Landpartie. Dietmar Grieser

Landpartie - Dietmar Grieser


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eingegliedert worden war. Die Post gab eine Markenserie in Auftrag, die in möglichst markanter Bildgestaltung die Eigenart der neun Bundesländer wiedergeben sollte: in der Mitte das jeweilige Landeswappen, in den vier Ecken das für die betreffende Region typische landwirtschaftliche Produkt.

      Das mit der Erstellung der Entwürfe betraute Komitee einigte sich rasch: Niederösterreich würde mit einer Weintraube, die Steiermark mit einem Apfel charakterisiert werden. Nur mit dem »Frischling« Burgenland tat man sich schwer. Noch wußte man zu dieser Zeit wenig über Land und Leute der betreffenden Region. Man fragte also in der Eisenstädter Filiale der Postdirektion an, welche Obstsorte für das Burgenland typisch und somit briefmarkenwürdig sei. Die Antwort erfolgte prompt: die Ananas. Was im heutigen Österreich vor allem die ältere Generation noch weiß: Die vor allem auf den riesigen Erdbeerfeldern des Burgenlandes angebauten Zuchterdbeeren wurden zu jener Zeit allgemein Ananaserdbeeren genannt oder kurz Ananas. Unglücklicherweise hatte der in der Wiener Postdirektion für die Briefmarkenentwürfe zuständige Beamte von diesem Sprachgebrauch keine Ahnung, verwechselte also die »einheimische« Ananaserdbeere mit der exotischen Tropenfrucht Ananas, wählte aus dem ihm vorliegenden (oder vielleicht gar aus Südamerika herbeigeschafften) Bildmaterial die schönste Ananasfrucht aus, paßte sie in das Markendesign ein, beförderte den Entwurf zum Druck.

      Die neue Briefmarkenserie wurde ausgeliefert, fand allgemein Gefallen, wanderte in den vielen hunderten Postämtern der Republik Österreich zu Tausenden und Abertausenden über den Schaltertisch. Nur im Burgenland löste das Produkt Entsetzen aus – und mußte stante pede gestoppt, eingezogen und eingestampft werden. Wer in der Generalpostdirektion in Wien dafür verantwortlich gewesen war, die österreichische Ananas mit der gleichnamigen Tropenfrucht zu verwechseln, läßt sich heute nicht mehr ermitteln. Aber was bei der peinlichen Angelegenheit ungleich mehr ins Gewicht fiel, war die dadurch erbrachte Bestätigung des alten, aber wohl doch nicht irrigen Vorurteils, in der Kommunikation zwischen den Bundesländern und der Bundeshauptstadt laufe so manches schief.

      Nicht nur seiner urwüchsigen Gastronomie und seines überragenden Angebots an Freizeitattraktionen wegen ist das Burgenland ein allgemein geschätztes Ausflugsziel. Während die Freunde der leichten Muse allsommerlich zu den Operettenfestspielen nach Mörbisch und die Kaufwütigen zum Outlet-Center von Parndorf strömen, sind es in meinem Fall eine Reihe von Lebensfreundschaften, die mich immer wieder in Österreichs jüngstes Bundesland zogen: der im sogenannten Hoanzenland ansässige (und leider frühverstorbene) Filmregisseur Wolfgang Lesowsky, der mit Ephraim Kishon und mir eine Folge der legendären Fernsehreihe »Steckbrief« gedreht hat; der um meine schriftstellerischen Starterfolge hochverdiente Wiener Buchhändler Erich Horvath, der sich für seinen Lebensabend ins kroatische Zagersdorf zurückgezogen hat; der aus Oberwart stammende Politologe Norbert Leser, der mich wiederholt an seinen Zweitwohnsitz im Wallfahrtsort Loretto eingeladen hat; oder die Literaturwissenschaftlerin Ingrid Schramm, die Betreuerin meines von der Österreichischen Nationalbibliothek erworbenen Vorlasses, die an der Seite ihres Mannes, des Bundesheer-Brigadiers Alfred Nagl, in der Neusiedler-Ufergemeinde Weiden so manches rauschende Fest organisiert hat, dessen Besonderheit darin bestand, das bodenständig-ländliche Element mit dem großstädtisch-intellektuellen harmonisch zu durchmischen.

      Ein eigenes Kapitel bildeten die Autorenlesungen, zu denen ich von Fall zu Fall ins Burgenland eingeladen wurde. Da die dortige Kulturszene an und für sich dazu neigte, unter sich zu bleiben, Seilschaften und Netzwerke zu bilden, die es dem Außenstehenden schwer machten, an ihrem Veranstaltungsbetrieb zu partizipieren, wußte ich es umso mehr zu schätzen, daß sich ab und zu auch mir und meinen Büchern ein Tor öffnete – etwa in Jennersdorf, wo das Zeichner-Genie Edi Sauerzopf jede meiner Lesungen dazu nützte, den befreundeten Autor in einer Fülle von Porträtskizzen festzuhalten; in Mattersburg, wo regelmäßig der hochverdiente ORF-Kulturredakteur Günter Unger mit Notizblock und Funkmikrofon zur Stelle war; oder in Pöttsching, wo ich neben meiner dortigen Stammklientel auch den Doyen der österreichischen Bildhauerzunft, den schon hochbetagten Karl Prantl, unter meinen Zuhörern hatte.

