Unter Palmen und Buchen. Gerstäcker Friedrich
und schlief in ihrer damaligen Abspannung auch bald ein. Aber selbst schon in der Nacht kam ihr die Erinnerung des scheinbar Erlebten, und am nächsten Morgen, als das schon fast verschwommene Bild wieder klarer und deutlicher vor ihre Seele trat, malte sie sich die Einzelheiten mehr und mehr im Stillen aus, bis sie auch die kleinsten, unbedeutendsten Umstände wieder scharf und bestimmt herausgefunden hatte. – Aber sie erwähnte gegen ihren Gatten nichts davon.
Einmal wollte sie ihn nicht ängstigen, weil er jenem Phantasiegebild vielleicht zu viel Wichtigkeit beigelegt hätte, und dann – war sie selber noch nicht einmal mit sich im Klaren, ob es wirklich ein Phantasiegebild gewesen sei oder nicht. Sie fürchtete auch den Spott ihres Mannes, wenn sie ihm nur eine Andeutung gemacht hätte, daß sie eine solche Erscheinung für möglich halte, und grübelte dabei im Stillen weiter über das Geschehene.
In dieser Zeit, in welcher sie sich auch immer noch etwas angegriffen fühlte, ging sie wenig aus und da ihr Mann durch eine Masse dringender Geschäfte über Tag abgehalten wurde, ihr Gesellschaft zu leisten, las sie viel – jetzt aber am liebsten Bücher, die sich mit dem geistigen Leben des Menschen beschäftigten und oft Dinge besprachen, die ihr in ihrem überdieß aufgeregten und reizbaren Zustand weit besser fern gehalten wären. So kam ihr auch das Buch der Seherin von Prevorst in die Hände, und gab ihrem, schon außerdem zum Uebernatürlichen neigenden Sinn, nur noch mehr Nahrung.
Wenn es überhaupt auf Erden Menschen gab, die mit jener, von anderen Sterblichen nur geahnten Welt in unmittelbarer Verbindung standen, die mit ihren körperlichen Augen das sehen konnten was um sie her bestand, während es der Masse verborgen und unsichtbar blieb, warum sollte sie dann nicht auch zu diesen gehören können? – warum sollte gerade das, was sie deutlich und klar geschaut hatte, nur allein bei ihr eine Täuschung der Sinne gewesen sein? Daß aber etwas Aehnliches nicht allein möglich, sondern schon wirklich an den verschiedensten Orten geschehen sei, davon liefert ihr gerade die Seherin von Prevorst den sichersten Beweis, denn das Buch brachte beglaubigte Thatsachen, und immer fester wurzelte bei ihr die Ueberzeugung, daß auch sie zu jenen bevorzugten Wesen gehöre.
Keineswegs erweckte aber dies, sich nach und nach bei ihr bildende Bewußtsein, ihre Furcht vor dem, was ihr etwa noch begegnen könne. Im Gegentheil freute sie sich viel eher einer solchen Kraft, und beschloß sogar mit ruhigem kalten Blut Alles zu prüfen, was ihr in solcher Art an übernatürlichen Gebilden auftauchen und sichtbar werden sollte.
Trotz dieser geistigen Stärke, die sie gewonnen zu haben glaubte, litt aber doch ihr Körper unter der fast gewaltsam hervorgerufenen Aufregung, und wenn auch Bertling den wahren Grund nicht ahnte, konnte ihm doch nicht entgehen, daß seine Frau in der letzten Zeit sichtbar bleicher und leidender geworden sei. Er schrieb das aber dem vielen Stuben sitzen zu, und bat sie mehr an die frische Luft zu gehen und sich Bewegung zu machen. Ja er drang sogar in sie – was er sonst nie gethan – ihre verschiedenen Freundinnen einmal wieder aufzusuchen, und dann und wann auch bei sich zu sehen, da er mit Recht von einer solchen Zerstreuung wohlthätige Wirkung für sie hoffte.
Auguste, wenn sie auch nicht das Bedürfniß danach fühlte, beschloß doch seinen Wunsch zu erfüllen. Die langen Stunden, die sie daheim allein saß, wurden ihr selber zuletzt drückend, und außerdem hatte sie ja manche Bekannte, mit der sie recht gern verkehrte und wo sie wußte, daß sie gern gesehen war.
Am Besten von Allen hatte sie stets mit einer Jugendfreundin, der jetzigen Hofräthin Janisch, harmonirt; Pauline Janisch war eine prächtige junge Frau, aufgeweckt dabei und lebenslustig, und da sie in müssigen Stunden auch gern ein wenig schwärmte und ganz vorzüglich für alles Uebersinnliche leicht empfänglich war – ohne sich aber davon beherrschen zu lassen – fühlte sie sich zu dieser besonders hingezogen.
