DIE GRENZE. Robert Mccammon
und verbittert an.
Und als Dave begann, zur Mauer zu rennen und andere aus ihren Wohnungen auftauchten, bewaffnet mit Pistolen und Gewehren und bekleidet mit dem, was sie in der Eile hatten greifen können, hörte Ethan zum ersten Mal die Geräusche der Grauen.
Zuerst war es nur ein merkwürdiges Durcheinander unharmonischer Klänge in der Ferne, die immer lauter wurde. Ethan hatte die hölzernen Hochwege bereits gesehen, die entlang der Oberseite der Mauer ein paar Fuß unter den Stacheldrahtspiralen errichtet worden waren. Über Leitern kletterten die Verteidiger von Panther Ridge jetzt nach oben. Ein zweites rotes Leuchtsignal ging vom südlichen Wachturm nach oben, woraus Ethan schloss, dass die Grauen aus zwei Richtungen angriffen. Er musste es mit eigenen Augen sehen, also rannte er vom Swimmingpool die Straße hinunter und zur nächsten Leiter, die auf die Mauer führte. Gerade als er sie erreicht hatte, drängte sich eine große und schlanke ältere Frau mit kurzgeschnittenem, grauem Haar an ihm vorbei, um zuerst nach oben zu steigen. Sie hielt inne, um ihm ins Gesicht zu sehen. Olivia Quintero trug ein Gewehr unter dem Arm und ein Holster mit einem Revolver um die Taille über ihrer Jeans. Sie hatte eine gelbe Westernbluse angezogen, auf deren Schultern blaue Kornblumen gestickt waren.
»Verschwinde von hier.« Ihre dunkelbraunen Augen hatten fast die Farbe von Ebenholz. »Beweg dich!« Sie kletterte hinauf, ohne darauf zu warten, ob er gehorchte oder nicht. Ethan ließ einen Mann, der ebenfalls mit einem Gewehr bewaffnet war, als nächstes aufsteigen. Dann kletterte auch er nach oben, weil er es einfach sehen musste.
Das Kreischen traf ihn wie eine frontal auf ihn zurollende Welle. Die obere Kante der Steinmauer reichte ihm auf dem Hochweg bis zur Brust. Als er durch die Stacheldrahtspiralen blickte, sah er, dass die Erde selbst in Bewegung geraten zu sein schien. Waren es Dutzende von ihnen, Hunderte? Mehr? Sie wühlten sich auf allen vieren den Hang hinauf auf die Mauer zu. Ein weiteres Leuchtsignal, diesmal in Form eines weißen Sternenregens, ging vom südlichen Wachturm aus in die Luft und erhellte die Umgebung. Die Leuchtkugeln zischten und schwebten nach unten. Ethan sah, dass einige der Angreifer Kleidungsfetzen trugen, aber die meisten waren nackt. Ihre Nacktheit entblößte aschgraues Fleisch, das in Brocken wie sich auflösendes, ekelhaftes Gelee von den Knochen herunterhing, und aschgraues Fleisch, das mit Schuppen bedeckt zu sein schien, und aschgraues Fleisch, unter dem sich so etwas wie Stacheln oder Knochenplatten abzeichneten. Die volle Wirkung dieses Horrors traf Ethan wie ein Schlag in die Magengrube. Es gab sehnige Kreaturen mit abgeflachten Schädeln und buckligen Rücken, die wie menschliche Rammböcke aussahen. Es gab Wesen, die auf Beinen so dick wie Baumstämme liefen, Wesen, die auf schwabbeligen, nachgebenden Gliedmaßen humpelten, und Wesen, die nur noch als zerfallende, krebsartige Oberkörper unter den Beinen der anderen vorwärtskrochen.
An der Vorderseite der unmenschlichen Welle tobten springende Kreaturen mit gepanzerten Rücken und Krallenhaken als Händen. Sie klammerten sich an die Mauer und stürmten nach oben auf den Stacheldraht zu. Voller Grauen sah Ethan, wie eine der hochgekletterten Horrorgestalten aufblickte und ihn aus einem grauen Gesicht mit schlitzförmigen Augen angrinste, in dem die Nase eingefallen war und dünne Lippen Zähne umspielten, die wie kleine Sägeblätter aussahen. Dann explodierte das Gesicht in einer der ersten Maschinengewehrsalven, und der Körper, der mit seinen Haken fest im Mörtel zwischen den Steinen verankert war, blieb mit zuckenden Gliedmaßen unter dem Stacheldraht hängen.
Die anderen Gewehre, Pistolen und Maschinengewehre eröffneten das Feuer. Obwohl die Körper der Grauen durch den Kugelhagel zerrissen wurden, rannten die Kreaturen weiter als donnernde Welle gegen die Mauern der Festung Panther Ridge an. Etwas rammte die metallbeschlagene Tür mit einer Wucht, die den Hochweg unter Ethans Füßen erzittern ließ. Staub stieg zwischen den Steinen auf. Schüsse richteten sich auf das, was dort unten war, und die monströse Kraft stieß erneut gegen die Tür, aber diesmal mit weniger Energie, und dann schienen weitere Schüsse sie außer Gefecht zu setzen.
