Historische Romane: Die Kreuzritter + Quo Vadis? + Mit Feuer und Schwert + Sintflut + Pan Wolodyjowski + Auf dem Felde der Ehre. Henryk Sienkiewicz
wußte er, welch schweren Stand er diesem jungen Ritter gegenüber haben werde, und daß der Kampf, wenn es ihm nicht gelingen sollte, durch eine plötzliche und unerwartete Wendung jenen zu Fall zu bringen, ein langer, hartnäckiger werden würde. Er hatte darauf gerechnet, daß Zbyszko nach einem der vergeblichen Schläge auf dem Schnee ausgleiten werde, als er sich aber darin getäuscht sah, da bemächtigte sich seiner eine gewisse Unruhe. Nur zu gut gewahrte er unter dem geöffneten Visiere die eingezogenen Nasenlöcher, die zusammengepreßten Lippen, die zeitweise blitzenden Augen des Widersachers, und er hoffte nun darauf, Zbyszko lasse sich von seinem Feuereifer fortreißen, vergesse alles um sich her, verliere den Kopf und denke schließlich in seiner Verblendung nur mehr daran, Streiche auszuteilen, als sich zu schützen. Allein auch darin irrte sich der Kreuzritter. Zbyszko verstand es zwar nicht, die in die Luft geführten Hiebe zu vermeiden, trotzdem jedoch vergaß er nicht des Schildes und wußte sich, sobald er mit der Streitaxt zum Schlage ausholte, soweit zu decken, als es nötig war. Seine Wachsamkeit verdoppelte sich offenbar; augenscheinlich beurteilte auch er die Erfahrung und die Gewandtheit seines Gegners ganz richtig, den er vergaß sich keinen Augenblick, blieb stets Herr seiner selbst und ging immer vorsichtiger zu Werke. In seinen Angriffen zeigte sich eine gewisse Bedachtsamkeit, wie sie nicht unüberlegter Eifer, sondern nur kalte Berechnung hervorzubringen vermag.
Rotgier, der schon viele Einzelkämpfe bestanden, der schon manche Schlachten angeführt hatte, wußte aus Erfahrung, daß es Menschen gab, die, gleich den Raubvögeln, zum Kampfe geschaffen und von der Natur mit besonderen Eigenschaften dazu ausgestattet sind, Menschen, welche von vornherein all die Eigenschaften besitzen, die sich andere Jahre hindurch mühsam erringen müssen. Einem solchen Menschen aber stand er jetzt gegenüber, das bezweifelte er keinen Augenblick. Vom ersten Zusammenstoße an wußte er, daß dieser junge Ritter dem Reiher glich, der in dem Gegner nur die Beute sieht und an nichts anderes denkt, als sie zwischen seine Klauen zu bekommen. Ungeachtet der gewaltigen eigenen Kraft konnte er sich darin doch nicht mit Zbyszko messen. Wenn aber nun auch noch gar diese Kraft erlahmte, bevor er den entscheidenden Streich geführt hatte? Das würde sein Verderben bedeuten, zu Grunde gehen würde er in dem Kampfe mit diesem zwar unerfahrenen, aber furchtbaren jungen Streiter. Dies erwägend, schonte er seine Kräfte jetzt mehr. Fest hielt er den Schild nun an sich, eine jede seiner Bewegungen berechnete er. Weit weniger als früher ging er vor, um gleich darauf wieder zurückzuweichen, nur auf eines hielt er sein Augenmerk gerichtet. Unentwegt harrte er auf einen günstigen Moment, um den entscheidenden Streich führen zu können.
Der entsetzliche Kampf zog sich über die Maßen in die Länge. In der Säulenhalle herrschte eine tödliche Stille. Nur zeitweise war ein Klirren, ein dumpfer Klang zu vernehmen, wenn die Streitäxte auf die Schilde aufschlugen. Weder dem Fürstenpaare, noch den Rittern oder dem Hofstaate war ein solches Schauspiel fremd, nichtsdestoweniger aber preßte eine entsetzliche Angst die Herzen aller Zuschauer zusammen. Ein jeder begriff, daß es sich hier nicht darum handelte, Kraft, Gewandtheit und Mannhaftigkeit zu entfalten, sondern daß der Kampf mit der größten Wut, mit der größten Verzweiflung, mit unversöhnlichem Haß und glühendstem Rachedurst geführt ward. Auf der einen Seite stritt man erlittener Kränkung wegen, aus Liebe, aus grenzenlosem Herzeleid in diesem Gottesgerichte, auf der andern Seite zur Ehre des Ordens, aus grenzenloser Feindschaft.
Allmählich erhellte sich der kalte, düstere Tag. Die grauen Nebelschleier zerteilten sich, in dem Glanze der Sonne blinkten der Harnisch des Kreuzritters, die silberne mailändische Rüstung Zbyszkos. In der Kapelle wurde die Terz eingeläutet. Kaum erklangen indessen die Glocken, so flatterte ein neuer Schwarm Dohlen so heftig mit den Flügeln schlagend und so laut krächzend unter den Dachfirsten der Burg hervor, als ob sie ihrer Freude Ausdruck verleihen wollten über das vergossene Blut und über den Leichnam, der so unbeweglich auf dem Schnee lag. Rotgiers Blick schweifte während des Kampfes ein oder zweimal über jenen hin, und stets ergriff ihn dabei das Gefühl unendlicher Vereinsamung. Wohl ruhten die Augen gar vieler auf ihm, aber Feindschaft leuchtete aus diesen Augen. Nur für Zbyszko beteten die Frauen, nur ihm galten all die guten Wünsche. Außerdem erweckte auch die Anwesenheit des Knappen ein Gefühl der Unbehaglichkeit in dem Kreuzritter. Nur zu gut wußte ja letzterer, daß ihn der Böhme nicht meuchlings im Rücken überfallen werde, allein trotzdem erfüllte ihn die Nähe der mächtigen Erscheinung mit der Unruhe, welche die Menschen beim Anblick eines Wolfes, eines Bären, eines Büffels empfinden, ohne von diesen Tieren durch ein Gitter getrennt zu sein. Und um so weniger konnte Bruder Rotgier diese Unruhe bemeistern, als der Böhme, von dem Wunsche beseelt, den Verlauf des Kampfes genau zu verfolgen, sich fortwährend hin und her bewegte, den Platz wechselte. Bald von der Seite, bald von hinten, bald von vorn nahte er sich dem Kämpfenden und warf ihm, den Kopf neigend, entweder durch die Oeffnungen des Visieres hindurch Unheil verkündende Blicke zu, oder er öffnete dasselbe zeitweise, um die Wirkung dieser Blicke noch zu verschärfen.
