DIE GRENZE. Robert Mccammon
Ein Mann – Dave und Olivia erkannten ihn als Paul Edson, in seinem früheren Leben Musiker in einer Jazzband und ein vorzüglicher Saxofonspieler – stand auf der flachen Seite des Pools und beugte sich nach unten, um das heraussprudelnde Wasser zu berühren.
»Es ist kalt«, sagte Paul. Er nahm eine Handvoll und kostete. »Mein Gott!«, sagte er. »Ich denke, es ist Quellwasser!«
Andere betraten den Pool, um ebenfalls das Wasser zu berühren und zu schmecken. Olivia stieg die Stufen herunter, nahm etwas Wasser mit der Hand auf und führte die Hand an den Mund. Sie sah Dave an. Sie sagte fast so atemlos wie Kitt: »Wir haben hier mit einer Quelle unter dem Swimmingpool gelebt. Die ganze Zeit. Sauberes Wasser.« Sie brachte sich in ihre Führungsrolle zurück, indem sie sich aufrichtete. »Jeder holt Flaschen oder Eimer oder was immer gerade zu finden ist und füllt sie! Los, beeilt euch! Sagt allen, die ihr seht, sie sollen herkommen!« Sie musste es niemandem zweimal sagen, doch bei der Stärke des Wasserstroms, der aus seinem unterirdischen Kanal aufstieg, war Eile nicht wirklich nötig, außer um dem nächsten kontaminierten Regen zuvorzukommen. Sie dachte, dass sie eine Art Abdeckung für den Pool brauchten, etwas, um den Regen fernzuhalten, und sie sah Dave an, um ihm das zu sagen. Aber Dave hatte sich vom Beckenrand zurückgezogen.
Er stand ein paar Schritte rechts neben Ethan und starrte den Jungen an. Dave dachte daran, was Ethan gesagt hatte, nachdem Dave ihn über den Boden des Pools hatte laufen sehen: Ich hatte das Gefühl, dass ich hierherkommen musste. Dave sah, dass der Riss Ethans Spur gefolgt war; der Boden des Pools war genau an den Stellen aufgesprungen, über die der Junge gelaufen war.
Ethan beobachtete ihn mit schweren Augen, während das Wasser weiter in den Pool hineinströmte. Er fühlte sich hundemüde und war kurz davor, im Stehen in den Schlaf zu fallen. Fühlt sich so ein Schock an?, fragte er sich. Er beobachtete die anderen, die schon eilten, um ihre Flaschen und Eimer zu holen. Dann wurde ihm bewusst, dass Dave McKane neben ihm stand und ihn unverwandt anstarrte, als sähe er den Jungen gerade zum ersten Mal.
»Was ist?«, fragte Ethan.
»Ich schaue nur«, antwortete Dave.
»Was sehen Sie?«
»Das weiß ich noch nicht«, sagte Dave, und es war die Wahrheit. Er wandte sich ab, um zu seiner desolaten Wohnung zu gehen und alle Flaschen und Gefäße zu holen, die er finden konnte. Und dann blieb da immer noch die Aufgabe, Mitch und die anderen Toten zu begraben. John Douglas entschied, dass es Zeit war, den offensichtlich benommenen Jungen auf die Krankenstation zu bringen, ihm ein Beruhigungsmittel zu geben und ihn sich ausruhen zu lassen. Dann würde er sich mithilfe seiner Krankenschwestern um gebrochene Knochen und andere Wunden kümmern. Es würde ein harter Morgen werden … aber letzten Endes traf das auf jeden Morgen zu. Olivia stieg aus dem Pool nach oben und bat einige der Männer, eine Schutzvorrichtung zu bauen, die den Regen abhalten würde. Aber noch während sie über diese Idee sprach, musste sie an die schwindenden Nahrungs- und Munitionsvorräte denken, an die beschädigte Mauer und die wachsenden Horden der Grauen. Panther Ridge konnte sich nicht viel länger halten, selbst mit unbegrenzter Versorgung sauberen Wassers. Sie blickte nach oben zu den stumpfgelben Wolken, die in der Morgendämmerung am Himmel hingen. Irgendwo da oben und überall sonst auf der Welt, soweit noch etwas von ihr übrig war, kämpften die Cypher und die Gorgonen weiter. Vielleicht war es ein endloser Krieg, dachte sie; wenigstens war es dann ein Krieg, dessen Ende sie und wahrscheinlich auch sonst keiner der Verteidiger von Panther Ridge jemals erleben musste.
»Auf geht's«, sagte sie zu sich. Es gab so viel zu tun, so viel zu erledigen. Sie konnte an diesem nebligen gelben Morgen nicht aufgeben. Der Pool lieferte frisches Wasser in Hülle und Fülle. Das war eine Art Wunder, nicht wahr? Nur ein kleiner Pool voller Hoffnung, der mit jedem Augenblick tiefer wurde.
»Auf geht's«, wiederholte Olivia, und es klang gut und stark. Dann wandte sie sich vom Pool ab und machte sich auf die Suche nach ihren Flaschen, um sich ihr eigenes kleines, flüssiges Wunder zu holen.
