Karin Bucha Paket 1 – Liebesroman. Karin Bucha
und vor dem Gartentor drängten sich die Neugierigen. Jeder wollte sehen, was sich hinter dem Zaun abspielte, denn das Geschehene hatte sich wie ein Lauffeuer herumgesprochen.
Grenzenloses Herzeleid bargen die Mauern. Der Kommissar, dem der Beruf Ausschaltung aller persönlichen Gefühle vorschrieb, war erschüttert. Viel Arbeit gab es für ihn nicht. Einfach war der Tatbestand durch das klare Geständnis Frau Bettinas:
»Ich habe ihn erschossen!«
Ob im Affekt oder in Notwehr oder mit Vorsatz und Überlegung, das bedurfte noch der Klärung, denn über die Lippen der Frau kam kein Wort, das Licht in das Dunkel gebracht hätte.
Im Arbeitszimmer des Hausherrn hielt Dr. Heykens die soeben aus der Ohnmacht erwachte Angela in seinem Arm. Sein Herz war von Reue und Gewissensbissen zerrissen, die sich noch vermehrten, wenn sein Blick das weiße, zarte Gesicht streifte.
Was hätte er darum gegeben, wenn er all die bösen, hartherzigen Worte hätte zurücknehmen können, mit denen er das junge Geschöpf überschüttet hatte! In seiner blinden Eifersucht war er einem gewissenlosen Schurken in die Falle gegangen. Wie anders wäre alles gekommen, wenn er gewußt hätte, daß der Mann, mit dem er seine Braut verdächtigt hatte – ihr Vater war.
Jetzt verstand er alles, jetzt ging ihm auch der Sinn von Frau Bettinas Worten auf, als sie drohend die Erklärung von Reimer gefordert hatte, die Erklärung, die Angela vor ihm rechtfertigen sollte.
Er hatte es nicht getan, er hatte sich nur noch tiefer in seine Lügen verstrickt und damit auch jeden Rest von Achtung für Angela erstickt.
Während er verstört davongelaufen war, war die furchtbare Tat geschehen.
Das war alles, was er Dr. Hersfeld hatte erklären können.
Wußte Angela, was sich nach seinem Davonstürmen hier abgespielt hatte?
Mit unendlicher Liebe sah er auf sie hinab, die sich regte und die Augen aufschlug.
»Peter!« hauchte sie, ihn erkennend. Dann löste sie ihren Blick aus dem seinen und richtete ihn zu Boden. Grübelnd fuhr sie mit der Hand über Stirn und Augen.
Wie kam Peter hierher? Wie kam es, daß sie wohlgeborgen in seinem Arm ruhte? War nicht ein großer, stechender Schmerz mitten durch ihr Herz gegangen, so daß sie sich nicht mehr hatte aufrecht halten können?
Im Nu saß sie aufrecht. Reimer war gekommen, und sie hatte eine häßliche Auseinandersetzung mit ihm gehabt!
Auf einmal war Peter gekommen, unglückseliger Zufall – oder war auch das Reimers Berechnung gewesen?
Zu gleicher Zeit war auch die Mutter erschienen und hatte in die Unterredung eingegriffen, in einer Art, wie sie die Mutter noch niemals gesehen hatte.
Sie streifte des Verlobten Hand von sich.
»Mutti – wo – wo ist meine Mutter?« fragte sie, von einem quälenden Angstgefühl fast erdrückt.
Im Hintergrund des Zimmers erhob sich Dr. Hersfeld.
»Angela«, forschte er behutsam. »Warst du zugegen, als Reimer deine Mutter verließ?«
»Als – Reimer – meine Mutter – verließ?« grübelte sie laut vor sich hin. Ihr Kopf flog in die Höhe. »Ich weiß nichts, ich verlor die Besinnung, als Peter – Peter mich verließ – ich meinte – für immer, und nun – nun ist er auf einmal wieder hier!«
Totenstille folgte ihren stockend hervorgebrachten Worten, und in diese Stille fiel eine fremde, harte Stimme, die Angela wie Keulenschläge traf:
»So reden Sie doch endlich, Frau Martens! Wie kamen Sie dazu, den tödlichen Schuß abzugeben? Es muß doch ein Streit vorangegangen sein! Waren Sie bedroht? Hat Reimer Sie angegriffen, so daß Sie sich gar nicht anders zu wehren wußten?«
Angelas Herz schlug wie rasend. Und dann hörte sie die Stimme der über alles geliebten Mutter. Aber wie sie klang, so kalt, so hart:
»Ich habe ihn erschossen, um mich und mein Kind von einer unerträglichen Last endlich zu befreien!«
Angela stürzte vorwärts, ehe die beiden Männer hinzuspringen konnten. Sie riß die Tür auf und lag im nächsten Augenblick vor Bettina auf den Knien.
