Dr. Daniel Staffel 2 – Arztroman. Marie Francoise
tot – das ist schlimm genug. Wie grausam er sterben mußte, braucht Carmen nicht auch noch zu erfahren.«
Dr. Metzler nickte. »Das ist auch meine Meinung. Und damit sind wir genau beim Thema, das mir am Herzen liegt. Brücks Tod darf nicht umsonst gewesen sein. Ich werde jetzt mit aller Macht auf den Bau einer Klinik drängen.« Er sah Dr. Daniel fordernd an. »Wenn du mir deine Unterstützung versagst, dann weiß ich nicht, was ich von dir halten soll.«
»Natürlich kanst du mit meiner Unterstützung rechnen«, erklärte Dr. Daniel, ohne zu zögern. »Wenn ein Krankenwagen von der Kreisstadt bis hierher unter Umständen eine halbe Stunde brauchen kann, dann ist eine Klinik für Steinhausen kein Luxus mehr. In einer Chemiefabrik kann es nun mal zu schweren Unfällen kommen, und da darf es zumindest im Transport zur nächsten Klinik keine Verzögerungen geben.«
Dr. Metzler lächelte. »Ich wußte, daß du so reagieren würdest, und deine Stimme hat in Steinhausen Gewicht.«
Bescheiden winkte Dr. Daniel ab. »Sei dir da nur nicht so sicher, Wolfgang. Ich fürchte, daß wir bei unseren Stadtvätern auf Granit beißen werden.«
Dr. Daniel hatte mit seiner Meinung nicht unrecht. Als er und Dr. Metzler am nächsten Morgen den Bürgermeister aufsuchten und ihr Anliegen vortrugen, blieben dem guten Mann zum ersten Mal seit Amtsantritt die Worte buchstäblich im Halse stecken.
»Eine Klinik in Steinhausen?« brachte er nach Minuten des Schweigens endlich hervor. »Ich glaube, Sie sind verrückt geworden! Steinhausen ist nichts weiter als ein großes Dorf, und das Kreiskrankenhaus ist nur einen Katzensprung entfernt.«
»Dieser Katzensprung hat Gerold Brück das Leben gekostet«, entgegnete Dr. Metzler hart. »Der Krankenwagen benötigte dafür nämlich trotz Blaulicht und Martinshorn fast eine halbe Stunde.«
Bürgermeister Schütz wurde blaß. Natürlich hatte auch er längst von dem tragischen Unglück in der CHEMCO gehört, aber daß Gerold Brücks Tod durch eine raschere Einlieferung ins Krankenhaus hätte verhindert werden können, war ihm neu.
»Wenn das so ist…«, begann er, dann zupfte er nervös an seinem rechten Ohrläppchen – wie er es immer tat, wenn er scharf nachdachte.
»Also schön«, meinte er endlich. »Angenommen, ich würde Ihnen bei der Genehmigung Ihrer Pläne keine Schwierigkeiten machen, und ebenfalls angenommen, auch das Landratsamt würde seine Einwilligung erteilen – wo soll die Klinik stehen, und wer kann den Bau finanzieren?« Er sah Dr. Daniel an. »Sie vielleicht?«
»Ich nage zwar nicht am Hungertuch«, erklärte Dr. Daniel. »Es ist sogar so, daß meine Frau mir eine nicht unerhebliche Summe hinterlassen hat, aber für einen Klinikbau reicht es in keinem Fall. Ein Teil dürfte sich vielleicht durch ein Darlehen finanzieren lassen. Möglicherweise kommen auch Spendengelder in Betracht. Ich könnte mir vorstellen, daß es in Steinhausen einige Einwohner gibt, die sich in dieser Beziehung nicht lumpen lassen – mich eingeschlossen. Die Entstehung einer Klinik wäre mir einiges wert. Den Rest könnte die Gemeinde tragen. Immerhin profitiert auch sie davon, nicht wahr?«
Das runde, gutmütige Gesicht des Bürgermeisters wurde abwechselnd rot und weiß, dann schüttelte er heftig den Kopf.
»Unmöglich!« stieß er hervor. »Die Gemeinde hat keine Reserven mehr. Wir hatten in den vergangenen Jahren hohe Ausgaben. Die Straßen mußten saniert werden und…«
»Tja, dann wird die Finanzierung allerdings schwierig«, fiel Dr. Daniel ihm ins Wort, bevor er zu noch ausschweifenden Erklärungen ansetzen konnte.
»Könnte uns die Gemeinde wenigstens das Grundstück zur Verfügung stellen?« hakte Dr. Metzler nach.
Wieder zupfte Bürgermeister Schütz an seinem Ohrläppchen, das mittlerweile ziemlich rot geworden war.