Einige der Männer begruben die Toten, darunter Dave McKane, der gedacht hatte, sie hätten sich inzwischen an diese Aufgabe gewöhnt. Aber daran gewöhnte man sich nie. Dave arbeitete hart und stetig und sprach kein Wort, und als die neuen Gräber gefüllt waren, zündete er sich eine Zigarette an und ging zum Pool, wo er schweigend rauchte und zusah, wie das Wasser hervorquoll. Er mochte das Geräusch, das es erzeugte, wie das Geräusch eines Baches, der durch einen stillen Wald gluckert. Er hatte sechs Zigaretten übrig, und dieses Bic-Feuerzeug war sein letztes. Ist sowieso eine fiese Angewohnheit, dachte er. Man sollte irgendwann die Finger davon lassen. Ein leises Donnergrollen hallte in den Wolken über ihm. Entweder war es das oder eine der beiden Seiten hatte bei der anderen gerade einen Treffer erzielt.
Auf der Krankenstation schlief Ethan tief und fest in einem abgedunkelten Raum mithilfe von zwei Zaleplon-Kapseln. Nebenan kümmerten sich John Douglas und die beiden Krankenschwestern um die Verletzten. Der Morgen ging weiter. Der umgestürzte Wachturm wurde wiederaufgebaut, der östliche Teil der Mauer repariert, und die Arbeiter begannen, die beschädigten Stellen in den anderen Mauerabschnitten mit Steinen und Mörtel auszubessern. Die Sonne blieb ein schwacher Abglanz, der wie durch gelbliches Milchglas schien. Gegen Mittag begann es leicht zu regnen, aber zu diesem Zeitpunkt war über dem Pool, der weiter von seiner neuen unterirdischen Quelle gefüllt wurde, schon ein grünes Zelttuch auf einen Holzrahmen gespannt.
In seiner Wohnung hatte Dave McKane nach oben zu den Rohren und den toten Drähten geschaut, die von der rissigen Decke über seinem Bett herunterhingen, und er hatte den schiefen Boden zum Schrank durchquert und seinen Schlafsack herausgeholt. Er hatte seine Schuhe und seine Baseballmütze ausgezogen, den Schlafsack auf sein graues Sofa gerollt und sich hineingelegt. Eine Stunde vergebliche Einschlafversuche später war er noch immer wach und dachte nach.
Er war in ein hartes Leben als Farmer hineingeboren worden, von geradeaus denkenden und handelnden Eltern, die an Gott, den Teufel und den Wert guter Arbeit glaubten. Er hatte jahrelang in den Mais- und Sojafeldern seiner Familie gearbeitet. Als die Gorgonen am Morgen des dritten Aprils kurz nach zehn Uhr erschienen waren, hatte er seine Mutter und seinen Vater auf der Farm außerhalb von Cedar Rapids, Iowa, angerufen und ihnen gesagt, dass er, Cheryl und die Jungs in ein paar Tagen bei ihnen sein würden, dass alles wieder gut werden würde und dies nicht das Ende der Welt war. Sicher, das alles war völlig verrückt und furchteinflößend wie die Hölle, aber das Militär würde sich darum kümmern.
Dann hatte CNN gezeigt, wie die Kampfjets in Flammen aufgingen und wie tote Blätter vom Himmel taumelten, wie die Raketen auf eine Art Kraftfeld trafen und weit vor ihrem Ziel, einem riesigen fremden Raumschiff, explodierten, und wie der Präsident im Oval Office alle aufforderte, die Ruhe zu bewahren, bevor er und der Rest der Regierungsmannschaft verschwanden. Überall auf der Welt suchten panische Menschenmassen nach Führung und stellten fest, dass niemand mehr da war. Polizei- und Militärkräfte lösten sich auf, um ihre eigenen Familien zu schützen und einen Weg zum Überleben zu finden. Dann waren die Cypher-Raumschiffe aufgetaucht und alle Mobiltelefone, das Festnetz, das Internet, Fernsehgeräte, Radios und das komplette Elektrizitätsnetz waren tot gewesen.
Dave, Cheryl und seine beiden Söhne hatten es nie nach Cedar Rapids geschafft. Auch nicht zum Haus ihrer Eltern südlich von Colorado Springs. Und sie hatten nie erfahren, was aus den Eltern oder Cheryls Schwester in San Francisco geworden war. Es war alles so schnell gegangen, dass es selbst in der Erinnerung unwirklich blieb. Es war Nacht gewesen und sie hatten im Schein der Kerzen und Taschenlampen alles Notwendige zusammengepackt. Dave hatte gerade ein paar Koffer durch den Flur nach draußen getragen, wo ein Campingwagen neben ihrem Pick-up-Truck stand. Im nächsten Augenblick waren gesichtslose, in schwarze Anzüge gehüllte Soldaten erschienen. Es hatte ausgesehen, als wuchsen ihre Waffen aus ihren Körpern heraus. Sie waren nicht nur ins Haus eingedrungen, sondern hatten sich wie schimmernde Geister durch die Wände bewegt. Cheryl war mit Mike und Steven in einem der hinteren Zimmer gewesen und Dave hatte gerufen, so laut er konnte, sie alle sollten jetzt sofort zum Campingwagen kommen, und er hatte die Koffer fallengelassen und nach seiner Schrotflinte neben der Haustür gegriffen. Dann hatte er eine Art blau blitzendes Licht gesehen, das an den Fenstern leckte. Er erinnerte sich an eine ohrenbetäubende Explosion und das Gefühl, zuerst von einem schweren Stiefel