JAGDGRÜNDE. Michael Mikolajczak
gewesen.
Die Fenster im Loft standen offen.
Wie eine Wand stand die Hitze davor. Noch nie hatte es solch einen Frühling gegeben. Jeder Tag trieb die Temperatur auf Rekordhöhe. Die Zeitungen berichteten täglich von alten Menschen und ihrem Sterben an Kreislaufversagen.
Iacub erinnerte sich an den Regenschauer vor ein paar Tagen. Die Tropfen hatten sich in seine Kleidung gesaugt, sie dunkel verfärbt und seinen Körper gekühlt. Der Regen hatte ihn glücklich gemacht, ihm ein Gefühl von Freiheit geschenkt.
»Nimm.«
Ihre Stimme war sanft. Sie zeigte ihre weißen, schönen Zähne.
Sie waren falsch.
Iacub nahm den Champagnerkelch, stieß mit ihr an. Ein heller Klang erfüllte den Raum.
Ihr Gürtel löste sich. Seide raschelte auf Parkett, fiel zu einem Häufchen Stoff zusammen, dem ein nackter Fuß entstieg.
Er sah zur Seite, wich ihrer Nacktheit aus.
»Küss mich.«
Sein Körper verspannte sich und stumm reihte er Zahl an Zahl.
»Eins, zwei, drei, vier.«
Ihr Kuss schmeckte süß.
Ihre Stimme war wohlwollend.
Ihre Worte waren es nicht.
»Vergiss Venedig und die Biennale. Du bleibst hier.«
Der Kuss verblasste auf seinen Lippen. Er dachte an Helen, an die Reise, an sein Geschenk.
Sie waren durchschaut.
Wie ein kleiner Junge stand Iacub vor Anne. Sein Mund stand weit geöffnet, alle Worte schienen hinausgefallen.
Es war wie damals, sein Mund war weit aufgerissen gewesen, um Platz für die Schmerzenschreie zu schaffen. Wütend hatte seine Mutter auf ihn eingeprügelt. Er hatte zu laut gespielt und es nicht einmal bemerkt.
Er hatte sie gehasst.
Er hasste Anne.
Er leerte den Kelch in einem Zug. An einem anderen Abend hätte der Champagner geschmeckt. Heute ging es nicht um Genuss, es ging um Zeitgewinn.
Das Fenster. Weit stand es offen.
Er war kein Vogel.
Er reichte ihr den Bademantel.
Sie zog sich an.
Still stand sie vor dem Fenster.
Iacub malte sich aus, sie zu stoßen. Er hörte ihren Körper auf dem Gehweg aufprallen. Es wäre so einfach.
»Feigling.«
Er wollte seinen Gedanken widersprechen, doch schwieg. Es wäre nur eine Lüge gewesen.
Mutter hatte ihn nach Lügen stets geschlagen. Sie hatte ihn nie geliebt. Liebe hatte er erst bei Anne gefunden. Ihre Schönheit hatte ihn gefangen genommen. Anne hatte Iacubs Mutter äußerlich geglichen, doch bei Anne hatte er Wärme und Zuneigung finden können. Anne war voller Liebe gewesen, damals, bevor sie wie Iacubs Mutter wurde. Er fühlte sich als Versager.
»Versager.« Mit vier Jahren hatte er die Bedeutung des Wortes gelernt. Mutter hatte ihn im Bad auf die Toilette gesetzt, die Glühbirne herausgeschraubt, die Tür geschlossen und ihn vergessen. Stunden hatte er ihren Namen gerufen. Ihre Schläge hatte er gefürchtet. Die Angst vor der Dunkelheit ebenso.
Annes Stimme holte ihn zurück.
»Helen wird allein fahren. Sie muss lernen, Verantwortung zu übernehmen. Wir werden endlich Zeit miteinander verbringen.«
Anne griff nach der Flasche, füllte die Gläser. Die Perlen prickelten auf seiner Zunge. Sie schmeckten bitter, einer Niederlage ähnlich.