Eine gewisse Erschöpfung bemächtigte sich allgemach des Kreuzritters. Trotzdem fiel Schlag auf Schlag. Zweimal holte Rotgier zu gewaltigen Schlägen aus, mit denen er den rechten Arm Zbyszkos zu treffen hoffte, allein dieser stieß sie mit dem Schilde so kräftig zurück, daß die Streitaxt in der Hand seines Gegners schwankte, dieser selbst sich aber fortwährend zurückziehen mußte, um nicht zu stürzen. Und von diesem Augenblicke an gab es nur noch ein Zurückweichen für ihn. Allein nicht nur seiner Kraft ging er verlustig, er büßte auch seine Kaltblütigkeit, seine Ruhe ein. Voll Grimm, voll Verzweiflung vernahm er die vereinzelten Freudenrufe der Zuschauer über seinen Rückzug. Dichter und dichter folgten die Hiebe auf einander. Große Schweißtropfen rannen über die Stirn der Streitenden, keuchend rang sich ihr Atem zwischen den zusammengepreßten Zähnen hervor. Die Erregung der Zuschauer wuchs beständig, mit der bisher bewahrten Ruhe war es vorbei. Bald erschollen die Rufe der Mannen, bald die der Frauen: »Schlag zu! Auf ihn! Das ist ein Gottesgericht! Das ist Gottes Strafe! Gott steht Dir bei!« Umsonst winkte der Fürst, zum Zeichen, daß sich die Zuschauer ruhig verhalten sollten, er vermochte nichts auszurichten. Der Lärm wurde immer lauter, denn da und dort brachen Kinder in heftiges Weinen aus, während sogar rings um das Fürstenpaar jugendliche weibliche Stimmen schluchzend die Worte ausstießen: »Für Danuska, Zbyszko, für Danuska!«
Um Danusias willen kämpfte ja Zbyszko diesen Kampf. Keinen Augenblick zweifelte er daran, daß der Kreuzritter bei ihrer Entführung die Hand mit im Spiele gehabt hatte, und als er sich gegen ihn stellte, da geschah es der schweren Kränkungen halber, die ihr angethan worden waren. Doch er war jung und kampfeslustig. Kaum stand er daher seinem Gegner gegenüber, so dachte er nur noch an den Kampf selbst. Da plötzlich tönten jene Rufe an sein Ohr und erinnerten ihn an den Raub seines jungen Weibes, an dessen qualvolles Leid; Liebe, Schmerz und Rachedurst jagten ihm das Blut wie Feuer durch die Adern. Vor Ingrimm krampfte sich sein Herz zusammen und eine geradezu rasende Wut ergriff ihn. Den furchtbaren Schlägen seiner Streitaxt, die wie Donnerkeile niederfielen, vermochte der Kreuzritter nicht länger Widerstand zu leisten, und Zbyszko stieß schließlich seinen Schild mit solch übermenschlicher Gewalt gegen den Schild des Deutschen, daß dessen rechter Arm plötzlich, wie erlahmt, kraftlos darniedersank. Voll Schrecken und Angst wich nun dieser abermals zurück, indem er sich nach hinten beugte, um den Streichen zu entgehen, da sauste ihm die blinkende Axt vor den Augen und fiel wie der Blitz auf seine rechte Schulter nieder.
Den Lippen der Zuschauer entrang sich der herzzerreißende Aufschrei: »Jesus!« dann wich Rotgier noch einen Schritt zurück und stürzte rücklings zu Boden.
Nun wogte und schwirrte es in der Säulenhalle wie in einem Bienenstocke, aus welchem die Bienen, von der Sonne erwärmt, summend ausschwärmen. Geradezu scharenweise eilten die Ritter die Stufen hinab, während die Knechte von den Schneewällen herabsprangen, um die zu Tode Getroffenen in der Nähe zu betrachten. Allenthalben ertönte der Ruf: »Das ist Gottes Gericht! … Er ist der würdige Erbe Jurands! Lob ihm und Preis!« Andere wieder riefen: »Schauet her und staunt! Selbst Jurand hätte es nicht besser machen können!« Ein Kreis von Neugierigen sammelte sich allgemach um den erschlagenen Rotgier. Mit fahlem Antlitz, mit weit geöffnetem Munde lag er auf dem Rücken. Der blutüberströmte rechte Arm hing nur noch mit wenigen Fasern an der Schulter, von der er durch den wuchtigen Axthieb fast völlig getrennt worden war. Bei diesem Anblick meinten wieder etliche: »Schaut her. Voll Leben war er, voll Hochmut schritt er dahin, und jetzt rührt er keinen Finger mehr!« Und während einer mir dem andern in solcher Weise seine