Dr. Daniel Staffel 2 – Arztroman. Marie Francoise
warf.
»Ich hab’ sie ja wohl nicht mehr alle«, knurrte er sich kopfschüttelnd an, dann holte er eine neue Spritze, steckte eine keimfreie Injektionsnadel auf und zog den Inhalt der letzten noch unangebrochenen Ampulle auf. Das würde reichen, um ihm eine ruhige Nacht zu gewähleisten, und die hatte er bitter nötig.
Gerade als Dr. Scheibler eine Vene an seinem Arm ausgewählt hatte, klingelte es an der Wohnungstür.
»Es ist offen!« rief er.
Im nächsten Moment trat Rabea Gessner ein und erfaßte die Lage mit einem Blick – wie sie zumindest dachte. Sie sah nur die zehn leeren Ampullen und Dr. Scheibler mit der Spritze in der Hand. Offensichtlich war er gerade im Begriff, sich den Inhalt derselben intravenös zu verabreichen.
»Gerrit! Nein!« rief Rabea und war im nächsten Moment neben ihm, um ihm die Spritze aus der Hand zu reißen. »Bist du denn verrückt geworden? Kein Problem kann so schwerwiegend sein, daß man sich deshalb umbringen muß!«
Dr. Scheibler lächelte. »Das hatte ich ja gar nicht vor. Ich wollte nur endlich mal wieder richtig schlafen.« Und dabei verschwieg er, wie nahe er tatsächlich schon daran gewesen war, genau das zu tun, was Rabea jetzt vermutet hatte.
»Und was ist das?« fragte sie und wies auf die zehn leeren Ampullen.
»Vergiß es«, meinte Dr. Scheibler. »Ich war ein paar Minuten lang nicht Herr meiner Sinne.«
»Du wolltest es also doch tun«, vermutete Rabea, während sie sich neben ihn setzte und impulsiv seine Hand ergriff.
Dr. Scheibler schüttelte den Kopf. »Nein, Rabea, nicht wirklich. Ich war nur so einsam und dann dieses Schlafmittel… einen Moment lang stellte es für mich eine Versuchung dar, aber dann habe ich wieder zu denken begonnen.«
Erschüttert sah Rabea ihn an. »Gerrit, um Himmels willen, was ist denn bloß passiert?«
Dr. Scheibler seufzte. »Thiersch hat mich gefeuert, das heißt… er hat mich mehr oder weniger gezwungen zu kündigen.«
»Dann ist es also wahr«, meinte Rabea. »Ich wollte es nicht glauben.«
Dr. Scheibler runzelte die Stirn. »Was ist wahr?«
»Daß du dem Oberarzt der
Thiersch-Klinik einen Fehler unterstellen wolltest«, antwortete Rabea.
Fassungslos starrte Dr. Scheibler sie an. »Woher weißt du das denn?«
»Wenn es um so etwas geht, ist München nur ein Dorf«, entgegnete Rabea. »Die Cousine einer Studienfreundin von mir ist Krankenschwester an der Thiersch-Klinik.«
»Und vermutlich hat sie noch mehr Cousinen an anderen Kliniken in München«, warf Dr. Scheibler voller Bitterkeit ein. »Deshalb bekomme ich jetzt eine Absage nach der anderen.«
»Wundert dich das? Meine Güte, Gerrit, welcher Chefarzt will einen solchen Quertreiber schon in seinem Team haben?«
»Danke!« fauchte Dr. Scheibler sie an. »Nur zu deiner Information: Ich bin überhaupt kein Quertreiber! Ich wollte einer Frau helfen und… verdammt, ja, natürlich, ich wollte auch Oberarzt werden.«
»Das vor allen Dingen«, vermutete Rabea. »Schon damals, als wir noch zusammen waren, wolltest du Oberarzt werden. Und es konnte dir gar nicht schnell genug gehen.« Sie schüttelte den Kopf. »Dein Ehrgeiz wird dich noch mal umbringen, Gerrit.«
»Wenn du mir weiterhin solchen Mut zusprichst, dann mit Sicherheit«, entgegnete Dr. Scheibler bissig. Er wies auf die zehn leeren Ampullen, die noch immer am Tisch standen. »Ich habe das Zeug noch in der Wohnung. Wenn ich es mir jetzt – verschmutzt, wie es inzwischen obendrein ist – intravenös spritze, dann wird jede Hilfe für mich unweigerlich zu spät kommen.«
»Rede keinen Unsinn, Gerrit!« wies Rabea ihn scharf zurecht. »Nur weil du aus der Thiersch-Klinik geflogen bist und nicht gleich wieder Arbeit findest…«
»So, wie es aussieht, werde ich niemals wieder Arbeit finden«, fiel Dr. Scheibler ihr niedergeschlagen ins Wort, »jedenfalls nicht als Arzt.« Er konnte ein trockenes Aufschluchzen nicht unterdrücken. »Und ich will meinen Beruf nicht wechseln! Ich bin nun mal mit Leib und Seele Arzt! Ein einziger Fehler kann mir doch nicht das Genick brechen.«
»Muß es denn unbedingt München sein?« fragte Rabea. »In den umliegenden Kliniken hat es sich bestimmt noch nicht herumgesprochen.«
»Was soll ich in einer Wald- und Wiesenklinik auf dem Land?« widersprach Dr. Scheibler heftig.
