Unter Palmen und Buchen. Gerstäcker Friedrich
aber – er verstand nicht, sich mit ihnen zu beschäftigen, und suchte deshalb Unterhaltung bei Karten und Billard.
Und wie verständig und lieb betrug sich seine Frau dabei! Er mochte noch so spät Abends zum Essen kommen, nie zeigte sie ihm ein unfreundliches Gesicht, nie frug sie ihn, wo er heute so lange gewesen. Die Kinder – wenigstens das jüngste – waren dann schon meist zu Bett gebracht; er konnte ihnen nicht einmal mehr »gute Nacht« sagen, und ärgerlich über sich selber – so sehr er auch vermied es sich selber einzugestehen – verzehrte er schweigend sein Abendbrod.
Das waren die Momente, wo ihm der älteste Knabe ängstlich aus dem Weg ging, denn hatte er irgend etwas versäumt, und der Vater erfuhr es in einer solchen Stunde, dann konnte er sehr böse und sehr heftig werden – und die arme Mutter litt besonders schwer darunter.
Wie oft nahm er sich vor, die Abende in seiner Familie, bei den Seinen zuzubringen, und er wußte ja, wie sich seine Frau darüber gefreut haben würde. So lieb und gut sie dabei mit den Kindern war, so sorgsam sie auf Alles achtete, was dem Gatten eine Freude machen oder zu seiner Bequemlichkeit dienen konnte, so verständig war sie in jeder andern Hinsicht, und es gab Nichts, worüber sich nicht ihr Mann hätte mit ihr unterhalten mögen, Nichts, worin sie nicht im Stande gewesen wäre, einen vernünftigen Rath zu ertheilen. Er kannte und schätzte diese Eigenschaften an ihr – er liebte sie dafür nur desto mehr, aber – wenn der Abend, wenn die Zeit kam, wo er wußte, daß sich die Spieltische besetzten oder die gewöhnliche quatre tour zusammenkam, dann ließ es ihn nicht länger zu Hause ruhn.
Seine Frau war die letzten Jahre kränklich geworden, da sie aber nie gegen ihn klagte und ein häufiger wiederkehrendes Unwohlsein stets so viel als möglich vor ihm verbarg, um ihm die wenigen kurzen Stunden nicht zu verbittern, die er bei ihnen zubrachte, achtete er selber nicht viel darauf, oder hielt es doch keineswegs für gefährlich. Er hatte in der That sehr viel zu thun und den Kopf zu Zeiten voll genug – nur seiner Frau daheim hätte er es nicht sollen entgelten lassen. Sobald er das aber ja einmal fühlte, wollte er es auch stets wieder gut machen, und überhäufte sie mit Geschenken – ja, wo er einen Wunsch an ihren Augen ablesen mochte, erfüllte er ihn – soweit er eben mit Geld erfüllt werden konnte – nur seine Abende widmete er ihr nicht. – Er wollte auch eine Erholung haben, wie er meinte, und in seiner Heftigkeit gegen die Seinen mäßigte er sich eben so wenig.
»Ihr müßt mich nehmen, wie ich nun einmal bin,« sagte er in einer halben Abwehr, in halber Entschuldigung; »Ihr wißt wie's gemeint ist,« und damit war die Sache für ihn abgemacht, aber nicht für die Frau.
Er war auch jetzt zu Zeiten, in Gegenwart Fremder heftig gegen sie, und fuhr sie rauh an. Er meinte es wirklich nicht so bös, wie die Worte klangen, aber es trieb ihr doch manchmal die Thränen in die Augen, so sehr sie sich auch dagegen stemmte, ihm zu zeigen, wie weh er ihr gethan.
So verging der Winter. Es war eine neue Gesellschaft in X. gegründet worden und Brethammer Vorstand dabei. Das Local wurde mit einem Ball eröffnet, und er hätte seine Frau gern dort mit eingeführt, ja er kaufte ihr ein ganz prachtvolles Ballkleid und that wirklich Alles, um sie zu überreden, ihm die Freude zu machen. Sie sagte ihm jetzt, daß sie unwohl sei, aber er wollte es ihr nicht glauben, und erst als sie ihm mittheilte, wie viel sie den letzten Herbst gelitten, und wie große Mühe sie sich gegeben, es nicht zu zeigen, erschrak er, und jetzt fiel ihm auch ihr bleicheres Aussehen, fielen ihm die eingefallenen Wangen auf. Aber er nahm es trotzdem leicht. Sie war schon oft unwohl gewesen und hatte sich immer wieder erholt, auch diesmal würde es sicher vorübergehen, wenn sie sich nur schonte. Es war unter solchen Umständen jedenfalls das Vernünftigste, daß sie nicht auf den Ball ging.
