Karin Bucha Paket 1 – Liebesroman. Karin Bucha
Schritte, mit denen er das Zimmer durchmaß, rastlos, die Stirn in kummervolle Falten verzogen.
Was hatte er in den letzten Stunden nicht alles erwogen, um Bettinas Lage zu erleichtern! Nichts hatte sich als stichhaltig erwiesen. Nur Bettina selbst konnte durch eine rückhaltlose Beichte ihr Los erträglicher gestalten und dadurch milde Richter finden.
Wenn doch Angela eines Zuspruchs zugänglicher wäre!
Selbst die Liebe zu Peter Heykens schien in ihr gestorben zu sein. Nur von Zeit zu Zeit bewegte sie die Lippen, ohne daß ein Ton hörbar war. Sie schien immer nur ein Wort zu flüstern:
»Mutti!«
Er warf einen raschen Blick zu ihnen hinüber und bemerkte eben, wie Dr. Heykens den Versuch machte, sein Verhalten zu entschuldigen.
»Angela, ich bitte dich«, bat er in beschwörendem Ton, »höre mich wenigstens an, zu verzeihen brauchst du mir gar nicht. Nur weil ich dich so grenzenlos lieb habe, konnten mich die Zweifel an deiner Reinheit so schwer treffen. Meine Seligkeit gäbe ich darum, könnte ich alles – alles rückgängig machen.«
Einen Widerhall schienen Peters Worte und eindringliche Bitten doch in ihr zu wecken. Sie hob den Kopf ein wenig, schüttelte ihn und zog die Schultern wie im Frost zusammen.
»Zu spät, Peter«, kam es leise und trostlos zurück.
Dr. Hersfeld horchte auf. Es waren die ersten Worte seit ihrem Zusammenbruch.
»Ich habe dich lieb, Angela. Gib mir bitte das Recht, dich zu schützen, dich glücklich zu machen!«
»Und Mutti? Meine geliebte Mutti?«
Die ganze Not ihres gemarterten Herzens klang durch die Frage.
»Eben ihretwegen bitte ich dich, laß es sein, wie es vorher war. Deine Mutter opferte sich, um dich glücklich zu wissen. Soll sie das Opfer umsonst gebracht haben?«
Angela fiel in sich zusammen. Der Kopf sank auf die Lehne des Sessels.
»Ich kann nicht – ich kann nicht!« wimmerte sie gepeinigt.
Peters Hand zuckte, sachte ließ er sie über das wirre Haar Angelas gleiten in einer scheuen, abbittenden Liebkosung.
Angela stieß seine Hand von sich, sprang auf und flüchtete zu Dr. Hersfeld. Beide Arme schlang sie um seinen Hals und weinte bitterlich und verzweifelt auf.
»Ich kann nicht, Onkel Fritz! Ich kann nicht glücklich sein, während Mutti… Sag du es ihm, damit er nie wieder den Versuch der Versöhnung wagt. Ich mag ihn nicht mehr sehen – nie und nimmer mehr!«
Dr. Heykens Gesicht verlor alle Farbe Schwerfällig erhob er sich, und bitter wandte er sich zum Gehen. Unendlich schwer war die Strafe für seinen Zweifel. Er mußte sie hinnehmen, ohne zu klagen.
Wie ein Traumwandler nahm er seinen Weg. Am Ausgang holte Dr. Hersfeld ihn ein und faßte ihn am Arm.
»Seien Sie nicht so verzweifelt, Peter!« redete er begütigend auf den am Türrahmen Lehnenden ein. »Sie haben das innige Verhältnis zwischen Angela und ihrer Mutter nicht gekannt. Angela kann nicht anders handeln, wenn sie sich selbst treu bleiben will. Haben Sie Geduld, junger Freund, und seien Sie versichert, daß Sie in mir den besten Anwalt besitzen.«
Kein Wort brachte Dr. Heykens hervor. Er preßte nur schweigend Dr. Hersfelds Hand und bestieg wenig später seinen Wagen.
Jetzt erst habe ich Angela endgültig verloren, ging es ihm in bitterer Erkenntnis durch seinen Kopf.
Plötzlich trieb es ihn vorwärts, heim, nur heim. Er brauchte jetzt einen Menschen, dem er sein Herz ausschütten und der ihn auch richtig verstehen konnte.
Wie gut das Schicksal es dennoch mit ihm meinte! Er konnte sich mit all seiner Not zur Mutter flüchten. Wo suchte Angela, seine geliebte Angela Zuflucht in ihrer Herzensnot?
