Sherlock Holmes: 40+ Krimis in einem Buch. Arthur Conan Doyle

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zu sein.«

      »Was Sie nicht sagen!« rief Holmes mitfühlend. »Nun, Mr. Mac, und auch Sie, lieber White Mason, ich möchte Ihnen einen ernsten, gutgemeinten Rat geben. Als ich mich zur Mitwirkung an der Sache entschloß, habe ich mir, wie Sie wissen, ausbedungen, daß ich Ihnen keine halbbewiesenen Tatsachen, unfertige Ergebnisse vorzulegen brauche; mit einem Wort, daß ich, was ich herausfinde, für mich behalten kann und Ihnen meine Ansichten erst dann mitzuteilen brauche, wenn ich die Überzeugung gewonnen habe, daß sie richtig sind. Dies ist der Grund, daß ich Ihnen im Augenblick noch nicht alles erzähle, was ich im Sinne habe. Andererseits versprach ich, offen und ehrlich zu Ihnen zu sein. Nach meinem Dafürhalten wäre es unvereinbar mit diesem Versprechen, wenn ich es zuließe, daß Sie auch nur einen Augenblick länger Ihre Zeit und Mühe an eine vollkommen zwecklose Aufgabe verschwenden. Deshalb kam ich hierher. Der Rat, den ich Ihnen geben möchte, läßt sich in die wenigen Worte zusammenfassen: lassen Sie die ganze Sache fallen.«

      McDonald und White Mason starrten ihren gefeierten Kollegen verblüfft an.

      »Sie halten sie also für hoffnungslos«, rief der Inspektor.

      »Ich halte Ihre Sache für hoffnungslos. Ich halte es indessen nicht für hoffnungslos, der Wahrheit auf den Grund zu kommen.«

      »Aber dieser Radfahrer? Er ist doch kein Geisterspuk? Wir haben seine Beschreibung, seine Reisetasche, sein Zweirad. Der Kerl muß doch irgendwo stecken? Warum sollten wir ihn denn nicht fassen können?«

      »Natürlich, warum sollten Sie nicht? Er ist irgendwo, und wir werden ihn sicherlich fassen, aber ich möchte nicht, daß Sie ihre Zeit damit vergeuden, ihn im Osten Londons oder in Liverpool zu suchen. Ich bin sicher, daß wir auf einem kürzeren Wege zum Ziele kommen werden.«

      »Sie enthalten uns irgend etwas vor. Das ist nicht nett von Ihnen, Mr. Holmes«, sagte der Inspektor verärgert.

      »Sie kennen meine Arbeitsmethoden, Mr. Mac. Wenn ich Ihnen etwas vorenthalte, so ist es nur auf so lange, als dies dringend erforderlich ist. Ich möchte nur noch auf eine bestimmte Weise mein Material nachprüfen. Das wird sehr einfach sein, und wenn es geschehen ist, werde ich mich empfehlen, nach London zurückkehren, und es zu Ihrer Verfügung zurücklassen. Ich fühle mich Ihnen zu sehr verpflichtet, um anders handeln zu wollen, denn in meiner ganzen Praxis bin ich noch auf keinen eigenartigeren, interessanteren Fall gestoßen.«

      »Das geht mir über die Hutschnur, Mr. Holmes. Als wir gestern von Tunbridge Wells zurückkehrten, schienen Sie im allgemeinen mit unseren Ansichten übereinzustimmen. Was ist seither vorgefallen, daß Sie anderen Sinnes geworden sind?«

      »Nun, da Sie mich fragen: ich habe gestern Nacht einige Stunden im Herrenhaus verbracht.«

      »Und was ist dort geschehen?«

      »Darüber kann ich Ihnen augenblicklich nur eine sehr allgemein gehaltene Auskunft geben. Nebenbei bemerkt habe ich mir angelegen sein lassen, eine kurze, aber klare und interessante Beschreibung des alten Gebäudes zu lesen, die ich zu dem bescheidenen Preis von einem Penny in dem Tabakgeschäft des Dorfes erstanden habe.«

      Bei diesen Worten zog Holmes eine kleine Broschüre, die vorne mit einem rohen Bild des altertümlichen Herrenhauses geschmückt war, aus seiner Westentasche.

      »Man geht ganz anders an eine Untersuchung heran, mein lieber Mr. Mac, wenn man sich in einem bewußten geistigen Kontakt mit der geschichtlichen Atmosphäre seiner Umgebung befindet. Nicht so ungeduldig sein, meine Herren, denn ich kann Ihnen versichern, daß selbst eine so spärliche Beschreibung in einem das Bild der alten Zeit hervorzuzaubern vermag. Ich möchte Ihnen einiges daraus zitieren: Das im fünften Jahre der Regierung von James I. an der Stelle eines viel älteren Gebäudes errichtete Herrenhaus von Birlstone gilt als einer der schönsten der noch vorhandenen jakobinischen Herrensitze.«