Als sie erneut aus dem Bademantel schlüpfte, nahm er sie. Iacub ließ sie seine Wut spüren. Er fand keine Erleichterung, und als es endlich vorüber war, rollte er sich von ihr und war froh, sie nicht ansehen zu müssen.
Sie erhob sich, hielt etwas in Händen. Es waren Fotos, sie zeigten Helen.
Helen lächelte Iacub an.
Helen küsste ihn.
Sie waren glücklich.
Anne legte die Abzüge auf Iacubs Brust.
Stolz verließ sie das Bett und ließ Iacub mit den Abbildern seiner Geliebten allein.
Demütigung war seine Strafe. Der Sex mit Anne war eine Inszenierung gewesen. Sie hatte ihn erniedrigt.
Er wünschte Anne tot.
– 26 –
Männer. Ernst blickende Gesichter. Front, Profil. Dutzende. Sie starrten Patrick an. Er starrte zurück. Sie alle waren Treffer. Sein Computer hatte sie ausgewählt. Mord-Frau-Blond-Messer lauteten die Suchkriterien.
Sie alle waren in Haft.
Patricks Interesse erlosch und ein Klick seiner Maus ließ die Männer verschwinden.
Die Hauspost brachte das Ergebnis der DNA-Analyse. Patrick hoffte, die junge Frau über ihren genetischen Fingerabdruck ermitteln zu können. Hätte der Fall Brutus nicht oberste Priorität besessen, hätte er Wochen auf das Laborergebnis warten können.
Es waren Tage geworden.
Patrick öffnete den Umschlag. Seine Tatverdächtige war nie mit dem Gesetz in Konflikt gekommen. In der Datenbank fand sich kein Name zu ihrem genetischen Profil.
Frustriert fegte er den Umschlag vom Tisch. Zwei tote Frauen und keine verwertbare Spur waren eine ärmliche Bilanz.
»Ist es was Persönliches zwischen dir und …«, Arkady betrachtete den Papierumschlag auf dem Boden, »… dem Papier?«
Er bückte sich und begann aus dem Umschlag einen Papierhut zu falten. »War 'ne Sackgasse die Lesbe, oder?« Arkady genoss den Moment. »Du musst warten, bis er einen Fehler macht, Junge.«
»Bis er erneut tötet? Vergiss es.«
»Wir werden trotzdem warten. Wir warten immer auf die Opfer.«
»Lass mich in Frieden, Arkady.«
«Du verlierst die Kontrolle.«
»Verstehst du nicht? Das Warten macht mich zu seinem Komplizen.«
»Du bist pathetisch. Vielleicht wärst du als Schauspieler besser.«
»Halt die Klappe, Arkady.«
»Was? Ist das alles? Paty-Boy du enttäuschst mich.«
Patricks Finger formten erneut eine Faust.
»Komm Junge. Schlag zu. Bau den Druck ab.«
Arkady erwartete den Schlag.
Er blieb aus.
Arkady ließ sich auf seinen Schreibtischstuhl sinken und rieb sich das Kinn. Schmächtig und alt wirkte er. »Weißt du Patrick, irgendwann wird das Telefon klingeln. Eine blonde Frau wird in ihrem Blut liegen. Wir werden sie uns ansehen, den Tatort untersuchen, mit Menschen reden, uns fragen, wie der Killer sein Opfer fand, welche Wege er genommen haben könnte, welche Spuren sich dort finden lassen könnten. Wir werden fleißig sein, sowie dieses Telefon läutet.« Er schob Patrick den Apparat zu. »Wir müssen nur warten, Junge. Und falls du willst, können wir solange reden.«
Patrick nickte und begann. »Er stach zwölf Mal auf das erste Opfer ein.«
»Jessica. Sie hieß Jessica.«
»Er stach auf Jessica ein.«
»Es gab keine Zeugen, keine Spuren am Tatort, keine Spuren an ihrem Körper. Wie bei seinem zweiten Opfer.«
»Meret. Sag ihren Namen. Sie hat es verdient, dass man ihr etwas Würde