Landpartie. Dietmar Grieser

Landpartie - Dietmar Grieser


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an manchen der Orte, an denen ich länger verweilt, Land und Leute kennengelernt und neue Freundschaften geschlossen habe, wurde sogar der Wunsch geäußert, ich möge doch eines Tages auch über sie ein Buch schreiben. Ein eigenes Werk über Feldkirch oder Jennersdorf, über Illmitz oder Matrei? Ich mußte sie allesamt enttäuschen: Da wurde meine Leistungsfähigkeit überschätzt. Wie sollte ich es schaffen, mich in so viele, so unterschiedliche Milieus einzuleben, mir deren Besonderheiten zu eigen zu machen, sie in aller Form zu porträtieren?

      Was jedoch blieb und was es in der Tat verdiente, festgehalten zu werden, sind jene vielen kleinen Begebenheiten und Begegnungen zwischen Bregenz und Mattersburg, zwischen Waldviertel und Hoanzenland, die sich meinem Langzeitgedächtnis eingeprägt haben, und von ihnen soll in diesem Buch die Rede sein: Berührendes und Groteskes, Belustigendes und Makabres, Menschliches und Allzumenschliches (und zum Glück kaum Unmenschliches). Es sind Geschichten, die eines gemeinsam haben: Sie spielen allesamt in dem Land, dem ich seit meinem vierundzwanzigsten Lebensjahr angehöre: Österreich. Mögen sie ihm ein wenig von jener Zuneigung zurückgeben, die ich selber in diesen sechsundfünfzig Jahren in meiner Wahlheimat erfahren habe.

      Erlebnisse

       Franzl

      In den zwanzig Jahren zwischen 1958 und seinem frühen Tod 1978 unternahm ich mit Franz Hrastnik zahlreiche Reisen, von denen der Arbeitswütige stets mit einer Fülle von Ölbildern, Aquarellen und Schwarzweißzeichnungen heimkehrte. Seine nach außen hin sichtbaren Erfolge feierte er zwar als Schriftsteller, doch sein eigentliches, sein spezifisches Talent war das Malen und Zeichnen. In einigen seiner Bücher konnte Hrastnik diese Doppelbegabung geschickt bündeln – etwa in den Satiresammlungen »Filmverdrehbuch« und »Opernkonserve«. Vor allem letztere, eine geglückte Kombination von Karikaturen und Spottversen auf die Klassiker der Opernliteratur, erlebte mehrere Auflagen. Noch heute kann ich einige dieser Gedichte, die bei aller Respektlosigkeit und Drastik doch immer auch Franzls große Liebe zur Gattung Oper verrieten, auswendig aufsagen – etwa den Zweizeiler

       Liegt es wirklich am Onassis, daß die Callas jetzt so blaß is?

      Unter den Wiener Lokalen, die wir zu jener Zeit nach getaner Arbeit gern aufsuchten, war der Urbani-Keller im I. Bezirk einer unserer Favoriten. Wieder einmal hatten wir uns in dem urigen Lokal nahe der Kirche Am Hof zu einer wein seligen Runde eingefunden; Erlauer Stierblut war die Sorte, der wir besonders zusprachen. Am Nebentisch saßen zwei junge Männer, die sich angeregt miteinander unterhielten; sie waren so laut, daß man sie fast hätte ermahnen müssen, sich zu mäßigen.

      Noch schlimmer wurde es, als einer der beiden sich plötzlich anschickte, Gedichte zu deklamieren. Franzl und ich verstanden unser eigenes Wort nicht mehr – so temperamentvoll, ja geradezu bühnenreif legte sich unser Tischnachbar ins Zeug, und sein Gegenüber lauschte andächtig, reagierte mit schrillen Lachsalven, spendete heftigen Applaus. Gerade als Franzl, selber ein Temperamentsbündel sondergleichen, ja der geborene Streithansl, Anstalten traf, dem Lärm ein Ende zu machen und die beiden Burschen zur Ordnung zu rufen, hielt er unvermittelt inne, und sein eben noch zornerfüllter Blick hellte sich schlagartig auf. »Hörst du, was der Kerl da von sich gibt?« fragte er mich und fuhr, ebenso überrascht wie entzückt, fort: »Das ist doch meine ›Opernkonserve‹!«

      Franzl riß es vom Sessel, außer sich vor Freude eilte er an den Nebentisch, gab sich dem Rezitator als Autor dessen, was da gerade lautstark den Urbani-Keller erfüllte, zu erkennen und schloß den vermeintlichen Störenfried enthusiastisch in die Arme. Fast noch größer die Freude auf der Gegenseite: »Was – Sie sind der Hrastnik? Ich kann die ganze ›Opernkon-serve‹ auswendig, es ist mein Lieblingsbuch!«

      Nun war es an der Zeit, daß sich auch der Rezitator zu erkennen gab: Es war Heinz Holecek, der später berühmte Baßbariton der Wiener Staatsoper, zu dieser Zeit Anfang zwanzig und noch am Beginn seiner Karriere. Zwei leidenschaftliche Opernfans hatten sich in diesem denkwürdigen Augenblick gefunden: der Bühnenprofi und der »Schreibtischtäter«. Heinz Holecek und Franz Hrastnik wurden Freunde fürs Leben.