      Weniger gut lief es mit manchen »offiziellen« Stellen. Nur ungern erinnere ich mich an jenen verunglückten Annäherungsversuch des Jahres 1995, als ich, unter dem Eindruck der Roma-Morde von Oberwart, dem hochsubventionierten Literaturhaus von Mattersburg meine Dienste anbot. Damals war gerade mein Buch »Wien – Wahlheimat der Genies« erschienen, mit dem ich den Versuch unternommen hatte, der im Lande grassierenden Fremdenfeindlichkeit an Hand historischer Berühmtheiten wie Beethoven und Hebbel, Leo Slezak und Raoul Aslan Beispiele hervorragend geglückter Integration gegenüberzustellen. Gerade im Burgenland, wo es kurz zuvor zu jenen Ausschreitungen gegen die ungeliebten Roma gekommen war, könnte, so glaubte ich, eine Veranstaltung zu diesem Thema von aufklärender, vielleicht sogar aufrüttelnder Wirkung sein. Doch das Literaturhaus Mattersburg wies die ausgestreckte Hand zurück. In totaler Unkenntnis meines Namens und meines über Monate alle österreichischen Bestsellerlisten anführenden Buchtitels sahen die Verantwortlichen keinen Anlaß, ihr »beinahe ein Jahr im voraus geplantes Programm« abzuändern, es sei denn, ich fände mich bereit, ihren Veranstaltungssaal gegen einen Unkostenbeitrag von 500 Schilling zu mieten (!). Sie stellten also den Autor auf eine Stufe mit jenen Prahlhänsen aus dem Parvenü-Milieu, die sich einen sängerischen Auftritt ihrer dilettierenden Tochter zu deren achtzehnten Geburtstag gern eine Stange Geld kosten lassen, oder mit jenen obskuren Wanderhändlern, die mit ihren Heizdecken und Rheumasalben von Ort zu Ort ziehen. Ich will hoffen, daß unter den staatlichen Literaturhäusern Österreichs dasjenige von Mattersburg das einzige war (und ist), dessen Führung sich ein solches Übermaß von Ignoranz und Inkompetenz glaubte leisten zu können.

      Gern erinnere ich mich dagegen an eine Lesung in Deutschkreutz, die unter den schwierigsten Bedingungen zustandekam. Auf Anregung des Lions Clubs Mittelburgenland hatte sich Anton Lehmden, einer der Meister des Phantastischen Realismus und seit Jahren Besitzer des Schlosses von Deutschkreutz, bereiterklärt, eine Führung zu dem von ihm geschaffenen Kreuzweg in der örtlichen Pfarrkirche mit einer Autorenlesung im Schloß zu verbinden. Das Problem war nur, daß es ein eiskalter Wintertag war und der dafür in Betracht kommende Saal des insgesamt in Restaurierung befindlichen Schlosses noch nicht mit Heizkörpern ausgestattet war. Um wenigstens ein Minimum an Raumwärme zu erzielen, wurde eine ganze Batterie elektrischer Heizstrahler in Betrieb gesetzt, schließlich auch noch eines jener Gebläse, wie sie beim Trocknen frisch ausgemalter Räumlichkeiten zum Einsatz kommen – und das über mehrere Tage und Nächte hinweg. Doch es half alles nichts: Mehr als 14 Grad Raumtemperatur war beim besten Willen nicht zu erzielen. Also rückte das Publikum in dreilagiger Winterkleidung und schweren Pelzmänteln an, der wärmende Hochprozentige floß in Strömen, und mein Programm wurde von den üblichen sechzig Minuten auf dreißig verkürzt. Alle Beteiligten, Zuhörer wie Autor, hielten wacker durch, die Stimmung war prächtig, der Abend wurde ein durchschlagender Erfolg. Und auch von Krankmeldungen war an den darauffolgenden Tagen nichts zu hören. Wie heißt der alte Spruch? »Der Geist ist willig, doch das Fleisch ist schwach.« An jenem denkwürdigen Jänner-Abend in Deutschkreutz war es überstark.

       Die Marillen der Frau Colocotroni

      Es ist verjährt, ja verjahrzehntet, man kann also ruhig darüber reden. Korruption, Lobbyismus, Bestechung sind nicht erst heute gängige Themen.

      Bei der Geschichte, die ich erzählen will, liegt die niedrigste Variante dieser so beliebten Praktiken vor, die Unterstufe: das sogenannte »Anfüttern«. Und das zu einer Zeit, da »Futter« allgemein knapp war, die Speisekammer der österreichischen Haushalte noch mäßig gefüllt: 1958 ff.

      Ich war im Oktober 1957 nach Österreich übersiedelt, hatte mich in Wien niedergelassen, lebte die ersten paar Monate auf Staatskosten: Nach dem frühen Tod meines Vaters stand mir Waisengeld zu.

      Als die Zahlungen eingestellt wurden, brachte ich mich zunächst mit den Zeilenhonoraren einiger deutscher Zeitungen durch, für die ich Artikel schrieb – es reichte fürs Allernotwendigste. Ob ich mich nicht doch um eine feste Anstellung bemühen sollte?

      Zwischen Abitur und Studium hatte ich ein Jahr lang in einem saarpfälzischen Provinzblatt erste journalistische Erfahrungen gesammelt: »Redaktionsvolontär«


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