DIE GRENZE. Robert Mccammon

DIE GRENZE - Robert Mccammon


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eine massive, hässliche schwarze Prellung. Sie bedeckte seinen Oberkörper von Schulter zu Schulter. Schwarze Blutergüsse waren an den Seiten seines Körpers zu sehen, am Bauch und an den Oberschenkeln. Er hatte keine Erinnerung daran, woher diese Verletzungen kamen. Aber jetzt wusste er zumindest, weshalb es ihn überall schmerzte und weshalb er Blut spuckte. Etwas hatte ihn getroffen, und zwar sehr hart.

      »Bitte dreh dich um«, sagte der Doktor. »Lass uns deinen Rücken sehen.«

      Der Junge tat wie ihm geheißen. Der schwarzbärtige Mann an der Tür stieß ein leises Grunzen aus und der Mann mit dem finsteren Gesicht sprach flüsternd mit ihm.

      »Noch einmal meine Frage«, sagte der Doktor. »Woher kommen die Prellungen?«

      »Ich weiß nicht«, kam die noch immer verblüffte Antwort, als sich der Junge ihnen wieder zuwandte.

      »Du hast über deinen ganzen Rücken und die Wirbelsäule hinunter eine Prellung, die so groß ist wie die auf deiner Brust. Die Verletzungen sehen äußerst schwerwiegend aus. Du hast etwas extrem Gewalttätiges durchgemacht … kein Kinderkram wie eine Treppe hinunterfallen oder dir ein Knie aufschlagen. Ich meine … es muss wirklich brutal gewesen sein.« Er machte einen Schritt nach vorn und hielt die Lampe in die Augen des Jungen.

      »Vorsicht, Doc!«, warnte der Mann mit dem finsteren Gesicht. Seine Uzi war auf die Körpermitte des Jungen gerichtet und schwankte kein Stück.

      »Spuckst du Blut?«

      »Ja, Sir.«

      »Das überrascht mich nicht. Was mich überrascht, ist, dass deine Lunge nicht geplatzt ist und du immer noch atmen kannst. Ist dein Hörvermögen in Ordnung?«

      »Ich habe ein kleines Klingeln in meinen Ohren. Sie fühlen sich irgendwie … verstopft an. Das ist alles.«

      »Hm. Interessant. Ich denke, du hast etwas Übles durchgemacht … nun, mit Details halte ich mich lieber noch zurück.« Er produzierte ein dünnes, zerknittertes Lächeln, das vielleicht das Beste war, was er zustande bringen konnte.

      »Darf ich mich wieder anziehen?«

      »Noch nicht. Halte deine Arme einmal zur Seite, ja?«

      Der Junge hob seine Arme.

      Der Doktor gab dem finster blickenden Mann seine Arzttasche und näherte sich wieder dem Jungen. Er ging mit der Lampe über den Körper des Jungen und schien nach etwas Bestimmtem zu suchen. Als er die riesige schwarze Prellung auf der Brust des Jungen untersuchte, runzelte er die Stirn. »Du kannst deine Arme wieder herunternehmen«, sagte er, was der Junge auch tat. Dann griff der Doktor hinter sich und öffnete seine Arzttasche. Er holte eine Spritze heraus und entfernte die Schutzkappe. »Den linken Arm, bitte«, sagte er.

      Der Junge zögerte. »Wofür ist das?«

      »Eine Kochsalzlösung …«

      »Wofür ist das?«, fragte der Junge etwas irritiert.

      »Wir überprüfen«, sagte der Doktor, »ob du ein Mensch bist oder nicht. Die Kochsalzlösung bewirkt eine Reaktion im Blut der Aliens. Es heizt sich dadurch auf. Dann passieren Dinge. Den linken Arm, bitte.«

      »Ich bin ein Mensch«, sagte der Junge.

      »Mach, was man dir sagt«, sagte der Mann mit dem finsteren Gesichtsausdruck. »Wir wollen dich nicht grundlos erschießen.«

      »Okay.« Der Junge brachte ein dünnes Lächeln hervor und hielt seinen linken Arm hin. »Machen Sie nur.«

      Die Nadel drang in eine Vene ein. Der Doktor trat zurück. Die beiden anderen Männer hielten ihre Waffen bereit. Der Doktor behielt die Zeit auf seiner Armbanduhr im Blick. Etwa eine Minute verging.