      Unsere gemeinsamen Reisen führten Franzl und mich in viele Länder, mehrere Kontinente. Aber auch innerhalb Österreichs begleitete ich den fünfundzwanzig Jahre Älteren an manche der Orte, an denen er seine Bilder malte. Die Österreichische Fremdenverkehrswerbung hatte ihn gleich nach dem Krieg für eine Plakatserie nach Melk und Hallstatt, nach Graz und Innsbruck, nach Mariazell und Heiligenblut geschickt; nun traf er seine eigene Wahl, nahm auf jeden unserer Ausflüge sein Malzeug mit, kehrte mit reicher Beute heim. Wenn ich heute Bilanz ziehe über meine Ortskenntnisse von meiner Wahlheimat Österreich, denke ich dankbar an jene zwanzig Jahre zurück, da sich mir an Franz Hrastniks Seite die Besonderheiten und Schönheiten dieses Landes erschlossen.

      Fast immer ging es dabei abenteuerlich zu: Franzl war ein Bohemien reinsten Wassers, ein »Urviech«, auch im Umgang mit seinen Mitmenschen ein absolut unberechenbares Original. Ich selber, eher von der bedächtigen Art, immer auf Ausgleich bedacht, mußte mich an Franzls »Kontrastprogramm« erst gewöhnen, genoß es dann aber umso mehr, nahm sogar mit der Zeit manche von seinen Unarten selber an – ich denke, es hat mir nicht geschadet.

      Was ich nicht von ihm angenommen habe, waren seine Eßsitten. Mit Schrecken erinnere ich mich daran, wie er in den Landgasthöfen, in denen wir während der Malpausen einkehrten, gierig nach der Maggi-Flasche griff, um die auf dem Tisch bereitgestellten Semmeln auseinanderzubrechen und mit der (von mir verabscheuten) Suppenwürze zu tränken – es war seine heißgeliebte »Vorspeise«. Und war die gebakkene Leber, die zu seinen Leibgerichten zählte, gut geraten, bestellte er unverzüglich eine zweite Portion, auch wenn er, mittlerweile längst gesättigt, keinen Bissen davon anrührte. Franzl war maßlos, unbeherrscht, spontan.

      Einmal fuhren wir nach Krems. Es war kurz vor der Zeit, da die berühmte Minoritenkirche im Ortsteil Stein »verweltlicht« und in ein Ausstellungszentrum umgewandelt wurde. Wir wollten das spätromanische Architekturjuwel besichtigen, näherten uns dem eindrucksvollen Bau, die Kirchentür stand weit offen. Wie oftmals auf unseren Ausflugsfahrten, hatte Franzl auch diesmal seinen Dackel mitgebracht. Er liebte den Hund abgöttisch, verwöhnte Waldi nach Strich und Faden, duldete nicht den geringsten Angriff auf das verzogene Tier. Gasthäuser oder Geschäfte, die keine Hunde zuließen, wurden von ihm gemieden, Passanten, die sich an Waldis Gebell stießen, zur Rede gestellt, Ordnungshüter, die Beißkorb und Leine reklamierten, verscheucht.

      Hier aber, am Portal der Minoritenkirche zu Stein, stieß der in der Durchsetzung »seiner« Hunderechte sonst so erfolgreiche Franzl zum ersten Mal an seine Grenzen: Der Mesner wies ihn brüsk ab, bestand (selbstverständlich) darauf, daß Waldi draußenblieb. Mein Vorschlag, die Besichtigung der Kirche einzeln vorzunehmen, wurde von Franzl abgeschmettert, und so machte ich mich nolens volens ohne ihn auf den Weg. »Geh nur!« sagte er schnippisch, und es war ihm anzumerken, daß er in meinem Alleingang ein Zeichen von Charakterschwäche, wenn nicht Treuebruch sah.

      Als ich eine Viertelstunde später zurückkehrte, fand ich den eben noch wutschnaubenden Franzl in Hochstimmung vor. Er saß auf einer der steinernen Stufen vorm Portal, an seiner Seite Waldi, beide glückselig. Und er berichtete, was während meiner Abwesenheit geschehen war: Eine Kirchgängerin, vom Anblick des Idylls gerührt, hatte Franzl für einen Bettler gehalten und Herrl und Hund ein Trinkgeld zugesteckt. Daß er die 5 Schilling widerspruchslos, ja dankbar einsteckte, war in seinen Augen der gerechte Ausgleich für die vorangegangene »Brüskierung« durch den hundefeindlichen Mesner. Ja, so war er, der Franzl.

      Sommer 1966, Franzl und ich waren nach Salzburg gereist. Ich schrieb für »meine« deutschen Zeitungen und Rundfunkstationen Festspielberichte, er malte. Es war nicht das erste Mal, daß wir zu dieser Art von Kooperation die Salzachstadt aufgesucht hatten. Aber diesmal hatte Franzl, der schon wiederholt Szenerie und Betrieb der Festspielstadt in Zeichnungen und Aquarellen eingefangen hatte, eine ganz besondere Mission: Er wollte das nächtliche, nur von der aktuellen Festspielbeleuchtung erhellte Salzburg im Bild festhalten.

      Alles war für das große Werk vorbereitet: die 90 mal


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