Karin Bucha Paket 1 – Liebesroman. Karin Bucha
ich könnte dich brauchen.«
Wieder schlug sein Herz laut und ungestüm.
»Also gut. Ich bleibe.«
Er rückte mit seinem Stuhl etwas abseits, doch so, daß er das Gesicht der Kranken im Auge behalten konnte.
Petras schlanke Hände zitterten leicht, als sie das Schriftstück aufnahm.
»Ein Testament…«, murmelte sie, und ihr Blick suchte voll Unruhe Nikolaus. »Ist das nicht zuviel Vertrauen?«
»Nein, Petra, es ist eigens für dich bestimmt, das heißt, eigentlich für Jost, aber du trittst ja nun an Josts Stelle. Bitte, lies.«
Etwas von der Feierlichkeit, die über Nikolaus’ Wesen lag, übertrug sich auch auf Petra. Zuerst erkannte sie die klare, feste Schrift nur sehr schwach, alles verschwamm vor ihren Blicken in der Gemütsbewegung, die sie erfaßt hatte.
Dann wurden ihre Augen groß und weit, und ihr Herz rief leise und sehnsüchtig nach Jost, dem Mann, den diese reuigen Worte des Vaters nicht mehr erreicht hatten.
»Nikolaus!« unterbrach ihr leiser Ruf endlich die lastende Stille.
Zögernd ging Nikolaus zu ihr heran. Petra sah ergriffen aus. Das feine Gesicht war fast durchsichtig blaß
geworden. Ihre grauen Augen waren tief umrändert und nahmen sich unter den langen dunklen Wimpern schwarz und unnatürlich groß aus.
Er nahm die Veränderung wahr und machte sich bittere Vorwürfe.
»Zu spät, Nikolaus, viel zu spät. Jost ist tot! Alle heißen Wünsche, alle Liebe, erwecken ihn nicht mehr.«
Voll Erbarmen neigte sich Nikolaus über das bleiche Gesicht der Kranken.
»Und doch nicht zu spät, um gutzumachen, an dir, an dem Kind«, flüsterte er bewegt.
»Was liegt an mir«, kam es bitter und verzagt zurück.
»Du bist noch jung, so köstlich jung, Petra. Du wirst an ein neues Glück glauben lernen.«
Ein Blick, groß und verachtungsvoll, streifte sein Gesicht, dann drehte Petra den Kopf abwehrend zur Seite.
»Für mich gibt es kein zweites solches Glück. Mein einziges Glück ist Leonore.«
Nikolaus verstand sich selbst nicht mehr. Heimliche Freude durchschoß ihn. Petra hielt seinem Bruder die Treue. Also hatte auch niemals ein anderer Mann eine Rolle in ihrem Leben gespielt.
Mußte er jetzt nicht über Detlef Sprenger sprechen?
»Petra, nimm es mir nicht übel, aber es ist unbedingt notwendig, daß du mir eine Frage beantwortest. Wie stehst du zu Detlef Sprenger?«
Er beobachtete sie scharf, nicht die kleinste Bewegung entging ihm. Er sah die Furcht in den grauen Augen aufspringen, spürte das Beben der ineinandergekrampften Hände, sah das tödliche Erschrecken, und tiefe Traurigkeit überkam ihn. Sah so ein Mensch aus, der sein Gewissen beladen hatte?
»Nikolaus!« Sie griff nach seiner Hand und umklammerte sie haltsuchend. »Schütze mich vor diesem Mann! Ich bitte dich, ich fürchte ihn! Vor Jost habe ich geschwiegen, um Konflikte zu vermeiden. Du bist nicht mit dem Herzen beteiligt, also kann ich vollstes Vertrauen zu dir haben. – Sprenger verfolgte mich mit Liebesanträgen, ich habe ihn nicht nur einmal in die Schranken zurückweisen müssen. – Er hat mich auch hier besuchen wollen, aber ich habe ihn nicht empfangen.«
Nikolaus preßte die Lippen fest aufeinander.
»Du glaubst mir nicht?« Entsetzen flackerte in ihren Augen auf, und matt ließ sie den Kopf in die Kissen zurücksinken. »Du brauchst mir auch nicht zu glauben, Nikolaus, nur schützen sollst du mich vor dem Mann und seiner unseligen Leidenschaft, nur schützen!«
»Ich werde dich zu schützen wissen.« Ungewöhnlich hart klang Nikolaus’ Stimme, und Petra zog fröstelnd die Schultern ein.