Vor Ethan im weißen Licht der Leuchtkugeln wogte ein Meer missgebildeter, grotesker Gestalten, die einst Menschen gewesen waren. Er sah Männer, Frauen und Kinder, die zu zischenden und kreischenden Monstern geworden waren, entweder durch eine außerirdische Krankheit oder durch das Gift im Regenwasser. Er sah bucklige Formen mit gierigen Augen und skelettdünne Figuren aus grauem, papierdünnem Fleisch, die aussahen wie …
Der Gläserne Mann.
Er erinnerte sich.
Wie er sein Modell des Gläsernen Mannes zusammengebaut hatte, mit seiner transparenten Plastikhaut, durch die alle inneren Organe, Venen und Arterien eines Menschen zu sehen waren. Wo hatte er es gekauft? Wal-Mart? Nein, Amazon. Wie er an seinem Schreibtisch in seinem Zimmer gesessen hatte … in einem Haus … unter einer grünen Schreibtischlampe … wie die Plastikorgane in der Reihenfolge aufgereiht gewesen waren, in der er sie bemalen wollte … in aller Sorgfalt, weil das Anatomie-Set hundert Prozent korrekt sein sollte … ein Schulprojekt … und wie eine Frau in den Raum gekommen war … mit dunklen Haaren … und gesagt hatte …
»Zurück!«, schrie die Frau an Ethans Seite. Er bemerkte eine schuppige, dünne Monstrosität mit schwarzen, eingesunkenen Augen und einem zweiten, grapefruitgroßen Kopf mit weißen, blinden Augen am Halsansatz, die bis auf die Höhe des Stacheldrahts geklettert war und durch die Drahtspiralen nach seiner Kehle griff. Im selben Augenblick schob Olivia Quintero ihn beiseite und schoss dem Ding in die Schläfe seines größeren Kopfes, sodass das Gehirn explodierte. Der zweite Kopf schnatterte und knirschte mit seinen scharfen kleinen Babyzähnen, während der Körper die Mauer hinunterglitt, bis er außer Sichtweite war.
Sie warf Ethan einen Blick zu, der einen Spiegel hätte zerbersten lassen können. Dann schob sie ein weiteres Magazin ein und feuerte wieder und wieder in die Masse aus grauen Gestalten, die mit ihren mit Stacheln besetzten Fingern und Zehen unerbittlich die Wand hinaufkletterten. Einige kamen bis an den Stacheldraht und griffen hindurch nach allem, was ihre Krallen finden konnten, bevor sie erschossen wurden. Eine graue, froschartige Gestalt mit hervorquellenden Augen und dem langen, schwarzen Haar einer Frau sprang plötzlich herauf, landete links von Ethan im Stacheldraht und drückte ihn herunter. Dann folgte ein männliches Wesen mit vier Armen – zwei normalen und zwei spindeldürren Dingern, die aus seinem Brustkorb wuchsen – die sich wie in Raserei bewegten und den Draht vom Rahmen rissen. Ethan sah, wie Dave McKane seine Uzi direkt in das Gesicht des Monsters leerte, aber sobald die blutige Kreatur herabfiel, wurde sie durch zwei neue ersetzt: eine nadeldünne, deren aschfarbenes Fleisch mit kleinen scharfen Stacheln bewehrt war, und ein dickes Ungetüm mit einem deformierten Schädel, der wie der Kopf eines Hammers aussah. Sein Gesicht bestand hauptsächlich aus einem klaffenden, mit scharfen Zähnen besetzten Mund und aus zwei Augen, die an schwarze Glaskugeln erinnerten.
Der Hammerkopf gab mit seinem abscheulichen Mund ein Brüllen von sich, an dem nichts Menschliches mehr war. Das Monster schob sich über den Stacheldraht auf den Hochweg. Nur ein paar Schritte von Ethan entfernt krallte es sich mit seinen stachelbesetzten Fingern in die Schultern eines jungen Mannes, der seinen Revolver in die Brust des Monsters feuerte. Aber der aufgerissene Mund riss dem jungen Mann bereits große Fleischfetzen aus dem Gesicht. Während die Kreatur das Feuer jeder Waffe in der Nähe auf sich zog, dehnte sich ihr Mund aus und verschlang den ganzen Kopf des Mannes. Mit einer heftigen und widerlichen Drehung trennte sie den Kopf vom Rumpf. Dann schickte der Kugelhagel die Bestie schließlich über den Stacheldraht zurück und der kopflose Körper stürzte zu Boden.
Andere Kreaturen kletterten herauf, schneller und schneller. Sie rissen den Stacheldraht aus seiner Verankerung, steckten Salve um Salve ein und fielen herunter, woraufhin mehr von ihnen nach oben kletterten, um ihre Plätze einzunehmen.
Die Waffen begannen, leer zu klicken. Verzweifelte Hände suchten nach Kugeln in Holstern, Taschen und Munitionskisten. Einige Verteidiger hatten Äxte mitgebracht, mit denen sie jetzt wild um sich schlugen und graues Fleisch durchtrennten. Ethan spürte, wie sich kalte Panik auszubreiten begann. Kreaturen, die einem Menschen nur in der Tiefe quälender Albträume ähnelten, rissen den Stacheldraht herunter und kletterten über die Mauer. Dave McKanes Uzi feuerte und feuerte und verstummte plötzlich, während er verzweifelt seine Taschen nach neuer Munition durchsuchte. Olivia Quinteros Gewehr spie eine Kugel aus und riss eine dunkle, spinnenartige Gestalt von der Mauer. Sie hielt inne, um ihre Waffe mit frischer Munition