Der Herzensdieb. Barbara Cartland

Der Herzensdieb - Barbara Cartland


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Roysdon trat in die Halle, in der die Kerzen der späten Stunde wegen nur noch niedrig brannten. Da sie nichts hatte, um ihren schmucklosen Hals zu verhüllen, lief sie so schnell an dem Nachtwächter vorbei, daß sie schon halb auf der Treppe war, ehe er die Tür hinter ihr geschlossen hatte. Es war ein älterer Mann, den sie aus London mitgebracht hatte, weil sie seine Verläßlichkeit schätzte.

      „Gute Nacht, Danvers“, rief sie über ihre Schulter zurück.

      „Gute Nacht, Mylady, hoffentlich haben Sie einen angenehmen Abend verbracht. Es warten einige Briefe auf Sie.“

      „Darum werde ich mich morgen früh kümmern“, erwiderte sie hastig und entschwand in ihrem Schlafzimmer. Ihre Zofe - eine ältere Frau, wußte, daß ihre Herrin zu dieser Stunde keine Unterhaltung wünschte und entkleidete sie schweigend. Als sie das Kleid schon auf dem Arm hatte, um es mitzunehmen, sagte sie nach einem Blick auf die Schmuckschatulle, die auf dem Frisiertisch stand.

      „Ihre Smaragde, Mylady, wo sind sie?“

      „Ich habe sie sicherheitshalber abgenommen.“

      „Sicherheitshalber?“

      „Du mußt doch davon gelesen haben, daß hier in der Gegend Banditen ihr Unwesen treiben. In der Stadt gibt es überall Anschläge mit Warnungen an die Gäste, auf der Hut zu sein.“

      „Deshalb führt ja auch der neue Reitknecht eine Donnerbüchse bei sich.“

      Wenn Jake tatsächlich eine solche Waffe bei sich gehabt hatte, hat er jedenfalls keinen Gebrauch davon gemacht, dachte Lady Roysdon.

      Laut bemerkte sie: „Schon gut, Hannah, mach dir keine Sorgen. Wir reden morgen früh darüber.“

      Als die Dienerin gegangen war und die Tür hinter sich geschlossen hatte, traf Lady Roysdon noch keine Anstalten, ins Bett zu gehen. Mit einer Kerze in der Hand trat sie vor den Spiegel, um ihr Bild zu betrachten. Sie gewann den Eindruck, als ob ihre Augen seltsam leuchteten. Ihre Lippen wirkten roter und weicher, als sie sie in Erinnerung hatte. Das konnte nicht von einem Lippenstift kommen. Sie hatte keine Salbe mehr aufgetragen, seit sie im Anschluß an eine Dinnergesellschaft zum Ball gefahren war.

      Gerötete Lippen und strahlende Augen waren - das wußte sie ganz genau - die Folge eines Kusses. Sie war von einem Mann geküßt worden, dessen Gesicht sie nur teilweise gesehen hatte, von dem jedoch als Tatsache feststand, daß er ein Räuber und Wegelagerer war.

      „Ich muß verrückt sein“, flüsterte sie und konnte die Erregung nicht vergessen, in die die Berührung seines Mundes sie versetzt hatte, die sich in ihrem ganzen Körper ausbreitende Wärme, den scharfen Schmerz wie von einem Dolch und die darauffolgende Seligkeit, die sie sich in ihren kühnsten Träumen nicht hätte vorstellen können.

      Sie stand vor dem Spiegel und betrachtete ihr Bild, bis sie es nicht mehr ertragen konnte und die Kerze ausblies. Nicht ohne Mühe tastete sie sich durch das dunkle Zimmer zu ihrem Bett, schlüpfte hinein und barg ihr Gesicht in den Kissen.

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