Schöne Gedichte. Joachim Ringelnatz

Schöne Gedichte - Joachim  Ringelnatz


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      Herr Müller dankte für die Ehre,

      Dann nahm er eine lange Schere

      Und schnitt ihn in zwei gleiche Teile.

      Jedoch, nach einer kurzen Weile,

      Da wurden aus dem einen Floh

      Zwei neue Flöh’ daraus. – Oho!

      Da sprach der eine von den beiden:

      »Man muß nicht einen Floh zerschneiden.«

      Die Nadel

      Ein Schneider eine Nadel fand,

      Die stach den Schneider in die Hand.

      Der Schneider sprang entsetzt zurück,

      Die Nadel sprach, ich bring’ dir Glück.

      Der König hörte Schneiders Leid,

      Und er bestellte sich ein Kleid.

      Der Schneider nähte dieses gleich;

      Am andern Tage war er reich.

      So hat die Nadel über Nacht

      Dem armen Schneider Glück gebracht.

      Das Samenkorn

      Ein Samenkorn lag auf dem Rücken,

      Die Amsel wollte es zerpicken.

      Aus Mitleid hat sie es verschont

      und wurde dafür reich belohnt.

      Das Korn, das auf der Erde lag,

      Das wuchs und wuchs von Tag zu Tag.

      Jetzt ist es schon ein hoher Baum

      Und trägt ein Nest aus weichem Flaum.

      Die Amsel hat das Nest erbaut;

      Dort sitzt sie nun und zwitschert laut.

      Der Wassertropfen

      Ein Wassertropfen fiel vom Himmel;

      Es war ein ungezog’ner Lümmel.

      Im Grase schlief ein dummer Hase,

      Der Tropfen fiel auf seine Nase.

      Der Hase dachte sich dabei,

      Daß er jetzt totgeschossen sei.

      Er sprang in seinem großen Schreck

      Aus seinem sicheren Versteck.

      Der Jägersmann stand an der Straße

      Und schoß ihn wirklich in die Nase.

      Der Knopf

      Es war ein Knopf an Fritzens Mütze,

      Der machte ungezogne Witze.

      Erst strampelte er stundenlang,

      Worauf er von der Mütze sprang.

      Er fiel auf einen Kieselstein,

      Dort schlief er ganz ermüdet ein.

      Und eine Schlange sah den Schläfer;

      Sie dachte sich, es sei ein Käfer.

      Und weil der Käfer ihr gefiel,

      So fraß sie ihn mit Stumpf und Stiel.

      Der Stein

      Ein kleines Steinchen rollte munter

      Von einem hohen Berg herunter.

      Und als es durch den Schnee so rollte,

      Ward es viel größer als es wollte.

      Da sprach der Stein mit stolzer Miene:

      »Jetzt bin ich eine Schneelawine.«

      Er riß im Rollen noch ein Haus

      Und sieben große Bäume aus.

      Dann rollte er ins Meer hinein,

      Und dort versank der kleine Stein.

      Der kleine Junge

      Es war ein kleiner, böser Junge,

      Der zeigte jedermann die Zunge,

      Ging statt zur Schule auf die Straße

      Und drehte allen eine Nase.

      Als seine Eltern beide tot,

      Kam er in bitterliche Not.

      Und lebt nun – weil er sonst nichts kann –

      Als armer Leierkastenmann.

      Das kleine Mädchen

      Es war ein armes kleines Mädchen,

      Das stickte nur mit kurzen Fädchen;

      Ich glaube, Lina war ihr Name.

      Sie wurde eine schöne Dame,

      War fleißig, brav und lernte gerne,

      Da kam ein Prinz aus weiter Ferne.

      Der sagte: »Liebe gute Lina,

      Komm mit mir auf mein Schloß nach China.«

      Dort sitzen sie nun alle beide

      Auf einem Thron von gelber Seide.

      Wer hört ein Stäubchen lachen?

      Wer hört ein Stäubchen lachen?

      Stäubchen stob durch die Stube.

      Dort saß ein kleiner Bube

      (Der Stäubchen wie ein Riese erschien)

      Vor einem Stadtplan von Berlin.

      Stäubchen lachte: »Berlin ist klein!«

      Drang in Bübchens Nase hinein

      Und ließ sich von dem Riesen

      Wieder ins Weltall niesen.

      Arm Kräutchen

      Ein Sauerampfer auf dem Damm

      Stand zwischen Bahngeleisen,

      Machte vor jedem D-Zug stramm,

      Sah viele Menschen reisen

      Und stand verstaubt und schluckte Qualm

      Schwindsüchtig und verloren,

      Ein armes Kraut, ein schwacher Halm,

      Mit Augen, Herz


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