*
Spaltenlange Berichte brachten die Tageszeitungen über das Drama, das sich in Dr. Hersfelds Landhaus abgespielt hatte. Zugkräftige Schlagzeilen bildeten die Überschrift. Das Leben der beiden Frauen wurde förmlich zerpflückt. Mutter und Tochter, bis jetzt wenig beachtet, waren mit einem einzigen Schlage in das öffentliche Interesse gerückt.
Die Sympathien schwankten hin und her, bald galten sie dem Toten, dann wieder der Frau, die Rache genommen hatte, als sie das Lebensglück ihres Kindes bedroht sah.
Unerträglich wurden Dr. Heykens diese Mitteilungen, weil sie der Wahrheit so wenig nahekamen. Und Frau Bettina schwieg. Ihr Mund blieb verschlossen, nichts kam über ihre Lippen von dem Leid, das sie und ihr Kind getragen und das der Mann verschuldet hatte, der von ihrer Hand gefallen war.
Dr. Hersfeld war unermüdlich auf den Beinen. Den besten Verteidiger schickte er der Frau, die seinem Sohn Klaus die fürsorglichste Hüterin gewesen war.
Sie schwieg zu allem, was man sie fragte. Es war, als sei sie weit entfernt von menschlichem Leid, als lebe sie weit entfernt von den Menschen und segle der Unendlichkeit entgegen.
Auch Besuche empfing sie nicht. Alles, alles lehnte sie ab. Sie wollte nichts als Ruhe, Frieden. Sie hatte Schuld auf sich geladen nach den Gesetzen der Ordnung, und dafür nahm sie willig die Folgen auf sich. Milde erwartete sie nicht, weil sie keine Reue empfand.
Ein Dämon hatte über ihrem Dasein geherrscht und sie und ihr Kind gequält, und von diesem Dämon hatte sie sich nun durch eine Gewalttat befreit.
Nichts – nichts erhoffte sie mehr vom Leben, nicht einmal Gnade. Also war es auch ganz sinnlos, ihre Tat in ein besseres Licht rücken zu wollen.
»Bitte geben Sie sich keine Mühe«, hatte sie dem Anwalt auf seine wiederholten Bitten geantwortet. »Ich sehe der Stunde meiner Verurteilung gefaßt entgegen.«
»Aber Sie können doch nicht ewig auf diesem Standpunkt beharren!« hatte er ihr eifrig und ungeduldig erwidert. »Sie schweigen sich aus, und Ihre Tochter redet auch nicht! Man wird Sie für verstockt halten und bei der Verhandlung auf vorsätzlichen Mord Anklage erheben. So nennen Sie mir doch die Gründe, auf die ich meine Verteidigung aufbauen kann!«
»Ich wollte frei sein – endlich ganz frei sein von dem Mann«, erwiderte sie. Es war das gleiche, was sie immer wieder hervorhob, und gerade das wollte er nicht wissen.
Mit einer müden Bewegung legte sie das Gesicht in die aufgestützten Hände.
»Liebe, gnädige Frau«, bat er in warmem, gütigem Ton, »machen Sie mir doch meine Arbeit nicht noch schwerer, als sie ohnehin schon ist! Ich will Ihnen helfen, fühlen Sie das denn überhaupt nicht?«
Bettinas schmales Gesicht trug einen seltsamen, weltentrückten Ausdruck.
»Jetzt kann mir nur noch einer helfen, das ist unser Herrgott, und der hat mir schon geholfen, indem er mir den inneren Frieden gab. Ich kann mich doch nur verteidigen, wenn ich mich schuldlos fühle, und dem Gesetz gegenüber bin ich es nicht. Vor meinem Herrgott aber und vor meinem Gewissen fühle ich mich frei von jeder Schuld, denn ich habe mich nur dem heiligsten menschlichen Gesetz unterworfen, der Mutterliebe. Reimer dagegen hat sich dauernd an den heiligsten menschlichen Gesetzen vergangen, und er durfte straflos ausgehen. Mit seinem Tod ist auch jede Bitterkeit aus meinem Herzen gewichen. Er steht bereits vor einem höheren Richter – und dieser ist unerbittlich.«
Dr. Hagedorn raffte seine Papiere zusammen. Er war wieder einmal am Ende seiner Weisheit und Überredungskunst angelangt.
Er konnte nur hoffen, daß irgendein Ereignis sie doch noch zum Sprechen bringen würde. Aber diese Hoffnung war sehr klein.
*
Angela welkte wie eine Blume dahin. Unfaßbar war es für sie, daß die geliebte Mutter sie weder sehen noch sprechen wollte.
Herzzerreißende Briefe schrieb sie in das Untersuchungsgefängnis. Die Antwort aber war immer gleichlautend:
»Erspare mir diese Begegnung, Angelakind! Ich bin ausgesöhnt mit mir und meinem Schicksal. Eine endlose Pein aber wäre es für mich,