DIE GRENZE. Robert Mccammon

DIE GRENZE - Robert Mccammon


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besser immer geladen sein«, erinnerte sie ihn, bevor sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf die schwindenden Vorräte und die Ideen für weitere Rationierungen richtete, welche Kathy und Gary – die beide in der vorherigen Welt Buchhalter gewesen waren – vorgestellt hatten.

      »Ja«, erwiderte JayDee mit schwerer Stimme und ging hinaus in das kränklich-gelbe Sonnenlicht.

      Kapitel 3

      Dave und JayDee sahen zu, wie der Junge an einem Tisch in dem Raum, der als Kantine diente, eine kleine Schüssel mit Pferdefleisch verzehrte. Die Mahlzeiten fanden in der Regel gestaffelt statt, um die drei Köche nicht zu überfordern, die ihr Bestes gaben und versuchten, aus dem etwas zu machen, was sie hatten. Alles musste draußen über Holzfeuern gegart und dann hereingebracht werden. Hinter den doppelt verschlossenen Türen zum Lager waren immer weniger Konserven und die Wasserflaschen waren fast gänzlich aufgebraucht. Das Nachmittagslicht fiel durch zwei Fenster, die mit Klebeband verstärkt waren. Ein paar Öllampen und mit Kerzen bestückte Laternen standen auf den Tischen. Der Raum wirkte trostlos, aber trotzig hatte jemand über eine ganze Wand in leuchtendem Rot gemalt: Wir werden überleben. Die Farbe war wild entschlossen aufgetragen worden und in roten Rinnsalen auf den Linoleumboden getropft.

      Der Junge aß, als gäbe es kein Morgen. Er hatte einen Pappbecher mit drei Schlucken Wasser erhalten und gesagt bekommen, das sei alles, was er haben könne. Also ging er es langsam an. Der Pferdefleischeintopf jedoch war schnell ausgelöffelt.

      »Atme einmal tief ein«, sagte John Douglas.

      Ethan, der gerade dabei war, die Schüssel auszulecken, hielt inne und tat, worum der Doktor gebeten hatte.

      »Spürst du gar keine Schmerzen in der Lunge?«

      »Es fühlt sich ein bisschen angespannt an, wenn ich atme. Genau hier schmerzt es ein wenig«, antwortete Ethan und berührte seine Brust in der Mitte. Dann widmete er sich wieder dem Rest seiner Mahlzeit und versuchte, sich jedes Stück Fleisch einzuverleiben, das seine Finger und seine Zunge finden konnten.

      »Der Nacken tut auch weh, nehme ich an.«

      »Ein wenig.«

      »Ich bin überrascht, dass du nicht schlimmere Schmerzen hast.« Der Doktor rieb sich das Kinn. Im Gegensatz zu den meisten anderen Männern versuchte er, sich so oft wie möglich zu rasieren und verwendete Deospray. In der Welt, die einmal gewesen war, hatte er schon als junger und später auch als älterer Mann Wert auf seine Erscheinung und sein Aussehen gelegt. Es war schwierig geworden, das beizubehalten. Aber er blieb jemand, der Ordnung und Reinlichkeit brauchte, und es verband ihn mit dem Mann, der er einst gewesen war. Es hielt ihn wahrscheinlich auch geistig gesund und stützte seinen Lebenswillen. »Eigentlich«, sagte er, »dürftest du nach einem solchen Trauma kaum laufen können, geschweige denn rennen. Auf der anderen Seite … du bist schließlich noch jung. Fünfzehn würde ich schätzen. Trotzdem …« Er hielt inne, außerstande, ohne ein ordentliches Untersuchungslabor zu einer Schlussfolgerung zu kommen. Diese Tatsache machte ihn sehr unruhig, auch wenn dieser Junge sicher ein Mensch war. Mit hoher Wahrscheinlichkeit jedenfalls. Zumindest hatte der Test mit der Salzlösung keine Reaktion im Blut des Jungen ausgelöst und ihn nicht in eine stachelige Monstrosität oder einen kreischenden Albtraum einer Spinne verwandelt, wie es in früheren Tests geschehen war, wenn sogenannte »Menschen« zu ihnen gekommen waren.

      »Trotzdem«, knurrte Dave, obwohl es nicht als Knurren gemeint war, »seine Geschichte ist … wenn ich das sagen darf … völlig im Arsch.« Dave McKane legte seine Worte nicht auf die Goldwaage. Er war in seinem vorherigen Leben Maurer gewesen, außerdem Türsteher in einer Country Bar in Fort Collins und alles in allem ein ziemlich hartgesottener Kerl, der nicht davor zurückschreckte, sich in irgendwelche Aktionen zu stürzen, die eine gewisse dreckig-robuste Grundhaltung verlangten. Seine Fingernägel waren schmutzig, ebenso die Haare, und in den Falten seines Gesichts sammelte sich der Staub. Er nahm seine Aufgaben in dieser Festung – auf diesem letzten verlorenen Posten – ernst. Sehr ernst. »Wenn du keine Erinnerung mehr hast, woher weißt du dann etwas über die Gorgonen und die Cypher? Wieso ist diese Erinnerung nicht auch weg?«

