Dr. Daniel Staffel 2 – Arztroman. Marie Francoise

Dr. Daniel Staffel 2 – Arztroman - Marie Francoise


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schüttelte den Kopf. »Es ist alles andere als eine Sünde, Frau Kraus. Sie sind ein sehr gläubiger Mensch. Also, warum hätte der liebe Gott zweierlei Geschlecht geschaffen, wenn die körperliche Liebe Sünde wäre?«

      »Das ist sie auch nicht«, meinte Michaela. »Aber eben erst nach der Eheschließung.«

      »Sie sind jetzt verheiratet und empfinden das Zusammensein mit Ihrem Mann trotzdem als Sünde.«

      »Ja, weil wir vorher schon in Sünde zusammen waren.«

      Dr. Daniel atmete tief durch. »Ich glaube, wir sind jetzt an einem Punkt, wo Ihr Mann in das Gespräch mit einbezogen werden sollte.«

      Heftig schüttelte Michaela den Kopf. »Nein! Rudi darf von alldem nichts erfahren! Schauen Sie, Herr Doktor, ich habe ihm von Anfang an etwas vorgespielt. Er ahnt nichts von meiner Einstellung und hat keine Ahnung, daß ich die Liebe nicht genießen kann. Ich glaube, wenn Rudi die Wahrheit erfahren würde, dann wäre das das Ende unserer Ehe.«

      »Mit Sicherheit nicht«, entgegnete Dr. Daniel. »Wenn Ihr Mann Sie wirklich liebt – und davon gehe ich aus –, dann könnte ein derartiges Geständnis diese Liebe niemals zerstören. Allerdings respektiere ich Ihren Wunsch.« Er überlegte, wie er Michaela aus diesem Dilemma heraushelfen könnte. »Hätten Sie etwas dagegen, wenn ich Hochwürden Wenninger zu unserem nächsten Gespräch bitten würde? Gerade in Glaubensfragen ist er weitaus kompetenter als ich.«

      Michaela zögerte. Die Aussicht, daß ein Geistlicher von ihrem sündigen Leben erfahren könnte, war für sie nicht gerade verlockend. Sie hatte ihr Vergehen zwar schon gebeichtet, aber es war trotzdem ein Unterschied, ob sie hier in der Praxis mit dem Pfarrer sprach oder in der Anonymität des Beichtstuhls. Andererseits wäre Hochwürden Wenninger vielleicht der einzige, der ihre vielen Zweifel beiseite schieben könnte.

      »Ich bin einverstanden«, erklärte sie schließlich, und dabei hörte Dr. Daniel die Hoffnung heraus, die in ihrer Stimme mitschwang.

      *

      Als Dr. Daniel nach der Sprechstunde in seine Wohnung hinaufkam, duftete es nach frisch aufgebrühtem Kaffee. Ein Lächeln huschte über das Gesicht des Arztes. Offensichtlich war seine Schwester endlich aus Kiel zurückgekehrt.

      »Irene?« rief er fragend.

      »Tut mir leid, damit kann ich nicht dienen«, entgegnete eine männliche Stimme.

      Dr. Daniel runzelte die Stirn, dann riß er die Küchentür auf.

      »Wolfgang!« stieß er überrascht hervor. »Wie kommst du hier herein?«

      Dr. Wolfgang Metzler wandte sich ihm grinsend zu. »Durch die Tür.«

      »Na, das war ja nun wirklich eine intelligente Antwort«, entfuhr es Dr. Daniel. »Lernt man so etwas in Amerika?«

      Dr. Metzlers Grinsen vertiefte sich noch. »Nein, weder in Amerika noch in Japan oder China. Das war ein Scherz Marke Eigenbau.« Dann wurde er ernst. »Deine Empfangsdame war so freundlich, mich in die Praxis zu lassen. Da du aber noch beschäftigt warst, hat sie mich heraufgeschickt. Und die Wohnungstür war nicht abgesperrt.«

      Dr. Daniel seufzte. »Entschuldige den unfreundlichen Empfang, Wolfgang, aber ich habe einen anstrengenden Tag hinter mir. Die Vormittagssprechstunde dauerte bis nach eins und jetzt…« Er seufzte wieder. »Jetzt ist es auch schon gleich acht.« Dann warf er einen Blick zu der Kaffeekanne, die auf der Arbeitsfläche stand. »Hast du für mich auch eine Tasse gemacht?«

      Dr. Metzler nickte. »Natürlich, Robert.« Er sah den Mann an, der ihm nach dem frühen Tod seines Vaters eine Art großer Bruder geworden war. »Du fühlst dich sehr einsam, nicht wahr?«

      »Ja, Irene fehlt mir ganz gewaltig«, gab Dr. Daniel zu. Er senkte den Kopf. »Du weißt ja, daß ich nach Christines Tod für fünf Jahre nach München gegangen bin. Und als ich mich endlich dazu durchringen konnte, hierher zurückzukehren, war Irene bei mir. Sicher, in den vergangenen Monaten ist sie öfter mal nach Kiel abgebraust, aber so lange war sie noch nie weg.« Er seufzte, dann winkte er ab. »Meine Güte, ich langweile dich da mit meinen Sorgen.« Dann versuchte er ein Grinsen, das etwas mißlang. »Ich glaube, ich werde langsam senil.«

