dein Vater bin.«
»Ich glaube dir«, sagte sie nicht ohne Wärme. »Dann werde ich morgen wiederkommen...
Täglich war Angela nun einige Minuten mit dem Vater zusammen, und jedesmal verließ sie ihn mit einer gewissen Rührung.
Unangenehm war ihr nur, daß sie immer gesehen wurde, wenn sie sich bei dem Vater aufhielt. Sie wußte ja nicht, daß dies absichtlich geschah Reimer ging gründlich vor.
Und nun holte er zum letzten Schlage aus.
Reimer hatte beobachtet, daß sich der Oberarzt in der chirurgischen Abteilung befand, und er wußte, daß sein Weg an der Bank vorbeiführen mußte, wo er zu sitzen pflegte.
Er schickte Schwester Helga zu Angela und ließ sie herzlich bitten, für ein paar Minuten doch zu ihm zu kommen, da er sich von ihr verabschieden wollte. Am Nachmittag wurde er entlassen.
Zögernd, mit innerem Widerstreben, folgte Angela dem Ruf des Vaters.
Sie machte sich auf den Weg und fand Reimer auf der bezeichneten Bank.
»Vielen Dank, Angela«, empfing er sie mit so viel Zärtlichkeit in der Stimme, daß Angela ihm willig ihre Hand überließ. »Sei mir nicht böse, daß ich es wagte, die Schwester zu dir zu schicken…«
Reimer holte sein Taschentuch hervor, um sich den Schweiß von der Stirn zu wischen. Deutlich hatte er Schritte vernommen, und hinter dem Buschwerk, dicht neben der Bank, Dr. Heykens stehen sehen.
»Ich mußte dich noch einmal sehen, Liebling«, fuhr Reimer wehleidig fort. »Ich werde mein Versprechen halten und alle Beziehungen zu dir abbrechen, so schwer es mir auch fällt. Hab Dank – für die Liebe, die du mir geschenkt hast.«
Er erhob sich, kämpfte sichtlich mit Bewegung, und Angela, die Reimer noch nie so gesehen hatte, stand hilflos vor ihm.
Ihr Gesicht war bleich und spiegelte alle Regungen wider. Rührung und ein immer stärker werdendes Unbehagen kämpften miteinander.
Da drehte sich Reimer noch einmal um und mahnte besorgt:
»Und denke an meinen Brief, Liebling! Niemand darf von unserem Verhältnis zueinander erfahren, am wenigsten natürlich Dr. Heykens. Du bist so gut versorgt bei ihm, sicher besser, als du es bei mir jemals hättest sein können. Vernichte den Brief, ja?«
Angela konnte nur nicken. Aus großen, verständnislosen Augen sah sie hinter ihm her, bis er verschwunden war.
Da sank sie grübelnd auf die Bank zurück.
Wie merkwürdig erregt der Vater gewesen war – und wie besorgt! Was war echt, und was war Falschheit an ihm? Sie war unglücklicher denn je.
Lange hatte sie in tiefer Versunkenheit auf der Bank gesessen und um ihr seelisches Gleichgewicht gerungen, das in den letzten Minuten arg erschüttert worden war.
Als sie sich erhob, sandte sie diesem Erlebnis, das sie so sehr bedrückt hatte, den letzten Seufzer der Erleichterung nach.
Doch nun war auch diese Not vorbei! Niemals würde er ihren Weg kreuzen, und sie konnte sich unbeschwert des Glückes ihrer Liebe freuen.
Kaum hatte sie das Sekretariat erreicht, holte sie sofort ihre Handtasche hervor, um nach dem Besuchskärtchen zu suchen – aber es war fort.
Erregt suchte sie in der Schublade. Doch auch dort fand sie es nicht. Wohin war die Karte gekommen? Weshalb hatte der Vater sie so eindringlich gewarnt?
Unsinn! beruhigte sie sich sofort. Sicher hat Mutti sie herausgenommen, weil sie die Gefahr erkannt haben mochte.
Auf einmal hob sie lauschend den Kopf.
Nebenan klangen schwere, gleichmäßige Schritte auf.
War Professor Langhammer zurückgekommen? Sollte sie hineingehen? Vielleicht brauchte er sie, wie das meist der Fall war, wenn er von einer Reise zurückkehrte.
Entschlossen ging sie zur Tür, klopfte und trat ein – und bemerkte ihren Verlobten, der in Gedanken versunken auf und ab ging und erst den Schritt verhielt, als sie lächelnd vor ihm stand.
»Peter!«
Er sah sie an, und Angela erschrak vor dem leeren, trostlosen Blick, der sie traf.
»Fehlt dir etwas?« fragte sie beklommen.
»Nein! – Nein!« wehrte er kurz ab, und dann nahm er seinen Marsch erneut auf, ohne sie weiter zu beachten.
Mit dem feinen Empfinden der liebenden Frau fühlte sie, daß sie im Augenblick überflüssig war. Wer weiß, was ihm durch den Kopf ging und so sehr beschäftigte!
Voll Vertrauen verließ sie ihn und setzte sich zur Arbeit an den Schreibtisch – und nebenan wanderten die Schritte rastlos weiter, immer auf und ab.
Sie wußte nicht, was geschehen war, sie fühlte nur, Peter trug etwas mit sich herum, er war in innerer Not. Aber ihr Vertrauen zu ihm war grenzenlos wie ihre Liebe.
Wenn er sie brauchte, dann würde er sie rufen.
Mitten im Zimmer blieb der Oberarzt Dr. Peter Heykens stehen und griff stöhnend an den Kopf, als könnte er damit den ihn bestürmenden Gedanken Einhalt gebieten.
War das nur