Der Herzensdieb. Barbara Cartland

Der Herzensdieb - Barbara Cartland


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das etwas ausmachen?“

      „Vermutlich nicht“, erwiderte sie betrübt, und da es offenbar sinnlos war, weiter in ihn zu dringen, streifte sie den Ring vom Finger.

      Er entfernte sich, und sie sah, daß er den Beutel mit ihrem Schmuck in der Satteltasche seines Pferdes verstaute. Sie folgte ihm und stand hinter ihm, als er sich umdrehte.

      „Da haben Sie, was Sie wollen“, sagte sie und hielt ihm den Ring hin.

      „Denken Sie oft an Ihre Mutter?“ fragte er unvermittelt.

      „Sie starb, als ich fünfzehn war, und trotzdem vermisse ich sie noch immer.“

      „Sie haben sie sehr geliebt?“

      „Oh ja, sehr.“

      „Wie ich die meine, die bis vor wenigen Monaten bei mir lebte.“

      „Dann waren Sie ein sehr glücklicher Mensch.“

      „Das habe ich auch so empfunden.“

      Lady Roysdon fand es ziemlich ungewöhnlich, mit einem Straßenräuber eine solche Unterhaltung zu führen. Seine kultivierte Stimme, die nicht anders klang als die der Gentlemen, die sie kannte, ließ keinen Zweifel daran, daß er jedes Wort ernst meinte. Neugierig betrachtete sie sein Gesicht mit dem festen und gleichzeitig großzügigen Mund, dessen Winkel ein wenig nach oben gezogen waren, der den Eindruck erweckte, als ob er insgeheim über sich selbst lächelte.

      „Wer sind Sie?“ fragte sie.

      „Ist das nicht eine etwas indiskrete Frage an einen Räuber?“ parierte er. „Leute meinesgleichen pflegen anonym zu bleiben.“

      „Das weiß ich, aber ich überlege, ob das Ganze nicht ein Scherz auf meine Kosten ist, ob Sie mich nicht vielleicht aufgrund einer Wette berauben?“

      Er lächelte.

      „So etwas liegt eher auf Ihrer Linie, Lady Roysdon, ich bin echt.“

      „Sie kennen meinen Namen?“

      „Wer könnte in Brighton oder London wohnen, ohne von Ihnen gehört zu haben. Schließlich sind Sie berühmt.“

      Sein Ton ließ seine Worte kaum wie ein Kompliment klingen.

      „Sie meinen wohl eher berüchtigt“, erwiderte sie leise.

      „So unhöflich würde ich mich niemals ausdrücken.“

      „Aber Sie denken so.“

      „Spielt es für Sie eine Rolle, was ich denke?“

      „Vermutlich nicht, wobei ich mich allerdings frage, welche meiner Abenteuer an Ihr Ohr gedrungen sind.“

      „Eine ganze Anzahl davon. Soll ich dazu bemerken, daß ich nur die Hälfte von dem glaube, was ich gehört habe?“

      „Wie kann ich wissen, was Sie glauben, solange ich nicht weiß, was Sie gehört haben?“

      Sein Lächeln machte ihr klar, daß sie sich mehr wie ein Kind als eine erwachsene Frau anhören mußte.

      „Sie sind sehr schön, Lady Roysdon“, teilte er ihr nach kurzem Schweigen mit, „und daher finde ich, daß es jammerschade um Sie ist.“

      „Was ist jammerschade?“

      „Daß Ihr Name ständig in Verbindung mit den Stutzern und Dandies genannt wird, die in den Wirtshäusern und Clubs betrunken Toasts auf Ihr Wohl ausbringen.“

      „Woher wollen Sie das wissen?“ erkundigte sie sich wütend.

      Er machte eine kleine, wegwerfende Handbewegung, dann wandte er den Blick von ihr ab und richtete ihn dorthin, wo sich die Mondstrahlen durch die Zweige stahlen und silberne Muster auf den moosigen Boden malten.

      „Klatsch und Gerede verbreiten sich wie der Wind, sie erreichen selbst Orte wie diesen.“

      Sie folgte der Richtung seiner Augen. Erst jetzt ging ihr auf, wie friedlich und schön es hier war. Sie hatte plötzlich das Gefühl, als ob er sie Dinge zu sehen lehrte, die sie nicht kannte. Der Frieden, der unter diesen Bäumen herrschte, war etwas, wonach sie sich immer gesehnt, den sie jedoch nie gefunden hatte. Ein langes Schweigen breitete sich aus.

