DIE GRENZE. Robert Mccammon

DIE GRENZE - Robert Mccammon


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       Kapitel 33

       Kapitel 34

       Kapitel 35

       Über den Autor

Das letzte Gefecht bei Panther Ridge

      Kapitel 1

      Der Junge, der rannte, lief hinaus in den Regen.

      Plötzlich geriet er in einen stechenden Schauer. Innerhalb von Sekunden wurde daraus ein kleiner Sturm des Schmerzes, der wie wilde Stiche von hundert heißen Nadeln auf seiner Haut brannte. Während er rannte, sah er zurück. In der Ferne, verschwommen zu erkennen durch den wabernden Dunst, explodierten die Gipfel der Berge. Er sah Felsbrocken so groß wie Gebäude in die kontaminierte Luft fliegen, auf die Erde zurückstürzen und in umher schwirrende Fragmente zerbersten. Über den Bergen flackerte das elektrische blaue Blitzen, das Terror ins Herz des tapfersten Mannes pflanzte und die Schwächeren auf die Knie fallen ließ.

      Der Junge rannte, immer weiter in den Regen.

      Das Feld war breit. Und das Feld war lang. Es war unfruchtbar. Der Schlamm begann an den Schuhen des Jungen zu ziehen. Er trug dreckige Pumas, die einmal weiß gewesen waren. Er konnte sich nicht erinnern, wo sie hergekommen waren oder wann er sie angezogen hatte. Er konnte sich nicht erinnern, woher er seine schmutzigen Jeans hatte und sein schmuddeliges dunkelrotes Hemd, dem der rechte Ärmel fehlte. Er konnte sich überhaupt nicht mehr an viel erinnern.

      Er wusste jedoch, dass er rennen musste. Und dass er darauf hoffen musste, diesen Tag zu überleben.

      Denn obwohl sein Gedächtnis wie eine zerfetzte Flagge im Sturm flatterte, wusste er, was hinter ihm war. Er wusste, dass er in Colorado war. Er wusste, warum die Berge, die so alt waren wie die Zeit, in Stücke gerissen wurden. Er wusste, was das blaue Blitzen war und warum bald rote Flammenstöße von der gequälten Erde zum wütenden Himmel aufsteigen würden. Hier kämpften sie. Sie hatten eine weitere Grenze gefunden, um die sie Krieg führen konnten. Und alles, was zwischen ihnen war, würden sie zerstören.

      Er rannte weiter, atmete schwer und schwitzte in der schwülen Luft, als der Regen begann, immer heftiger herunterzuprasseln.

      Der Schlamm brachte ihn zu Fall. Er hielt seine Schuhe fest, ließ ihn stolpern und zog ihn nach unten in seine weiche Umarmung. Der Schlamm war klebrig und heiß und geriet ihm ins Gesicht und die Nase. Schwarz vor Schlamm kämpfte er sich auf seine Knie. Durch den dichten Regen sah er die Bewegungen auf beiden Seiten, links und rechts von ihm auf dem weiten, unfruchtbaren Feld, und er wusste, dass eine Armee auf dem Marsch war.

      Der Junge legte sich in seiner schlammigen Pfütze flach hin. Er lag wie die Toten, obwohl sein Herz sehr lebendig raste und sich in aufsteigendem Horror verdrehte. Er wünschte, er könnte sich mit dem Schlamm bedecken, in ihm versinken und durch seine Dunkelheit geschützt werden. Still lag er in sich zusammengerollt da wie ein Säugling, gerade aus dem Mutterleib geschlüpft und betäubt vom Leben, das auf ihn einprasselte.

      Er hatte sie schon einmal gesehen. Irgendwo. Sein Verstand lag in Scherben, war kollabiert zu einem Zustand, der ihn halb hirnlos und nach Erinnerungen suchend zurückließ. Aber links und rechts sah er die unscharf verschmierten Schatten ihrer Anwesenheit. Wie graue Rauchwirbel bewegten sie sich über das Feld; körperlose, aber tödliche Geister.

      Er lag still und krallte sich mit den Händen in die Erde, als hätte er Angst, ins Nichts geschleudert zu werden.

      Plötzlich wurde ihm bewusst, dass einer von ihnen seinen Marsch gestoppt hatte, und während sein Körper innehielt, holte er sich selbst ein und nahm solide Form an. Von einem Moment auf den anderen stand das Wesen nur wenige Fuß von ihm entfernt zu seiner Linken und starrte ihn an.