      »Sie wollen uns zum besten halten, Mr. Holmes.«

      »Nichts für ungut, Mr. Mac, aber das ist das erste Zeichen eines launischen Wesens, das ich an Ihnen bemerke. Nun also, da Sie die Sache so auffassen, werde ich lieber nicht weiter zitieren, aber wenn ich Ihnen sage, daß wir den bestimmten Nachweis dafür haben, daß das Haus im Jahre sechzehnhundertvierundvierzig von einem Obersten des Parlamentsheeres in Besitz genommen wurde, daß sich König Karl darin einige Tage während des Bürgerkrieges verborgen hielt, und daß ihm auch Georg II. später einen Besuch abstattete, so werden Sie zugeben, daß dieses altertümliche Haus einige höchst interessante Ideenverbindungen wachruft.«

      »Kein Zweifel, Mr. Holmes, aber das hat mit unserem Beruf nichts zu tun.«

      »So, so. Ein weiter Gesichtskreis, mein lieber Mr. Mac, ist eines der wichtigsten Erfordernisse unseres Berufes. Das Hineinspielen solcher Gedanken in den Kreis der vorliegenden Tatsachen ist oftmals von ganz außerordentlicher Bedeutung. Sie werden diese Bemerkung einem nicht verübeln, der, obgleich nur ein Theoretiker Ihres Berufes, immerhin erheblich älter ist als Sie und mehr Erfahrungen besitzt.«

      »Das gestehe ich Ihnen ohne weiteres zu«, erwiderte der Detektiv herzlich. »Sie erreichen gewöhnlich Ihr Ziel, das muß ich Ihnen lassen, aber Sie verfolgen dabei so verflixt krumme Wege.«

      »Nun gut, so wollen wir das Gebiet der Geschichte verlassen und uns auf den Boden der gegebenen Tatsachen stellen. Wie ich Ihnen schon sagte, war ich gestern Nacht im Herrenhaus. Ich habe dort weder Mr. Barker noch Mrs. Douglas gesehen. Ich hatte keine Ursache, sie zu stören, war jedoch erfreut zu hören, daß die Dame sich nicht sonderlich grämt und beim Abendessen einen ausgezeichneten Appetit entwickelt hat. Mein Besuch galt hauptsächlich dem famosen Mr. Ames, mit dem ich eine höchst freundschaftliche Unterredung hatte, die damit abschloß, daß er mir gestattete, einige Zeit in der Bibliothek zu verbringen, ohne daß jemand etwas davon wußte.«

      »Was? Mit dem–« rief ich aus.

      »Nein, nein, es war schon wieder alles in Ordnung. Sie haben doch die Erlaubnis dazu gegeben, Mr. Mac, wie man mir sagte. Das Zimmer war wieder in seinem gewöhnlichen Zustand. Ich habe darin eine höchst lehrreiche Viertelstunde zugebracht.«

      »Was haben Sie dort getan?«

      »Nun, um nicht aus einer höchst einfachen Sache ein dunkles Geheimnis zu machen, will ich Ihnen sagen, daß ich nach der fehlenden Hantel gesucht habe. Dies endigte damit, daß ich sie fand!«

      »Wo?«

      »Aha! Hier kommen wir an die Grenze des Unbewiesenen. Geben Sie mir noch etwas Zeit, nur ein ganz klein wenig Zeit, und ich verspreche Ihnen, daß Sie bald alles wissen werden, was ich weiß.«

      »Nun gut, wir müssen Sie wohl so nehmen, wie Sie sind«, sagte der Inspektor. »Aber was das betrifft mit dem ›Die-Sache-fallen-lassen‹, warum im Namen aller Helligen sollten wir die Sache fallen lassen«?

      »Aus dem einfachen Grund, mein lieber Mr. Mac, weil Sie noch gar keine Ahnung von dem haben, was Sie suchen und untersuchen wollen.«

      »Wir haben die Ermordung von Mr. John Douglas vom Birlstone Herrenhaus zu untersuchen.«

      »Sehr richtig, das haben Sie. Aber geben Sie sich keine Mühe, den geheimnisvollen Fremden mit dem Zweirad aufzuspüren. Ich gebe Ihnen die Versicherung, daß es zu nichts führt.«

      »Also, was schlagen Sie uns dann vor?«

      »Ich will Ihnen ganz genau sagen, was Sie tun sollen, vorausgesetzt, daß Sie es tun werden.«

      »Nun gut, ich will Ihnen zugestehen, daß Sie gewöhnlich ernste Gründe für Ihre sonderbaren Handlungen haben. Darum werde ich Ihren Rat gern entgegennehmen.«

      »Und Sie, Mr. White Mason?«

      Der Provinzdetektiv blickte ratlos von einem zum andern. Er war mit Holmes’ Eigenarten noch nicht vertraut.

      »Ich meine, was dem Inspektor recht ist, kann auch mir recht sein«, antwortete er endlich.

      »Famos«, rief Holmes. »Also dann rate ich Ihnen, einen hübschen kleinen, fröhlichen Spaziergang über Land zu machen. Ich hörte, daß man von dem Hügelkamm


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