      „Sie scheinen mich zu verstehen“, sagte er sehr leise, als ob er ihre Gedanken gelesen hätte.

      Und da alles so seltsam und ungewöhnlich erschien, daß sie nicht wußte, was sie denken sollte, streckte sie ihm erneut den Ring Ihrer Mutter entgegen.

      „Nehmen Sie und lassen Sie mich gehen“, bat sie.

      „Behalten Sie ihn.“

      „Meinen Sie das im Ernst?“

      „Sie haben mir doch erzählt, daß er von Ihrer Mutter stammt.“

      „Was den Tatsachen entspricht.“

      „Daran habe ich keine Sekunde gezweifelt.“

      „Ich dachte, das hätten sie vielleicht.“

      „Es würde Ihnen schwerfallen, mich hinters Licht zu führen.“

      Zwischen ihren Brauen bildete sich eine steile, kleine Falte, als sie fragte. „Warum haben Sie mir das gesagt?“

      „Die Antwort kennen Sie, ohne daß ich sie in Worte fasse.“

      Sie starrte ihn an, bis er mit veränderter Stimme weitersprach.

      „Ich bitte um Vergebung, aber ich hatte für einen Augenblick vergessen, daß ich nur ein Straßenräuber bin. Wenn ich Ihnen den Ring lasse, müssen Sie mir übrigens etwas von ähnlichem Wert geben.“

      Lady Roysdon warf einen Blick in Richtung Kutsche dann sah sie ihn wieder an.

      „Aber ich habe nichts bei mir...“, begann sie und verstummte, als sie das Lächeln gewahrte, das um seine Mundwinkel spielte.

      Er trat auf sie zu, legte einen Finger unter ihr Kinn und hob ihr Gesicht. Da sie sich nicht rührte, legte er die Arme um sie und traf Anstalten, sie zu küssen. Als sein Mund von ihren Lippen Besitz ergriff, stieg eine seltsame und unbekannte Wärme in ihr auf, die sich in ihrem ganzen Körper ausbreitete. Sie war so süß und wunderbar, daß sie zu träumen glaubte. Dann zog er sie noch näher an sich, die Intensität ihres Gefühls durchfuhr sie wie ein scharfer Schmerz, der sich, ehe sie ihn recht wahrnahm, in eine unendliche Seligkeit wandelte. Dies alles konnte nicht Wirklichkeit sein ...

      Nach einer kleinen Ewigkeit gab er sie frei. Sie standen sich gegenüber und blickten sich in die Augen.

      Als er sich umwandte und zur Kutsche ging, konnte sie ihm nur blindlings folgen. Sie spürte seine Hand an ihrem Ellbogen, während er ihr hineinhalf. Von ihr unbemerkt mußte er dem Kutscher ein Zeichen gegeben haben, denn die Pferde setzten sich sofort in Bewegung. Den Hut in der Hand ließ er den Wagen an sich vorbeipassieren.

      Lady Roysdon lehnte sich in die Polster zurück. Ihr Herz klopfte wie wild, ihr Atem kam schnell und stoßweise. In Sichtweite der Lichter von Brighton griff sie nach ihrem schmucklosen Hals. Ihre Smaragde waren verschwunden. Was geschehen war, war wirklich und kein Phantasiegebilde.

      Aus den Fenstern des Hauses, das sie gemietet hatte, schimmerte Licht. Die Möbel wurden schon ein wenig schäbig, aber es war bequem in dem Haus und bot auch für die Diener, die Lady Roysdon mitgebracht hatte, genügend Raum. Da es in Brighton an Unterkunftsmöglichkeiten mangelte - die Freunde des Prinzen von Wales zahlten enorme Preise, um in seiner Nähe zu sein - konnte sie sich glücklich schätzen, schon den dritten aufeinanderfolgenden Sommer das gleiche Haus zu bewohnen. Dadurch war sie nicht wie viele andere aus dem Carlton Circle gezwungen, Zimmer oder Landhäuser weit außerhalb der Stadt zu mieten, oder höchst unfair diejenigen zu überbieten, die im Voraus in den Hotels gebucht hatten. In dieser Woche war der Badeort noch überfüllter als sonst, weil der Geburtstag des Prinzen nahte, und es deshalb unzählige Festivitäten gab.

      Als Jake ihr die Kutschentür öffnete, sagte sie leise: „Keine Bemerkung zu irgend jemanden


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