»Nun ja, darüber könnte man vielleicht sprechen«, räumte er ein. »Allerdings erst, wenn die Finanzierung geklärt ist.«
»Damit stehen wir wieder am Anfang«, meinte Dr. Daniel, dann stand er auf. »Gut, Herr Bürgermeister, wir werden sehen, was sich machen läßt.«
»Bist du verrückt?« hielt Dr. Metzler ihm vor, als sie vor dem Rathaus standen. »Mit Spenden und einem Darlehen allein können wir nie und nimmer eine Klinik finanzieren! Die Gemeinde muß uns helfen!«
Dr. Daniel schüttelte den Kopf. »Wird sie aber nicht, Wolfgang. Wir müssen es aus eigener Kraft schaffen, oder wir können die Sache gleich vergessen.«
Dr. Metzler brauste auf. »Eine Klinik in Steinhausen ist kein Luxus, sondern eine dringende Notwendigkeit!«
»Das wissen wir beide, aber…« Dr. Daniel rieb sich nachdenklich das Kinn. »Wer weiß, vielleicht gelingt es uns ja, auch andere davon zu überzeugen.«
*
»Wolfgang will die Klinik tatsächlich bauen?«
In Karina Daniels Augen lag bei diesen Worten ein schwärmerischer Glanz.
»Moment, junge Dame«, wehrte Dr. Daniel ab. »Im Augenblick sprechen wir nur darüber. An einen Bau ist noch lange nicht zu denken.«
Karina lehnte sich zurück. Ihr Lächeln vertiefte sich.
»Er wird es schaffen, davon bin ich überzeugt.«
Stefan verdrehte die Augen.
»Die Liebe!« stöhnte er theatralisch, dann tippte er sich mit einem Finger an die Stirn. »Du schnappst noch über vor lauter Heldenverehrung für deinen Dr. Metzler.«
»Sprich nicht so!« wies Karina ihn zurecht.
»Ja, Stefan, das war wirklich nicht nett«, stimmte Stefans Freundin Rabea Gessner zu. Sie war heute ausnahmsweise mit nach Steinhausen gekommen, bereute es aber schon fast, weil sie eigentlich für ihr bevorstehendes Examen zu arbeiten hatte.
»Ja, haltet nur zusammen», erklärte Stefan, dann wandte er sich seinem Vater zu. »Sag mal, Papa, diese Geschichte mit der Klinik – das meint ihr doch nicht ernst, oder?«
»Doch, Stefan, damit ist es uns sogar sehr ernst«, entgegnete Dr. Daniel. »Gerold Brück wäre noch am Leben, wenn wir hier eine Klinik gehabt hätten.« Er warf einen kurzen Blick zu der geschlossenen Wohnzimmertür. »Ich möchte euch aber bitten, das niemals vor Carmen zu erwähnen. Ich habe ihr nämlich verschwiegen, wie ihr Vater ums Leben gekommen ist.«
»Das arme Mädchen.« In Rabeas Stimme lag ehrliches Mitleid. »Was wird denn jetzt aus der Kleinen? Muß sie ins Heim?«
Dr. Daniel schüttelte den Kopf. »Ich denke nicht. Carmen hat keine Verwandschaft. Ihre Großeltern sind tot, und weder Mutter noch Vater hatten Geschwister. Sie steht also völlig allein auf der Welt, und deshalb habe ich das Sorgerecht für sie beantragt.«
Völlig fassungslos starrten Karina und Stefan ihren Vater an.
»Du hast… was?« brachte Stefan endlich hervor, dann schüttelte er den Kopf. »Du bist ja verrückt, Papa. Was willst du in deinem Alter noch mit einem fünfzehnjährigen Mädchen anfangen?«
»Ich will sie ja nicht heiraten«, entgegnete Dr. Daniel mit unüberhörbarem Sarkasmus in der Stimme.
Stefan errötete. »So war das auch nicht gemeint.«
»So hat es sich aber angehört«, meinte sein Vater. »Wenn eure Mutter mit dreiunddreißig Jahren noch ein Kind bekommen hätte, dann wäre dieses Kind jetzt fünfzehn. Ich fühle mich für die Vaterrolle also beileibe nicht zu alt.«
»Ich weiß gar nicht, was ihr habt«, mischte sich Rabea ein. »Ich finde es einfach toll, daß euer Vater sich um ein fremdes Kind so bemüht.«
Dr. Daniel lächelte. »Danke, Fräulein Rabea, Ihre Worte haben mir jetzt ausgesprochen gutgetan.« Er schwieg kurz. »Und ganz fremd ist Carmen mir auch nicht. Ich kannte ihre Eltern verhältnismäßig gut. Als meine Frau noch lebte, haben wir mit den Brücks gelegentlich etwas unternommen. Und auch später blieben Gerold und ich in Kontakt.«
»Und