      Der Junge konnte nicht anders, als mit schlammbedecktem Gesicht zurückzublicken. Hier gab es keinen Schutz. Nirgendwo gab es Schutz. Die blauen Augen des Jungen starrten in die schwarze, glatte Wölbung des Gesichts der Kreatur oder auf die Maske, den Helm oder was auch immer es sein mochte. Die Kreatur war schmal, beinahe skelettartig, und übermenschlich groß. Dem menschlichen Körper ähnelte sie lediglich dahingehend, dass sie zwei Arme und zwei Beine hatte. Schwarz behandschuhte Hände mit zehn Fingern. Schwarze Stiefel an menschlich geformten Füßen. Ob das Wesen konstruiert war oder tatsächlich geboren aus einem Ei oder einer Gebärmutter, wusste der Junge nicht und sah sich nicht einmal zu einer Mutmaßung imstande. Der schwarze, hautenge Anzug zeigte keinerlei darunterliegende Muskeln. Über die Oberfläche des Anzugs verlief ein Netz kleiner Adern, in denen dunkle Flüssigkeit pumpte. Die Kreatur schien nicht zu atmen.

      Das Wesen hielt eine Waffe. Sie war ebenfalls schwarz, sah aber fleischig aus. Die Waffe hatte zwei Läufe und war über Flüssigkeit leitende Adern mit dem Körper verbunden.

      Die Waffe befand sich in Hüfthöhe der Kreatur, zielte aber auf den Jungen. Ein Finger lag auf einer Art Stachel, der der Auslöser sein mochte.

      Der Junge wusste, dass sein Tod sehr nahe war.

      Eine Vibration durchfuhr die Luft. Sie war eher zu spüren, als zu hören, und ließ die Haare im Nacken des Jungen zu Berge stehen. Schauer liefen über seinen Körper. Seine Kopfhaut mit den widerspenstigen braunen Haaren zog sich zusammen, denn er wusste, was jetzt geschehen würde, ohne genau zu wissen, woher das Wissen kam.

      Die Kreatur schaute hinter sich und nach oben. Andere Kreaturen unterbrachen ihre unscharfe, geisterhafte Bewegung und nahmen feste Form an. Auch sie blickten nach oben und erhoben im exakt gleichen Augenblick ihre Waffen gegen den Feind.

      Dann hörte der Junge es kommen, durch den Lärm des Regens hindurch. Er drehte den Kopf und richtete seinen Blick nach oben. Durch die niedrige gelbe Wolkendecke kam das Ding, das ein Geräusch machte wie sich leise drehende Zahnräder in einer feinen Armbanduhr oder das sanfte Ticken einer Zeitbombe.

      Es war riesig, zweihundert Fuß breit, hatte die Form eines langgezogenen Dreiecks und trug Farben wie die Haut eines prähistorischen Raubtiers: Braun, Gelb und Schwarz. Es war rasiermesserdünn und hatte keinerlei Zugänge oder Öffnungen. Es bestand komplett aus muskelartigem Gewebe. Langsam und leise glitt es vorwärts mit einer Kraft, die der Junge als beeindruckend empfand. Die aufgestellten Flügelspitzen wurden von gelben Luftwirbeln umströmt und vier elektrisch-blaue Kugeln in der Größe von Gullydeckeln pulsierten an seiner Unterseite. Während das Schiff langsam und fast lautlos weiterzog, feuerte eines der Geschöpfe am Boden seine Waffe ab. Ein doppelter Flammenstoß, der nicht genau einer Flamme entsprach, sondern weiß in der Mitte seiner beiden rot glühenden, langgestreckten Spiralen war, schoss auf das Schiff zu. Bevor das flammenähnliche Geschoss auf Fleisch oder Metall traf – oder welches Material auch immer es sein mochte – brach auf dem Körper des Schiffes ein blauer Funke aus und erstickte die Flammen und ihre beiden zerstörerischen Zentren so leicht, wie feuchte Finger eine Kerze auslöschten.

      Sofort, während der Junge zusah und trotz seiner Starre zitterte, richteten die Kreaturen ihre Waffen auf das Schiff und begannen zu feuern … schneller und schneller schossen die Stöße der außerirdischen Flammen in glühend leuchtenden Ketten nach oben, Hunderte von ihnen, die alle durch den hin und her zischenden blauen Funken ausgelöscht wurden.

      Der Junge wusste, was er sah, ohne zu wissen, woher sein Wissen kam. In seinem Kopf hallten Gedanken wider, die er nicht genau hören und nicht verstehen konnte. Er schien weit weg zu sein von dem Ort, an dem er losgelaufen war, konnte sich aber nicht daran erinnern.

      Doch obwohl er sich weder an seinen Namen noch daran erinnern konnte, von wo oder wohin er rannte oder wo seine Eltern waren, wusste er: Die Kreaturen mit den Waffen … das sind Soldaten der Cypher.

      Das Schiff am Himmel … gesteuert von den Gorgonen.

      Namen, die die Menschen ihnen gegeben


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