Pauline wohnte in der nämlichen Straße mit ihr; als sie dieselbe aber heute aufsuchte, bewegte sie sich in dem zwar kleinen, doch gewählten Kreis einer Caffeegesellschaft, wo allerdings nichts Uebersinnliches gesprochen wurde. Nur über die allergebräuchlichsten Themata solcher Zusammenkünfte fand eine Verhandlung statt, als da sind: Theater und was dazu gehört – nämlich das Privatleben der Bühnenmitglieder – Dienstboten-Noth, Sittengeschichte der Stadt mit Vorlage einzelner, besonders hervorzuhebender Beispiele, und Klagen über die Vergnügungen und Beschäftigungen der Männer außer dem Haus.
Erst das eintreffende Tageblatt gab der Unterhaltung – nachdem man zwei Verlobungsanzeigen und ein Heirathsgesuch gründlich betrachtet und erschöpft hatte – eine andere Wendung, und zwar durch einen wunderlichen Vorfall in der Stadt selber, der in dieser Nummer eine Erwähnung fand.
Ein in der äußersten Vorstadt gelegenes Haus nämlich, das früher einmal zu einer Knopffabrik benutzt worden, jetzt aber schon seit mehreren Jahren, durch das Scheitern des Unternehmens leer und verödet stand, war vor Zeiten in den Ruf gekommen, daß es dort umgehe, und man hatte sich Monde lang die merkwürdigsten Geschichten davon erzählt. Anderes kam aber dazwischen, das ganze Gebäude wurde außerdem nicht mehr benutzt, und da Niemand darin wohnte, schlief auch das Gerücht endlich ein, bis der jetzige Eigenthümer vor ganz kurzer Zeit die ziemlich vom Wetter mitgenommenen Baulichkeiten an einen Fremden verkaufte, der dort eine Kammergarnspinnerei anlegen wollte.
Jetzt erinnerte man sich allerdings wieder lebhaft der früheren Gerüchte, die aber in den ersten Wochen auch nicht die geringste Bestätigung fanden. Der Fabrikant war mit zwölf oder sechszehn Arbeitern dort eingezogen und die Leute, die größtentheils noch nicht einmal von den Gerüchten gehört haben konnten, hatten die Nächte, die sie dort zugebracht, vortrefflich und ungestört geschlafen. – Es dachte schon Niemand mehr an die früheren Spuckgeschichten.
Da erzählte man sich in der Stadt, sämmtliche Arbeiter in der Fabrick hätten ihrem Brodherren den Dienst gekündigt. Es wurde dem anfangs widersprochen, aber das Gerücht fand immer festeren Boden bis denn das Tageblatt heute die Nachricht ganz sicher bestätigte. Es geschah das durch die Aufforderung des Fabrikherrn, um neue Arbeiter herbeizurufen, da sich die bisherigen, wie hier gedruckt stand, »durch abergläubischen Unsinn hätten bewegen lassen, seinen Dienst zu quittiren.«
Es blieb jetzt keinem Zweifel mehr unterworfen, daß die bisherigen Gerüchte nicht gelogen haben konnten, sondern etwas Wahres an der Sache sein müsse und die Aufregung der kleinen Gesellschaft wurde noch erhöht, als sich plötzlich herausstellte, daß sie selbst in ihrer Mitte ein Individuum entdeckten, das ihnen von dem, jetzt jedes andere Interesse verschlingenden Platz die genauesten und direktesten Nachrichten geben konnte.
Es war das die Frau Präsident Cossel, eine schon ältliche Dame mit etwas rother Nase, aber einem sehr entschieden energischen Zug um den Mund. Die Dame hielt sich auch in der That nie bei Vermuthungen auf, sondern sprach stets was sie wußte oder nicht wußte auf das aller Bestimmteste aus. Widerspruch duldete sie nie und wenn man behauptet, daß die Haare den Charakter des Menschen darthun, so mochte das recht gut auch bei der Frau Präsidentin ihre Bestätigung finden, denn eben so starr und fest gerollt wie die vier falschen Locken, die sie vorgebunden trug, war ihr Gemüth.
»Es ist richtig – ich weiß es; es spukt drüben,« sagte sie, indem sie ihre Tasse zum vierten Mal zum Füllen reichte, und ihre schönen Zuhörerinnen zweifelten viel weniger an der, jetzt als unumstößlich festgestellten Thatsache, als daß sie sich wunderten, wie die Frau Präsidentin diesen doch sicher höchst interessanten Fall so lange still bei sich getragen und wirklich erst auf äußere Veranlassung von sich gegeben habe.
Die Frau Präsidentin wohnte aber dem besagten Fabrikgebäude schräg gegenüber, und konnte also, als allernächste Nachbarin desselben – wenn irgend Jemand, Näheres darüber wissen. Die Neugier der Damen war – hierbei sehr verzeihlich – auf das Höchste gespannt.
»Es ist richtig! Ich weiß es! Es spukt drüben!« – Gegen die Thatsache war Nichts mehr einzuwenden, und es blieb jetzt nur noch übrig die Einzelheiten derselben zu erfahren. Die Frau Präsidentin wußte Alles.
Die ersten Nächte waren die neu eingezogenen Leute vollkommen unbelästigt geblieben, nur zu bald aber brach plötzlich – und natürlich genau um Mitternacht – ein donnerndes Getöse im ganzen Hause los, daß den Insassen das Haar auf dem Kopfe sträubte. Ketten klirrten über