Jeremias: Eine dramatische Dichtung in neun Bildern. Стефан Цвейг
DIE MUTTER:
Nein, Jeremias, ich achte ihrer, doch sie verschließen sich mir. Jeremias, ein fremder Geist ist über dich kommen, fremd ward und feindlich dein Sinn. Was ist dir geschehen, mein Kind, was quälet, was sorget dich?
JEREMIAS:
Nichts quält mich, Mutter ... mich schwülte das Bett ... Kühlung kam ich zu trinken ...
DIE MUTTER:
Nein, du verschließt dich, du Harter, vor mir und bist doch offen meiner Seele. Meinst du, ich wisse nicht, wie du umgehst seit Monden Nacht um Nacht; meinest du, ich hörte nicht das Stöhnen deines Schlafs und den Angstschrei deines Schlummers? Oh, offenen Auges hör ich dich im Dunkel, wie du umwanderst ruhlos im Haus, Schritt für Schritt hör ich dich schreiten, und Schritt für Schritt mitwandert mein Herz. Was ists, das dich quälet? Tu dich auf, du Verschlossener, nicht birg meiner Sorge die Qual!
JEREMIAS:
Nicht sorge dich, Mutter! Nicht sorge dich!
DIE MUTTER:
Wie soll ich deiner nicht sorgen? Bist du denn meiner Tage Tag nicht und meiner Nächte Gebet? Aus den Händen bist du mir gewachsen, darin ich dich trug, doch meine Seele, noch hält sie dich inne, daß sie wache deines Lebens. Oh, ich wußte es vordem, eh du es wußtest, ich sah es, eh du es schautest, seit Monden schon: es ist ein Schatten auf dein Antlitz gefallen und eine Sorge in deine Seele. Du bist fremd worden deinen Freunden und abseits der Fröhlichen, den Markt meidest du und der Menschen Haus. In Gedanken vergräbst du und des Lebens versäumest du dich. Jeremias, besinne dich, zum Priester bist du gezogen, dein harret des Vaters Gewand, daß du lobpreisest den Herrn mit Psalter und Gesang. Heb auf dein Antlitz vom Dunkel in den Tag, es ist Zeit, daß du bauest dein Leben, daß du beginnest dein Werk!
JEREMIAS:
Nicht ist Zeit jetzt des Beginnens! Zu nah ist das Ende!
DIE MUTTER:
Es ist Zeit! Es ist Zeit! Mannbar bist du des langen, eines Weibes verlanget dies Haus und der Kinder, damit erweckt sei deines Vaters Bild.
JEREMIAS (in grimmigem Schmerz):
Ein Weib heimführen in Wüstung? Kinder zeugen dem Würger? Wahrlich, nicht bräutlich nahet die Stunde!
DIE MUTTER:
Ich faß dich nicht.
JEREMIAS:
Soll ich bauen ein Haus in den Abgrund und mein Leben in den Tod? Soll ich säen der Fäulnis und lobpreisen die Vernichtung? Ich sage dir, Mutter, wohl dem, der sein Herz nicht hängt jetzt ans Lebendige, denn wer atmet diesen Tag, trinkt schon von seinem Tod.
DIE MUTTER:
Welch ein Wahn ist über dir? Wannen war sanfter die Zeit, wann stiller im Frieden dies Land?
JEREMIAS:
Nein, Mutter, sie sagen Friede und Friede, die Toren, aber es ist darob kein Friede noch, und sie legen sich nieder und vermeinen Schlaf, die Arglosen, und schlafen schon in ihren Tod. Mutter, eine Zeit ist nahe wie keine gewesen je in Israel, und ein Krieg, wie noch keiner über Erden gefahren! Eine Zeit, daß neiden werden die Lebendigen die Toten in der Grube um ihren Frieden und die Schauenden die Blinden um ihr Dunkel. Noch ist es nicht sichtig den Toren, noch ist es nicht offenbar den Träumern, doch ich, ich hab es geschauet Nacht um Nacht. Immer höher brennet der Brand, immer näher nahet der Feind, er ist da, der Tag des Getümmels und der Zertretung, schon steiget des Krieges rot Gestirn aus der Nacht.
DIE MUTTER:
Entsetzen ... wie wüßtest du's?...
JEREMIAS:
Ein Wort, ein heimlich Wort ist über mich kommen,
Da ich Gesichte beschaute des Nachts
Und irrging in Träumen.
Furcht und Bangnis fiel über mich,
Meine Gebeine erbebten wie eine Klapper,
Und gleich rissiger Mauer
Einstürzte mein Herz. –
Mutter,
Ich habe Dinge gesehen,
Wenn die stünden geschrieben,
Würde starren der Menschen Haar
Und der Schlaf fallen wie Asche
Von ihrem Gesicht.
DIE MUTTER:
Jeremias ... was ist über dich ...
JEREMIAS:
Das Ende nahet, das Ende,
Es fahret aus
Dräuend von Mitternacht,
Feuer sein Wagen,
Würgung sein Flug!
Schon rauschen Schrecknis die heiligen Himmel,
Schon bebt die Erde von Donner und Huf.
DIE MUTTER (im Entsetzen):
Jeremias!
JEREMIAS (sie anfassend, lauschend):
Hörst du ... hörest du nicht, es rauschet, es rauschet schon nah ...
DIE MUTTER:
Nichts höre ich! Es morgent. Hirtenflöten wachten im Tal, und ein klein Wind umspielet das Dach.
JEREMIAS:
Ein klein Wind?
Wehe, wehe!
Gewaltigen Rauschens
Wächst er empor,
Sturmwind von Gott.
Aus dem Geklüfte
Der Mitternacht
Kommt er gefahren,
Schrecknis schwingt er
Über die Stadt.
Mutter! Mutter! Hörst du es nicht:
Schwert klirrt im Wind,
Räder rollt die rauschende Welle,
Lanze blinkt und Harnisch die Nacht,
Krieger und Krieger, unendliche Scharen
Schüttet der Sturmwind über das Land.
DIE MUTTER:
Wahnwitz von Träumen! Wirrnis und Trug!
JEREMIAS:
Es nahet, es nahet,
Fremd Volk,
Mächtig und alt
Aus dem Osten der Erde,
Unendliche Fülle
Rauschen sie an,
Wie Blitz fliegen weit ihre windigen Pfeile,
Ihre Rosse sind alle mit Eile behufet,
Ihre Wagen starr wie die Felsen geschient.
Und inmitten ausfähret
Mit blutiger Krone
Der Stürzer der Städte,
Der Zünder der Brände,
Der Zwingherr der Völker,
Der König, der König von Mitternacht.
DIE MUTTER:
Der König von Mitternacht ... Du träumest ... der König von Mitternacht.
JEREMIAS:
Den Er erweckte,
Den Er erwählte,
Als harten Vollstrecker
Härtesten Spruchs,
Daß er strieme das Volk um all seiner Fehle,
Daß er mahle die Mauer und berste die Türme,