»Mutti, liebe gute Mutti, das ist doch nicht wahr! Sag, daß es nicht wahr ist! Du hast es nicht getan, Mutti – Mutti!«
Wimmernd barg sie ihren Kopf in der Mutter Schoß. Mit zuckenden Händen streichelte Bettina den Kopf des Kindes. Ihr Gesicht war auf einmal weich und gelöst.
»Angela, meine Angela!« flüsterte sie. »Du brauchst nicht mehr zu weinen. Er ist tot, er kann dich nicht mehr quälen. Hörst du es, mein Kind? Nun bist du wieder die kleine, glückliche Braut, nicht wahr?«
Nichts als Angelas Wimmern war zu hören. Kommissar Schmitt mußte sich abwenden. Er konnte den Anblick nicht mehr ertragen. Auf einmal sah er klar, ganz klar; die wenigen Worte hatten ihm eine erschütternde Tragödie enthüllt.
Dr. Heykens neigte sich zu Angela hinab und wollte sie aufheben, aber sie riß sich mit einer wilden Bewegung von ihm los.
»Rühr mich nicht an!« schrie sie verzweifelt auf. »Ich kann dich nicht mehr sehen!«
Sie warf die Arme um Bettina und bedeckte ihr Gesicht mit unzähligen Küssen.
»Mutti, Mutti!« jammerte sie. »Warum hast du das getan? Warum hast du dein Leben zerstört?«
Über den Kopf des Kindes hinweg glitt Bettinas Blick ins Leere, während ihre Hände auf Angelas Scheitel ruhten, still ergeben.
»Was liegt an mir, Angela? Ich habe abgeschlossen mit dem Leben, das mir nur Herzeleid und Enttäuschung brachte. Aber du – du sollst glücklich sein.«
Wie betäubt lag Angela vor der Mutter auf den Knien. Konnte ein Menschenherz so viel Leid fassen und tragen?
»Angela, sag, daß du glücklich bist! Peter ist gut und stark, er wird dich beschützen, weil – weil ich es nun nicht mehr kann.«
Angelas Gesicht schwamm in Tränen. Ihr Mund zuckte vor Weh.
»Mutti«, hauchte sie, und ihr Blick versank in den treuen Mutteraugen, in denen eine heiße Bitte lag. Da legte sie ihre bebenden Lippen auf Bettinas Hand.
»Ach – Mutti – ich – ich…«
Sie brachte es nicht über die Lippen. Sie wühlte den Kopf in der Mutter Schoß und sah so nicht, wie der Kommissar den soeben eintretenden Beamten einen Wink gab.
Sie näherten sich Bettina, und Kommissar Schmitt bat:
»Ich muß Sie verhaften, Frau Martens. Bitte machen Sie sich fertig.«
»Nein! – Nein!« wehrte sich Angela ganz außer sich. »Mutti! Man darf dich nicht von mir trennen.«
Ruhig und gefaßt beugte sich Bettina über Angela und küßte sie. Ihr Blick suchte Dr. Hersfeld, der sie verstand und sich nun Angela näherte.
»Komm, Angela, sei vernünftig!«
Angela ließ es geschehen, daß er sie vom Boden hob. Halb ohnmächtig sank ihr Kopf gegen seine Schulter.
Mit einem liebevollen Blick auf Angela verließ Bettina das Zimmer, eine müde, gebrochene Frau, die keine Auflehnung mehr kannte, deren Herz tot und leer war.
*
Seit Stunden saß Angela nun schon mit starrem Gesicht regungslos in dem Sessel, die Hände müde im Schoß verschlungen, und hörte und sah nicht, was man zu ihr sprach und wie man sich um sie bemühte.
Dr. Heykens wich nicht von ihrer Seite, aber er wagte nicht, die Hand nach ihr auszustrecken, aus Angst vor dem feindlichen Blick, der ihn traf. Das durchsichtige blasse Gesicht schien überhaupt nur aus Augen zu bestehen, Augen, unnatürlich groß, mit Grauen erfüllt.
Grabesruhe war auf den vorangegangenen Tumult wieder in das Haus eingekehrt, eine Ruhe, die die Nerven