Jeremias: Eine dramatische Dichtung in neun Bildern. Стефан Цвейг
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Stefan Zweig
Jeremias: Eine dramatische Dichtung in neun Bildern
Veröffentlicht im Good Press Verlag, 2020
EAN 4064066116149
Inhaltsverzeichnis
DAS ERSTE BILD DIE ERWECKUNG DES PROFETEN
DAS VIERTE BILD DIE WACHEN AUF DEM WALLE
DAS FÜNFTE BILD DIE PRÜFUNG DES PROFETEN
DAS SECHSTE BILD STIMMEN UM MITTERNACHT
DAS SIEBENTE BILD DIE LETZTE NOT
DIE BILDER DES GEDICHTS
I. Die Erweckung des Profeten | 11 |
II. Die Warnung | 25 |
III. Das Gerücht | 51 |
IV. Die Wachen auf dem Walle | 67 |
V. Die Prüfung des Profeten | 91 |
VI. Stimmen um Mitternacht | 113 |
VII. Die letzte Not | 147 |
VIII. Die Umkehr | 163 |
IX. Der ewige Weg | 193 |
DIE GESTALTEN DES GEDICHTS
ZEDEKIA, der König |
PASHUR, der Hohepriester |
NACHUM, der Verwalter |
IMRE, der Älteste der Bürger |
ABIMELECH, der Oberste der Kriegsknechte |
HANANJA, der Profet des Volkes |
Schwertträger, Krieger, Knechte |
JEREMIAS |
SEINE MUTTER |
JOCHEBED, eine Anverwandte |
ACHAB, der Diener |
BARUCH, ein Jüngling |
SEBULON, sein Vater |
DAS VOLK VON JERUSALEM |
DIE GESANDTEN NABUKADNEZARS |
CHALDÄISCHE UND ÄGYPTISCHE KRIEGER |
Der Schauplatz des Gedichts ist Jerusalem zur Zeit seines Untergangs.
DAS ERSTE BILD
DIE ERWECKUNG DES PROFETEN
„Rufe mir, so will ich dir antworten und dir anzeigen große und gewaltige Dinge, die du nicht weißt.“
Jer. XXX, 3.
Das flache Dach auf dem Hause des Jeremias, weißgequadert und blinkend im matten Mond. In der Tiefe mit Türmen und Zinnen, mit Schlaf und Stille Jerusalem. Alles ist reglos ringsum, nur der Wind der ersten Frühe fährt manchmal tönend durch das Schweigen.
Plötzlich Schritte, polternd und hastig, die Treppe empor. Jeremias im losen Kleid, die Brust offen, wie ein Gewürgter keuchend, stürmt herauf.
JEREMIAS:
Die Tore rammelt zu ... die Riegel vor ... zum Wall ... zum Walle!... Oh Wächter, schlimme Wächter ... sie kommen ... sie sind da ... Brand über uns ... im Tempel Brand ... Hilfe ... zu Hilfe!... Die Mauer fällt, die Mauer ...
JEREMIAS (ist bis zum Rande des Daches vorgestürmt und hält plötzlich inne. Sein Schrei prallt gell gegen die weiße Stille. Er schrickt zusammen, ein Erwachen kommt über ihn. Sein Blick tastet wie der eines Trunkenen über die Stadt hin, seine Arme, die schreckhaft gespreizten, brechen langsam nieder, müde streift die Hand über die offenen Lider):
Wahn! Wieder Trug und Traum, der fürchterliche! Oh Träume, Träume, Träume, wie voll ist ihrer das Haus!
(Er beugt sich über den Rand der Mauer und blickt hinab:)
Friedlich die Stadt, friedlich das Land, in mir nur dieser Brand, nur meine Brust ein Feuer! Oh, wie sie selig ruht in Gottes Arm, von Schlaf bebrütet, überdacht von Frieden, ein Tau von Mond auf jedem Haus und Schlummer, sachter Schlummer auf jedes Hauses Stirn. Nur ich, ich brenne Nacht um Nacht, stürz hin mit allen Türmen, fliehe Flucht, vergeh in Flammen, nur ich, nur ich, zerwühlt die Eingeweide, fahr taumelnd hoch vom heißen Bett zum Mond, daß er mich kühle! Nur mir sprengt Traum den Schlaf, nur mir frißt feurig