      »Dave«, sagte der Doktor zu dem Mann mit dem finsteren Gesicht, »ich denke, er ist sauber.«

      »Bist du sicher?«

      Der Doktor starrte in das Gesicht des Jungen. Seine Augen waren blau, das umgebende Gewebe voller Falten, aber sie waren sehr klar. »Ich kann keine Knötchen sehen. Keine Anomalien, keine Geschwülste. Keinerlei Reaktion auf die Kochsalzlösung. Lasst uns das Herz abhören und den Blutdruck messen.« Der Doktor holte ein Stethoskop aus seiner Tasche, lauschte dem Herzschlag des Jungen und legte ihm dann eine Blutdruckmanschette an. »Alles normal«, lautete seine Schlussfolgerung. »Unter den gegebenen Umständen.«

      »Was ist mit den blauen Flecken?«

      »Ja«, sagte der Doktor. »Was ist mit den blauen Flecken.« Es war eine Feststellung, keine Frage. »Mein Junge, wie ist dein Name?«

      Der Junge zögerte. Er war müde, verletzt und hatte noch immer den Geschmack von Blut in seinem Mund. Ein Name? Er hatte keinen, den er nennen konnte. Die Männer warteten. Er beschloss, ihnen irgendetwas zu erzählen, und dachte an einen Namen, den er vor Kurzem gesehen hatte. »Ethan Gaines«, antwortete er.

      »Tatsächlich?« Dave legte den Kopf schief. »Das ist ja lustig. Einer unserer Männer hat dich vom Wachturm aus durch sein Fernglas beobachtet, wie du über den Parkplatz der Highschool gelaufen bist. Komisch, dass es die Ethan-Gaines-Highschool ist. Oder besser … war. Also das ist dein Name, ja?«

      Der Junge zuckte mit den Schultern.

      »Ich denke«, sagte der Doktor, »dass er seinen Namen nicht weiß. Er hat eine sehr heftige Erschütterung erlitten. Irgendeine Explosion. Könnte direkt in der Druckwelle gestanden haben. Wo sind deine Eltern?«

      »Weiß nicht«, sagte der Junge. Er runzelte die Stirn. »Ich bin plötzlich aufgewacht. Dann bin ich gerannt. Das ist alles, woran ich mich erinnere. Ich weiß, dass ich in Colorado bin … in Fort Collins, richtig? Aber alles andere …« Er blinzelte und sah sich in seinem kleinen Gefängnis um. »Wofür ist dieser Raum? Was meinen Sie damit … dass sich das Blut der Außerirdischen aufheizt?«

      »Später«, sagte Dave. »Im Moment stellen wir die Fragen … wie zum Beispiel die: Wo kommst du her?«

      Der Junge hatte genug von Dave. Es war ihm jetzt egal, ob der Mann eine Uzi in der Hand hielt oder nicht. Er machte einen festen Schritt nach vorn, was dafür sorgte, dass sich beide Waffen auf ihn richteten. Er streckte sein Kinn vor, seine blauen Augen funkelten vor Wut und er sagte: »Ich habe euch alles erzählt. Ich weiß nicht, wer ich bin oder woher ich komme. Alles, was ich weiß, ist, dass ich gerannt bin. Geflohen bin, vor ihnen. Sie haben direkt über mir gekämpft. Überall um mich herum.« Er musste innehalten, um Luft in seine wunde Lunge zu bekommen. »Ich weiß nicht, was ihr für Typen seid. Ich bin wirklich froh, dass ihr mich da rausgeholt habt, aber ich hasse es, wenn Waffen auf mich zielen. Egal ob eure oder die der Cypher.« Er ließ ein paar Sekunden verstreichen und fügte dann hinzu: »Sir.«

      Die Waffen wurden gesenkt. Dave blickte schnell zum Doktor, der zur Seite getreten war und ein kleines, amüsiertes Lächeln im Gesicht hatte.

      »Nun«, sagte der Doktor. »Ethan, ich denke, du kannst dich jetzt anziehen. Zu deiner Frage, wer wir sind: Ich bin John Douglas. Ich war in meinem früheren Leben Kinderchirurg. Jetzt verteile ich hauptsächlich Pillen. Das ist Dave McKane«, sagte er und deutete auf den Mann mit dem finsteren Gesicht. »Und das Roger Pell.«

      »Hallo«, sagte Ethan zu allen drei Männern. Er begann, sich wieder anzuziehen: schmutzige, ehemals weiße Socken, Unterwäsche, die noch schlimmer aussah, schlammbespritzte Jeans, das verdreckte dunkelrote Hemd mit dem abgerissenen rechten Ärmel und die schmutzverkrusteten Pumas. Ihm fiel ein, die Taschen seiner Jeans nach etwas zu durchsuchen, was vielleicht einen Hinweis geben konnte, aber er fand nichts. »Ich erinnere mich nicht an diese Sachen«, sagte er zu den Männern. Und er spürte, wie etwas in ihm zerbrach. Es geschah plötzlich und still, und doch war es wie ein innerer Schrei. Er hatte sagen wollen: Ich erinnere mich nicht mehr, wer sie für mich gekauft hat, aber der Gedanke verlor sich und stürzte in die Dunkelheit. Er zitterte und presste seine rechte Hand gegen die Stirn, um die Erinnerungen, die nicht da waren, hervorzuholen. Seine Augen brannten, seine Kehle schnürte sich zu, und überall, wo er sich hinwandte, schien


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