      Dr. Metzler lachte auf. »Du doch nicht! Menschenskind, Robert, du bist erst fünfzig.«

      Mit einer müden Handbewegung fuhr sich Dr. Daniel über die Augen. »Ich weiß, aber heute… heute fühle ich mich wie ein alter Mann. Wahrscheinlich ist es diese unerträgliche Hitze.«

      Dr. Metzler nickte. »Sie macht uns allen zu schaffen. Es ist aber auch kein Wunder. Nicht einmal nachts kühlt es noch richtig ab.« Er schwieg kurz. »Wie geht es Karina und Stefan?«

      »Stefan steckt mitten im Examen«, antwortete Dr. Daniel, dann sah er Wolfgang mit forschendem Blick an, während er fortfuhr: »Und Karina hat ihr Studium aufgegeben.«

      Dr. Metzlers Überraschung war nicht gespielt. »Wie bitte?« Er schüttelte den Kopf. »Das ist doch nicht die Möglichkeit! Nach sechs Semestern will sie aufhören?«

      Dr. Daniel zog die Augenbrauen hoch. »Du bist ja bestens informiert.«

      »Was soll das heißen?« fragte Dr. Metzler erstaunt, dann dämmerte es ihm. »Ach so.« Er schüttelte den Kopf. »Nein, mein lieber Robert, ich bin gar nicht informiert, aber ich kann zufälligerweise rechnen. Karina ist jetzt zweiundzwanzig, das heißt, daß sie seit ungefähr drei Jahren studiert.« Dann sah er Dr. Daniel prüfend an. »Sag mal, warum bist du heute so aggressiv? Ist es wirklich nur die Hitze, oder hast du plötzlich was gegen mich?«

      Dr. Daniel seufzte. »Ach, vergiß es einfach, Wolfgang. Ich weiß auch nicht, was mit mir los ist. Die viele Arbeit, die Hitze, Karinas Studium… das alles setzt mir ganz schön zu.« Er winkte ab. »Erzähl lieber von dir. Wie kommst du zurecht als Werksarzt der CHEMCO?«

      Dr. Metzler zuckte die Schultern. »Es ist nicht gerade ein Traumjob, aber das wußte ich ja von vornherein. Aber mein großes Ziel habe ich noch nicht aus den Augen verloren, falls du darauf hinauswillst.«

      Dr. Daniel lächelte. »Eine eigene Klinik. Ach, Wolfgang, ich fürchte, irgendwann wirst du doch die Praxis von Dr. Gärtner übernehmen, und dein Traum von der Klinik wird in immer weitere Ferne rücken.«

      Hartnäckig schüttelte Dr. Metzler den Kopf. »Ganz bestimmt nicht. Seit mein Vater in der CHEMCO ums Leben gekommen ist, will ich diese Klinik bauen.«

      »Ja, Wolfgang, damals warst du ein fünfzehnjähriger Junge, und du hast mitbekommen, daß dein Vater überlebt hätte, wenn eine geeignete Klinik in der Nähe gewesen wäre. Jedes Kind in deinem Alter hätte danach von einer Klinik geträumt. Aber jetzt bist du erwachsen…«

      »Und ich bin Arzt«, vollendete Dr. Metzler ernst. »Ich habe jahrelang auf mein großes Ziel hingearbeitet. Ich habe die Assistenzzeit bei Professor Thiersch hinter mich gebracht. Du kennst ihn, Robert, und du weißt, was er seinen Assistenz-ärzten abverlangt. Aber damit war meine Lehrzeit noch nicht zu Ende. Ich hatte sowohl in Amerika als auch in Japan und China ähnlich strenge Chefärzte, die von mir immer das Äußerste forderten. Und jetzt… jetzt bin ich bereit für eine eigene Klinik.« Er schwieg kurz, dann setzte er voller Überzeugung hinzu: »Ich werde sie bauen, das schwöre ich dir.«

      Und spätestens in diesem Moment begriff Dr. Daniel, warum sich Karina in einen Mann hatte verlieben können, der siebzehn Jahre älter war als sie und völlig unerreichbar schien. Dr. Sommer hatte recht – es war Wolfgangs Ausstrahlung. Auf ein junges Mädchen mußte er wie ein Held wirken. Und dazu kam auch noch sein blendendes Aussehen – das markante Gesicht, die dichten dunklen Locken und die sanften rehbraunen Augen. Es war wirklich kein Wunder, daß sich Karina auf Anhieb in diesen Mann verliebt hatte.

      *

      Durch die wochenlang anhaltende Hitze wurde die Arbeit im Steinhausener Chemiewerk CHEMCO immer beschwerlicher. Nicht genug damit, daß sich die Wärme von draußen schon in alle Räume gelegt hatte und einen Aufenthalt dort immer unerträglicher machte – in den meisten Labors wurde darüber hinaus auch noch mit Bunsenbrennern gearbeitet.


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