Der Winter verging, Bertha wurde in der That nicht kränker, aber sie blieb leidend, und ihr Gatte gewöhnte sich zuletzt an diesen Zustand. Er hatte anfangs seine Heftigkeit gemäßigt und sich Gewalt angethan – und ach, wie dankbar war ihm Bertha dafür! – auf die Länge der Zeit aber vergaß er das wieder – es war ja nicht mehr nöthig. Seine quatre tour und Scatpartie versäumte er aber nie und amüsirte sich ganz vortrefflich dabei. Kam er dann Abends nach Haus – ob er sich auch einmal um eine halbe oder ganze Stunde verspätet hatte – fand er den Tisch gedeckt, und war es so spät geworden, daß die Kinder zu Bett geschickt werden mußten, so setzte sich sein Weib mit ihm allein zum Essen nieder.
Im Frühjahr schienen Bertha's Leiden heftiger wiederzukehren, und der Arzt kam fast täglich, aber auch er sah keine Gefahr darin. Er wußte selber nicht, daß Bertha ihr Leiden leichter nahm, als es wirklich war, oder vielleicht mehr vor ihm verbarg, als sie hätte thun sollen; aber sie fürchtete, dem Gatten das Haus dadurch noch ungemüthlicher zu machen, und trug deshalb lieber Alles allein.
Eines Abends, im Mai, saß Dr. Brethammer wieder am Kartentisch und zwar in einem Garten, etwa drei Viertelstunden Wegs von X. entfernt, wohin die kleine Gesellschaft bei schönem Wetter allabendlich auswanderte, als ein Bote hereingestürzt kam und ihm einen kleinen Zettel überreichte. Es standen nur wenige Worte darauf:
»Komm zu mir. – Bertha.« Aber die Worte waren mit zitternder Hand geschrieben, und den Mann überkam, als er sie gelesen, eine ganz sonderbare Angst.
Was konnte da vorgefallen sein? war Bertha krank geworden? daß sie fortwährend krank gewesen, wollte er sich gar nicht gestehen, aber der Bote wußte weiter nichts. Man hatte ihn auf der Straße angerufen und gut bezahlt, damit er so schnell wie möglich diesen Brief übergeben sollte. – Mitten im Spiel hörte der Doctor auf, ein Beisitzender mußte dasselbe übernehmen, und so rasch ihn seine Füße trugen, eilte er in die Stadt zurück. Und er hatte nicht zu sehr geeilt – unten im Hause traf er sein Mädchen, die eben aus der Apotheke kam und verweinte Augen hatte.
»Was um Gotteswillen ist vorgefallen – meine Frau –?«
»O gehen Sie hinauf, gehen Sie hinauf!« rief das Mädchen. »Sie hat so danach verlangt, Sie noch einmal zu sehen.«
Der Mann wußte nicht, wie er die Treppe hinauf kam. Der Arzt stand neben dem Bett, streckte ihm die Hand entgegen, drückte sie leise und verließ das Zimmer, und neben dem Bett kniete der Unglückliche, die kalte Hand seines treuen Weibes mit Küssen und Thränen bedeckend.
»Mein Kuno,« flüsterte die zitternde Stimme, »o wie lieb das von Dir ist, daß Du noch einmal gekommen bist – mir ist nur so kurze Zeit geblieben – das Alles brach so schnell herein.«
»Bertha, Bertha, Du kannst – Du darfst mich nicht verlassen,« schluchzte der Mann und schlang seinen Arm krampfhaft um sie.
»Du thust mir weh,« bat sie leise, »fasse Dich Kuno, es muß sein – ich muß fort von Dir und den Kindern – o sei gut mit ihnen, Kuno – sei nicht so rauh und heftig mehr – sie sind ja lieb und brav, und Du, – hast sie ja auch so lieb.«
Der Mann konnte nicht sprechen. In der leisen, mit bebender Stimme gesprochenen Bitte lag ein so furchtbarer Vorwurf für ihn, daß er seinen Gefühlen, seiner Reue, seiner Zerknirschung nicht mehr Worte geben konnte. Nur seine Stirn preßte er neben die Sterbende auf das Bett, und ihre Hand lag auf seinem Haupt und drückte es leise an sich.
»Kuno,« hauchte ihre Stimme nach einer langen Pause wieder.
»Bertha, meine Bertha!« rief der Mann, sein Antlitz zu ihr hebend, »fühlst Du Dich besser?«
»Leb wohl!«
»Bertha!« stöhnte der Unglückliche, »Bertha!«
»Mach mir den Abschied nicht schwer,« bat die Frau, »die Kinder habe ich schon geküßt, ehe Du kamst – ich wollte noch mit Dir allein sein. Laß mich ausreden,« flehte sie, »mir bleibt nicht mehr viel Zeit und das Sprechen wird mir schwer – leb wohl, Kuno – habe noch Dank – tausend Dank für all das Liebe und Gute, was Du mir gethan – sei mir nicht bös, wenn ich vielleicht –«
»Bertha, um Gottes willen, Du brichst mir das Herz –«
»Es ist gut – es ist vorbei – es wird Licht um mich – leb' wohl Kuno – sei gut mit den Kindern – auf Wiedersehen!«
»Bertha!«