Leni Behrendt Staffel 4 – Liebesroman. Leni Behrendt
Anstatt daß er nun seine Blindheit, mit der er da hineintappte, allein büßt, müssen wir anderen es mittun. Jedenfalls – ich kneife!«
»Das kriegst du ja doch nicht fertig, Philchen. Du bist mit deiner Familie so verwachsen, daß du mit ihr lachst und weinst. Hättest ja doch keine Ruhe, wärest du fern von hier. Würdest hangen und bangen um das, was dir so unlöslich ans Herz gewachsen ist. Also, bleib schon lieber hier und hange und bange an Ort und Stelle, dann bist du wenigstens immer genau im Bilde.«
»Ja, sag mal, du Fratz, haben wir jetzt plötzlich die Rollen getauscht? Anstatt daß ich dir gute Lehren erteile, tust du es. Da soll doch gleich dieser und jener!«
»Oh, Philchen, jetzt gleichst du ganz deinem Zwillingsbruder, wenn er grimmig ist!« wollte der Schelm sich halbtot lachen. »Sei friedlich und gib mir recht.«
»Balg…«, brummte sie. »Du machst ja mit mir, was du willst. Schön, sehe ich mir den Jammer an Ort und Stelle an. Ich fürchte nur, daß Onkel Philipp seine aggressive Schwiegertochter mal gehörig verprügelt. Heute vormittag sah es beinahe schon so aus. Ich habe vor Angst gezittert. Wenn ich du wäre, würde ich mir eine friedlichere Stätte suchen.«
»Das kann ich nicht«, gestand das Mädchen leise. »Ich liebe euch alle – wo ihr nicht seid, kann ich nicht sein.«
»Herzenskind, das war ein gutes Wört!« lächelte Philchen gerührt. »Auch uns würde es schwer ankommen, dich zu missen. Also bleiben wir weiter zusammen, und bilden wir ein Bollwerk gegen den bösen Geist des Hauses.«
Aber Ilona kam sich gar nicht so vor – im Gegenteil, alle anderen waren böse Geister, die so ein armes, bedauernswertes Wesen wie sie knebelten und knechteten. Alles nahmen ihr diese abscheulichen Menschen, aber auch alles woran sie noch ihre Freude hatte!
Denn sie konnte dem Gatten jetzt keine Szenen mehr machen, weil er in das Turmgemach übergesiedelt war, das er vor seiner Verheiratung bewohnt hatte. Und die Tür, die zu dem lauschigen Gelaß führte, war aus hartem, festem Holz.
So bekam sie Eike nur noch während der Mahlzeiten zu sehen, wo sie es jetzt vorzog, sich manierlich zu benehmen. Denn die eisigen Mienen, mit denen man ihr begegnete, schüchterten sie denn doch ein.
Jeden Abend nahm sie sich vor, morgen die Koffer zu packen – und unterließ es immer wieder.
Und warum? – Weil sie blind vor Eifersucht war. Sonst hätte sie sehen müssen, daß die beiden von ihr Bespitzelten sich durchaus korrekt benahmen – auch wenn ihre Herzen zueinander strebten. Allein, um diesem Gefühl skrupellos nachzugeben, waren sie beide nicht leichtfertig genug. Dafür hielt Eike Hadebrecht die Ehe immer noch zu heilig, und Silje Berledes wäre es nie eingefallen, in eine Ehe einzubrechen.
Und dennoch, das Mißtrauen Ilonas war hellwach. Deshalb konnte sie sich nicht dazu entschließen, ihre Reise anzutreten, obwohl es Sie mit tausend Banden aus dem »Eulennest« in die glänzende Welt zog.
Doch nichts, aber auch gar nichts kam dabei heraus. Silje und Eike trafen nie unter vier Augen zusammen, selbst im Betrieb nicht mehr. Denn die Sekretärin des Juniorchefs versah schon wieder pflichtgetreu ihren Dienst, und Silje befand sich nach wie vor unter der betulichen Obhut Fräulein Luischens.
Die Ritte unternahmen die beiden Menschen stets getrennt, beim Tennisspiel war immer Philchen dabei, und beim Konzert hörte die gesamte Familie zu.
Und doch – Ilona hielt wacker stand, mit der Devise: Ausdauer siegt. Sie hatte es sich sogar in den Kopf gesetzt, den Gatten zurückzugewinnen. Doch nie konnte sie seiner habhaft werden, der die Tür vor ihr verschloß.
*
Aber der Mensch denkt, und Gott lenkt. Für ihn schien Eike Hadebrecht doch nicht so ganz Stiefkind zu sein, wie dieser resigniert annahm. Und da dem Höchsten die Wege ganz einfach sind, die den Menschen oft wunderlich erscheinen, so wählte er auch einen ganz einfachen Weg, um das Böse zu vernichten und das Gute triumphieren zu lassen. Und es bewahrheitete sich wieder einmal das Sprichwort: Der Krug geht solange zu Wasser, bis er bricht.