»Ich danke dir«, hauchte sie matt. »Mehr verlange ich nicht von dir.«
»Petra, hast du auch ganz aufmerksam das Testament gelesen?«
»Ja, ganz aufmerksam«, bestätigte sie.
Noch ein paar Minuten rang er mit sich, dann hatte er sich bezwungen.
»Gut… ich glaube dir.« Der Ausdruck seines Gesichtes änderte sich, wurde wieder wärmer, die Stimme hatte wieder den gütigen Ton. »Und du wirst auch den Willen unseres Vaters erfüllen?«
Petras Blick irrte im Zimmer umher, unschlüssig wanderten die Hände über die Decke. Sie fürchtete sich heimlich vor den Pflichten, die ihrer harrten, denn sie waren schwer, viel zu schwer für ihre zarten Schultern.
Da spürte sie den kräftigen Händedruck Nikolaus’, der die ruhelosen Finger Petras eingefangen hatte.
»Ich helfe dir dabei, Petra.«
Da glitt es wie eine Erlösung über ihre Züge, und ein tiefer Atemzug zitterte durch den Raum.
»Gut, Nikolaus. Mit dir zusammen will ich die Bedingungen des Testaments erfüllen«, sagte sie fest, mit großem Ernst auf den bleichen Zügen.
»Morgen werde ich dich abholen.«
»Morgen schon?« Ein glückliches Lächeln schimmerte in den großen Augen. »Morgen schon darf ich hier heraus?«
»Ich habe gestern mit dem Arzt gesprochen. Er hat keine Bedenken. Du darfst nicht länger einsam sein und dich deinen Grübeleien überlassen. Es ist besser so.«
»Und – deine Mutter?« fragte sie bang und ahnungsvoll.
Nikolaus’ Gesicht wurde hart, stahlhart blitzten auch seine Augen.
»Meine Mutter muß sich fügen.«
Da senkte Petra den Kopf. Sie ahnte, daß sie keinem guten Leben entgegenging, trotz des großen Erbes, das ihr ein reuiger alter Mann in den Schoß geworfen hatte.
*
Regina Reuter sah immer wieder auf die Zeitungsannonce. Ein Kindermädchen wurde von der Familie Eckhardt gesucht.
Kam diese Anzeige für sie nicht wie gerufen? Arbeit würde sie von ihren vielen Grübeleien ablenken, und sie mochte Kinder gern.
Kurz entschlossen machte sie sich auf den Weg zu der angegebenen Adresse. Wenig später stand sie vor der prachtvollen Villa.
Zaghaft legte sie den Finger auf den Klingelknopf und fuhr zurück, als die Tür aufsprang.
Der Kies knirschte unter ihrem leichten Tritt. Unter dem Eingang nahm sie Johannes, Nikolaus Eckhardts Diener, in Empfang.
Forschend blickte er der jungen Dame entgegen.
»Sie wünschen?«
Reginas Herz klopfte rascher vor Erregung. Aus ihrer Handtasche brachte sie die sorgfältig ausgeschnittene Anzeige hervor.
Johannes öffnete die Tür und ließ Regina den Vortritt.
Sie durchquerten die Halle und stiegen die breiten, teppichbelegten Stufen zum ersten Stockwerk hinan.
Er führte sie ins Spielzimmer.
»Nehmen Sie einstweilen Platz. Ich werde dem jungen Herrn Bescheid sagen.«
Bei Nikolaus’ Eintritt erhob sich Regina von ihrem Platz und blieb abwartend stehen. Wenn sie bis jetzt noch im Zweifel gewesen war, daß sie in Jost Eckhardts Elternhaus sei – ein Blick in das ernste, schmale Männergesicht, das dem Josts auffallend glich, klärte sie auf.
Sie nahm sich zusammen, um nichts von ihrem Erschrecken zu verraten.
»Regina Reuter«, stellte sie sich vor. Auch ihre Stimme hatte sie in der Gewalt.
»Bitte behalten Sie Platz«, sagte Nikolaus Eckhardt höflich und drückte flüchtig Reginas Hand. Unweit von ihr ließ er sich nieder.
»Sie kommen auf die