Sherlock Holmes: 40+ Krimis in einem Buch. Arthur Conan Doyle
es hineingelegt? Sie?«
»Ich sollte eigentlich sagen, wieder hineingelegt«, sagte Holmes. »Sie erinnern sich doch, Inspektor McDonald, daß mir das Fehlen einer Hantel aufgefallen war. Ich habe Sie darauf aufmerksam gemacht, aber Sie waren damals durch andere Gedanken so in Anspruch genommen, daß Sie kaum Zeit hatten, sich die Sache zu überlegen und Ihre Schlußfolgerungen daraus zu ziehen. Da der Wassergraben so nahe ist, ist es kaum eine bei den Haaren herbeigezogene Vermutung, daß irgend etwas mit der fehlenden Hantel in das Wasser versenkt worden war. Dieser Gedanke erschien mir einer Nachprüfung wert, deren Schlußergebnis war, daß ich gestern mit der Unterstützung von Ames, der mich ins Zimmer ließ, und der Krücke von Dr. Watsons Regenschirm das Paket herausfischen und untersuchen konnte. Danach war es für uns von größter Wichtigkeit, einwandfrei festzustellen, wer es hineingelegt hat. Dies erreichten wir durch das naheliegende Mittel, anzukündigen, daß der Festungsgraben morgen trockengelegt werden würde, wobei wir annehmen konnten, daß derjenige, der das Paket dort verborgen hat, es herausziehen werde, sobald ihm die Dunkelheit dies unbemerkt gestattete. Wir haben nicht weniger als vier Zeugen dafür, wer es war, der sich dieser Möglichkeit bediente, und daher, Mr. Barker, möchte ich Sie bitten, mir hierüber eine Erklärung zu geben.«
Sherlock Holmes legte das Paket auf den Tisch neben die Lampe und knüpfte die Schnur, mit der es zugebunden war, auf. Daraus zog er eine Hantel, die er zu der anderen in der Ecke stieß, ein Paar Stiefel – »amerikanisches Fabrikat, wie Sie sehen,« bemerkte er, indem er auf die Form der Kappe zeigte, – dann ein langes, gefährlich aussehendes, in einer Scheide steckendes Messer. Schließlich entnahm er dem Paket ein Bündel Kleider, bestehend aus Unterwäsche, Socken, einem grauen Tweedanzug und einem kurzen, gelben Überrock.
»Die Kleider sind ganz gewöhnlicher Art,« bemerkte Holmes, »außer dem Überrock, der verschiedene interessante Eigenarten hat.«
Zärtlich hielt er ihn gegen das Licht, während er ihn mit seinen langen, dünnen Fingern abtastete.
»Hier sehen Sie z. B. die innere Brusttasche, die innerhalb des Futters soweit vertieft ist, daß sie die abgeschnittene Schrotflinte aufnehmen konnte. Die Firma des Schneiders ist hier am Kragen angenäht – Neadel, Herrenausstattungen, Vermissa, USA. Ich habe den Vormittag in der Pfarrbibliothek nutzbringend verwendet, und meinem Wissen die Tatsache zugefügt, daß Vermissa eine aufstrebende kleine Stadt am Kopfe eines Tales ist, in dem sich eines der bekanntesten Eisen-und Kohlengebiete der Vereinigten Staaten befindet. Ich erinnere mich noch, Mr. Barker, daß Sie die erste Gattin von Mr. Douglas mit den Kohlengegenden in Verbindung gebracht haben, und es scheint mir daher keine allzu kühne Kombination zu sein, das V V auf der Karte bei der Leiche für die Abkürzung von Vermissa Valley zu halten; weiter, daß dieses Tal, das Mordgesellen ausschickt, kein anderes ist, als das Tal des Grauens, von dem wir schon gehört haben. Soweit scheint dies alles klar zu sein. Und nun, Mr. Barker, möchte ich Ihrer Erklärung nicht länger im Wege stehen.«
Das ausdrucksvolle Gesicht Cecil Barkers trug während der Ausführungen des großen Detektivs einen Ausdruck, den zu beobachten sich der Mühe lohnte.
Ärger, Verblüffung, Verlegenheit und Unentschlossenheit rangen darin um die Vorherrschaft. Schließlich suchte er sich hinter einer schneidenden Ironie zu verschanzen.
»Wenn Sie soviel wissen, Mr. Holmes, wird es vielleicht am besten sein, wenn Sie uns auch noch das übrige erzählen«, sagte er höhnisch.
»Zweifellos könnte ich Ihnen noch gar manches erzählen, Mr. Barker, aber es scheint mir passender, das weitere aus Ihrem Munde zu hören.«
»Glauben Sie? Dann möchte ich sagen, wenn hier irgendein Geheimnis vorliegt, so ist es nicht das meine, und ich bin nicht der Mann, es preiszugeben.«
»Nun, Mr. Barker, wenn Sie sich darauf versteifen,« sagte der Inspektor ruhig, »bleibt uns nichts weiter übrig, als Sie im Auge zu behalten, bis wir einen Haftbefehl gegen Sie haben.«
»Sie können tun, was Sie wollen«, antwortete Barker trotzig.