      Ethan nippte an seinem Wasser. Er hielt Daves Blick stand. »Ich schätze, dass ich an die meisten Dinge keine Erinnerung habe, aber an das schon … ich weiß, dass sie kämpfen.«

      »Dann weißt du, wie es angefangen hat? Du erinnerst dich? An diesen Tag?«

      Ethan konzentrierte sich. Da war nichts. Er nippte wieder an seinem Wasser und fand mit seiner Zunge zwischen zwei Zähnen ein Stück Pferdefleisch. »Nein, daran erinnere ich mich nicht.«

      »Der dritte April, vor zwei Jahren?«, fragte Dave. Er faltete die Hände auf dem Tisch und erinnerte sich, wie er mit seiner Frau und seinen beiden Söhnen am Küchentisch in ihrem kleinen Haus gesessen und gebetet hatte. Das Haus hatte nur wenige Meilen von hier gestanden, aber jetzt war es Welten entfernt. Eines Morgens, ein paar Monate nachdem er hier angekommen war, hatte er die Festung allein verlassen, auf einem grau gesprenkelten Pferd namens Pilgrim, um das Schicksal herauszufordern … und vielleicht mit dem stillen Wunsch, durch eine Alien-Waffe zu Tode zu kommen. Sie kämpften nicht sehr lange um einen Ort, aber man konnte nie wissen, ob und wann sie zurückkommen würden. Das Schlachtfeld verlagerte sich ständig und nichts wurde jemals endgültig entschieden. Soweit er wusste, war es überall auf der Welt dasselbe.

      Dave war mit Pilgrim zu dem Stück Land geritten, das ihm und Cheryl gehört hatte, und sich an den Rand des Kraters gestellt, in dem die verkohlten Trümmer ihres Hauses lagen. Unten auf dem Boden des Kraters hatte er die Überreste ihres Küchentischs gesehen. Dann hatte er sich abgewandt, sich übergeben und war wieder auf das Pferd gestiegen. Denn jetzt war Panther Ridge sein Zuhause, und Cheryl und die Jungs waren tot. Außerdem hatte sich ein Gorgonen-Schiff genähert, sanft durch die gelbe Luft gleitend, was bedeutet hatte, dass auch die Cypher nicht weit entfernt waren.

      »Der dritte April«, sagte JayDee und fühlte, wie ihn Erinnerungen und Emotionen durchströmten. Sein Herz drohte zu bersten. Er hatte gedacht, er hätte den Schmerz hinter sich gelassen, aber das war offenbar nicht der Fall. Es gab so viel Schmerz, für sie alle. Seine Frau, zweiunddreißig Jahre jung, war hier im März in ihrer Wohneinheit in Panther Ridge gestorben. Er hatte zugesehen, wie sie langsam den Verstand verlor, nach ihrer Mutter und ihrem Vater weinte und wie ein kleines Kind zitterte, wenn die Außerirdischen in ihrer Gegend kämpften und die Explosionen die Erde erschütterten. Deborah hatte aufgehört zu essen und war dahingeschwunden, ein Opfer aufgegebener Hoffnung. Er hatte versucht, sie zu füttern, hatte sein Bestes gegeben, aber sie hatte Tag für Tag nur im Bett gelegen und an die fleckige Decke gestarrt, und der Teil von ihr, der Freude und Freiheit gekannt hatte, war schon verschwunden gewesen. Und wenn er an ihrem Bett gesessen und ihre Hand in der zu schwarzer Nacht werdenden Dämmerung gehalten hatte, dann hatte sie ihn im Schein der Öllampen mit ihren müden und wässrigen Augen angeschaut und mit der Stimme eines Kindes, das seinen Vater anfleht, immer wieder die eine Frage gestellt: Sind wir in Sicherheit?

      Er hatte nicht gewusst, was er darauf antworten sollte, aber eine Antwort geben musste er. Doch bevor er etwas sagen konnte, hörte er sie heranrollen, wie eine kreischende Welle, die gegen die Mauern von Panther Ridge donnerte, und er hörte die ersten Gewehrschüsse und das Klack-klack-klack der Maschinengewehre, und als er Deborah wieder ansah, hatte sie diese Erde verlassen, weil sie das, was aus ihr geworden war, nicht länger ertragen konnte.

      In diesem Moment hatte John Douglas vor einer Wahl gestanden. Zu der Wahl gehörten das Gewehr oder die Pistole, die er besaß. Zu der Wahl gehörte, was er in den nächsten Minuten tun würde, während er die tote Frau anstarrte, die die Liebe seines Lebens gewesen war und die mit ihm zwei Töchter und einen Sohn großgezogen hatte. Zu der Wahl gehörte, ob er die Kraft besaß, nach draußen zu gehen und sich dem Kampf anzuschließen, oder ob sein Herz und seine Seele Deborah – in welches Land der Verheißung auch immer – folgen sollten, das jenseits dieses Lebens lag, aus dem ein verfluchter und verdorbener Albtraum geworden war.

      Die Minuten waren langsam verstrichen und es waren bittere Sekunden darunter gewesen. Aber am Ende hatte er Deborah allein schlafen


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