»Kranken Menschen helfen«, antwortete Rabea schlicht. »Oder glaubst du, die gibt es nur in der Stadt? Wenn du wirklich mit Leib und Seele Arzt bist, dann muß es dir egal sein, wo du arbeitest.«
Dr. Scheibler errötete. Natürlich hatte Rabea recht, aber er wollte eben nicht in einer winzigen Klinik auf dem Land versauern. Er wollte Oberarzt werden und irgendwann Chefarzt, und er wollte einen Namen haben, den man mit Achtung aussprach – so, wie den von Professor Thiersch beispielsweise. Das konnte er aber nur erreichen, wenn er wieder an eine namhafte Klinik kommen würde.
»Bei dir steht nicht der kranke Mensch an erster Stelle, sondern deine Karriere«, erklärte Rabea, als hätte sie seine Gedanken gelesen.
Wieder errötete Dr. Scheibler.
»Was willst du eigentlich?« fuhr er Rabea in seiner Verlegenheit an. »Mich fertigmachen?«
»Nein, Gerrit, absolut nicht. Ich will nur, daß du endlich begreifst, was wirklich wichtig im Leben ist.«
Dr. Scheibler senkte den Kopf. »Also schön. Ich werde mich auch an den umliegenden Krankenhäusern bewerben.«
»Du könntest natürlich auch in eine andere Stadt gehen«, schlug Rabea ihm vor. »Stuttgart, Karlsruhe, Köln, Dresden – Deutschland ist groß, und ich bin sicher, daß sich der Vorfall in der Thiersch-Klinik nicht überall herumgesprochen hat.«
Dr. Scheibler seufzte. »Daran habe ich natürlich auch schon gedacht, aber… ich würde ungern von München weggehen.« Er zuckte die Schultern. »Irgendwie hänge ich an dieser Stadt.«
Rabea nickte. »Das kann ich verstehen. ich lebe auch gern hier.« Sie überlegte einen Moment. »Es gäbe noch eine dritte Möglichkeit. Du könntest versuchen, noch einmal mit Professor Thiersch zu sprechen.«
»Aussichtslos«, entgegnete Dr. Scheibler. »Du hast ihn doch auch schon kennengelernt. Ich würde nicht einmal bis zu seinem Büro kommen. Weißt du, was er mir zum Abschied gesagt hat? ›Ich habe Ihre Arbeit sehr geschätzt, Scheibler, aber jetzt will ich Sie nie mehr sehen.‹ Nein, Rabea, ein Besuch bei Professor Thiersch wäre völlig vergeblich. Dieser Mann ist unerbittlich, und das wäre er auch, wenn ich auf Knien bettelnd zu ihm käme.«
*
Nach langem Überlegen hatten sich Patricia und Oliver Gerhardt für einen Urlaub auf den Kanarischen Inseln entschlossen. Die erste Station sollte Gran Canaria sein, und bereits in der ersten Woche stellte Patricia fest, daß sie das Zusammensein mit Oliver sehr genoß – mehr als in den beiden letzten Jahren. Es war eine ganze Weile her, seit sie sich ihrer Liebe zum letzten Mal so bewußt gewesen war.
Überhaupt wirkten sich Sonne und Meer recht günstig auf Patricias Stimmung aus, obwohl sie sich in Gedanken noch immer viel zu oft mit dem Gedanken an ein Baby beschäftigte und sich immer wieder dabei ertappte, wie sie ihren Körper beobachtete und sich fragte, ob in diesem Moment wohl ein Eisprung erfolgen würde.
Auch jetzt lag sie am Strand und träumte davon, daß ihr Zusammensein mit Oliver endlich die langersehnten Früchte tragen könnte. Die heranrollenden Wellen umspielten sanft ihre Beine, Wind und Sonne streichelten ihre Haut.
Ein paar Meter von ihr entfernt saß Oliver vor seiner Staffelei und malte. Seit er hier auf Gran Canaria war, hatte er die Liebe zur Malerei wiederentdeckt. Vor einigen Jahren war das sein großes Hobby gewesen, und eine Weile hatte er sogar daran gedacht, die Malerei zu seinem Beruf zu machen, doch der Erfolg war nicht sehr groß gewesen. Anscheinend