Soweit er in Betracht kam, waren wir zweifellos an einem toten Punkt angelangt, denn man brauchte nur einen Blick auf das wie aus Stein gemeißelte Gesicht zu werfen, um zu erkennen, daß keine Tortur dieser Welt ihn veranlassen könnte, einem einmal gefaßten Beschluß entgegenzuhandeln. Alsbald kam jedoch wieder Bewegung in die Lage durch das Hineinklingen einer Frauenstimme. Mrs. Douglas, die offenbar schon an der halbgeöffneten Tür gehorcht hatte, trat ins Zimmer.
»Sie haben schon genug für uns getan, Cecil«, sagte sie. »Was immer auch daraus werden mag, Sie haben genug getan.«
»Genug und mehr als das«, bemerkte Sherlock Holmes ernst. »Sie haben mein volles Mitgefühl, gnädige Frau, und ich würde Ihnen dringendst raten, etwas Vertrauen zu der Rechtspflege zu haben und sich der Polizei ruhig anzuvertrauen. Es mag sein, daß es ein schwerer Fehler von mir war, den Wink nicht zu beachten, den Sie mir durch meinen Freund Dr. Watson zukommen ließen, aber zu jener Zeit hatte ich allen Grund zu glauben, daß Sie unmittelbar an dem Verbrechen beteiligt seien. Jetzt bin ich vom Gegenteil überzeugt. Immerhin gibt es noch vieles, das der Erklärung bedarf, und ich würde Ihnen ernstlich raten, zu veranlassen, daß nun Mr. Douglas selbst das Wort ergreift.«
Ein Aufschrei des Erstaunens aus Mrs. Douglas’ Mund folgte den Worten Holmes. Wir, die Detektive und ich, müssen wohl ein Echo dazu geliefert haben, als wir einen Mann gewahrten, der in jenem Moment direkt aus der Wand herauszukommen schien und der dann aus dem Dunkel der Ecke, in der er Einlaß ins Zimmer gefunden hatte, hervortrat. Mrs. Douglas wandte sich um und hielt ihn einen Augenblick später mit ihren Armen umschlungen. Barker hatte seine ausgestreckte Hand ergriffen.
»Es ist am besten so, Jack«, sagte seine Frau. »Ich bin überzeugt, es ist das beste.«
»Jawohl, Mr. Douglas,« sagte Sherlock Holmes, »auch ich bin davon überzeugt.«
Der Mann stand vor uns mit den blinzelnden Augen eines, der unvermittelt aus dem Dunkel in einen hellen Raum tritt. Es war ein Mann von bemerkenswertem Äußern; er hatte kühne graue Augen, einen dichten, kurzgeschnittenen, melierten Schnurrbart, ein eckiges, vorstehendes Kinn und einen humorvollen Mund. Er musterte uns alle eingehend und schritt dann zu meiner größten Überraschung auf mich zu und übergab mir ein Bündel Papiere.
»Ich habe von Ihnen gehört«, sagte er mit einem Akzent, der nicht ganz englisch und auch nicht ganz amerikanisch war, aber melodisch und angenehm klang. »Sie sind der Historiker in dieser Gesellschaft. Nun, Dr. Watson, ich glaube nicht, daß Sie jemals eine ähnliche Geschichte in Ihren Händen hatten. Darauf möchte ich meinen letzten Dollar wetten. Machen Sie daraus, was Sie wollen. Hier haben Sie nur die nackten Tatsachen, aber Sie können nicht fehlgehen, solange Sie sich an diese halten. Ich bin zwei Tage eingeschlossen gewesen und habe die Tagesstunden, soweit es das schwache Licht in dieser Mausefalle zuließ, dazu benutzt, die Geschichte niederzuschreiben. Sie können sie haben – Sie und ihre Leser. Es ist die Geschichte vom Tal des Grauens.«
»Das ist die Vergangenheit, Mr. Douglas,« sagte Sherlock Holmes ruhig. »Was wir jetzt haben wollen, ist die Geschichte der Gegenwart.«
»Sie sollen sie hören«, sagte Douglas. »Darf ich rauchen, während ich spreche? Schön, danke Ihnen, Mr. Holmes. Sie sind selbst Raucher, wenn ich mich nicht irre, und werden sich vorstellen können, was es heißt, zwei Tage mit Tabak in der Tasche dazusitzen und nicht rauchen zu dürfen, aus Furcht, durch den Geruch verraten zu werden.«
Er lehnte sich an den Kaminsims und saugte an der Zigarre, die ihm Holmes überreicht hatte.
»Ich habe von Ihnen schon gehört, Mr. Holmes, aber nicht gedacht, daß ich Ihnen jemals begegnen würde. Wenn Sie das gelesen haben,« sagte er, auf die Papiere deutend, »werden Sie erkennen, daß ich Ihnen etwas Neues gebracht habe.«
Inspektor McDonald, der bisher die neue Erscheinung in höchster Verblüffung angestarrt hatte, fand endlich Worte.
»Da hört sich aber alles auf«, rief er. »Wenn Sie Mr. John Douglas, Besitzer von Birlstone, sind, wessen Ermordung haben wir dann die letzten zwei Tage untersucht, und wo, um alles in der Welt, sind