Nun, Ilonas Krug schöpfte giftiges Wasser, das auch eines Tages überlief. Doch dann beschüttete es sie selbst und nicht die Menschen, über deren Herzen es fließen sollte.
Ilona ging an einem sonnigen Nachmittag mit der kleinen Ute in den Park. Sie hatte das Kind jetzt immer einige Stunden täglich um sich. Aber nicht aus einem zärtlichen Muttergefühl heraus, sondern weil Fräulein Herta, die Betreuerin der Kleinen, nun bei Ilona Zofendienste verrichten mußte, seitdem Ella fort war.
Nun, lange würde dieser Zustand wohl nicht anhalten. Denn Ilona hatte an Pia geschrieben und sie angefleht, ihr eine würdige Nachfolgerin zu besorgen, was die frühere Zofe denn auch brieflich versprach. Nur noch zwei Wochen Geduld, dann wäre das »Phänomen« für sie frei.
Daraus schöpfte Ilona nun eine frohe Zuversicht und nahm es wohl oder übel auf sich, ihr Töchterchen einige Stunden am Tage zu betreuen. Warum dies geschah, davon hatten ihre Angehörigen allerdings keine Ahnung. Sie wunderten sich nur, daß die Mutter sich plötzlich um ihr Kind kümmerte, das sie vorher nur wenig beachtet hatte.
Nun hatte Ilona heute von ihrer Mutter einen dicken Brief erhalten, der schon einem kleinen Roman glich. Um den zu lesen, dazu gehörte natürlich Zeit und Ruhe. Aber ausgerechnet jetzt mußte sie auf Ute achten, weil Fräulein Herta am Plättbrett stand!
Nun, die Kleine hatte ja den neuen bunten Ball, mit dem sie sich beschäftigen konnte. Also galt es nur noch für Ilona, sich ein stilles Plätzchen zu suchen, wo sie diesen Erguß ungestört lesen konnte.
Da fiel ihr die Laube am Weiher ein. Freilich, der Weiher war tief und mit Algen verwachsen.
»Spiel schön«, sprach sie dem Dummchen zu. »Aber wag dich nicht zu weit ans Wasser, da sind Nixen drin!«
»Nixen – was ist das, Mami?« fragte die kleine Unschuld neugierig. »Sind die gut oder ßlecht?«
»Frag nicht so viel!« wurde die Mutter bereits ungeduldig. »Spiel mit dem Ball, die Mami hat jetzt keine Zeit.«
Schon verschwand Ilona in der Laube, um den Brief zu lesen, der sie brennend interessierte – mehr als das Töchterchen, das sich mit dem bunten Ball vergnügte. Er war so groß, daß die molligen Patschchen ihn nicht umschließen konnten, sondern das Bäuchlein dabei noch Hilfestellung leisten mußte.
Und schön war es, wunderschön, wenn die lustigbunte Kugel davonrollte. Jauchzend holte Klein-Ute sie immer wieder ein – bis sie ins Wasser rollte und sich in einer gelben Mummelgruppe verfing.
»Hol mich doch!« schien der bunte Ball neckisch zu fordern. »Hol mich doch, bevor die Nixen es tun!«
»Mami, die Nixen wollen meinen Ball!« rief das Mägdlein kläglich.
Aber die Mami hörte nicht, weil es gar zu interessant war, was die Mutter da über einen Inder schrieb, der, unermeßlich schön und unermeßlich reich, augenblicklich die Gemüter der Globetrotter an der Riviera erregte.
Das wäre ein Mann für Dich! – schrieb die Mutter begeistert. Der würde Deine Schönheit und Deinen Charme so recht zu würdigen wissen. Schade, daß Du schon gebunden bist, aber vielleicht…
Bei diesem Vielleicht sollte es vorläufig bleiben. Denn ein gurgelnder Laut ließ die vertiefte Leserin aufschrecken, riß sie aus ihrer Phantasterei plötzlich in die Gegenwart zurück. Verstört sah Ilona von dem Brief auf, spähte angstvoll nach ihrer Tochter – doch weder sie noch der bunte Ball waren zu entdecken. Nur auf dem schwarzgrünen Wasser gurgelte es.
»Hilfe!!!« schrie Ilona da, sinnlos vor Angst – und siehe da, die Hilfe nahte bereits. Und zwar in Gestalt Siljes, die in rasender Eile vorschnellte und mit einem kühnen Sprung in dem unheimlichen Wasser versank.
Wenig später tauchte sie denn wieder auf, von Algen umschlungen. Fest an die Brust gedrückt hielt sie Ute, das kleine Dummchen, das den Nixen den Ball wegholen wollte.
Doch die entsetzte Ilona schrie i?nmer weiter – anhaltend, gellend, daß jedem, der es hörte, das Grausen über