Seewölfe - Piraten der Weltmeere 28. John Curtis
Impressum
© 1976/2013 Pabel-Moewig Verlag GmbH,
Pabel ebook, Rastatt.
ISBN: 978-3-95439-270-4
Internet: www.vpm.de und E-Mail: [email protected]
1.
Thomas Moone knurrte eine Verwünschung und warf gleichzeitig einen Blick auf die schlaff an den Rahen hängenden Segel. Diese verdammte Flaute hielt schon viel zu lange an!
Träge dümpelte die „Golden Hind“ auf der tiefblauen See des Stillen Ozeans. Sie befand sich nur wenige Seemeilen südöstlich von Puntarenas, einer Hafenstadt am Golf von Nicoya.
Nahezu senkrecht stand die Sonne über dem Schiff, denn noch immer segelte die „Golden Hind“ in äquatorialen Breiten. Über den Decks, zwischen den Masten flimmerte die Hitze, trieb den Männern den Schweiß aus den Poren. Und Wasser – Trinkwasser – war knapp.
Nur noch wenige Meilen bis Puntarenas – aber wie, zum Teufel, sollten sie bei dieser Flaute dorthin gelangen? Thomas Moone bemerkte plötzlich einen Mann, der mit mißmutigem Gesicht zum Großmast hinüberschlurfte, dort stehenblieb und sich dann mißtrauisch umblickte, so, als wolle er sich vergewissern, daß ihm niemand zusah. Dann trat er dicht an den Mast, hob die Rechte, und begann mit den Fingernägeln am Großmast zu kratzen.
Thomas Moone konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Er kannte diesen alten Aberglauben der Seeleute. Wenn man am Großmast kratzte, dann rief man damit den Wind herbei.
Als der Mann zufällig nach achtern blickte, wandte sich Thomas Moone blitzschnell ab. Auf keinen Fall durfte er zugesehen haben, auf keinen Fall durfte er den Mann am Mast jetzt ansehen oder ansprechen, sonst half das ganze Kratzen nichts. Und als er das dachte, grinste Thomas Moone nicht mehr.
Ein lauter Ruf aus dem Großmars scheuchte ihn aus seinen Gedanken auf. „Wahrschau – Masten achteraus. Zwei Galeonen – laufen direkt auf uns zu ...“ Der laute Ruf des Toppgasten durchdrang die hitzeflimmernde Stille der „Golden Hind“ und scheuchte die herumliegenden Männer blitzartig hoch.
Auch Thomas Moone drehte sich herum, starrte über die Achterreling. Dann sah er es – langsam, aber stetig schoben sich Mastspitzen über den Horizont. Wieder fluchte Thomas Moone – jetzt Bootsmann auf der „Golden Hind“ – lautlos in sich hinein. Erstens bedeutete das, die sich nähernden Galeonen hatten Wind. Zweitens konnte es sich nur um spanische Schiffe handeln, möglicherweise größer und stärker als die „Golden Hind“.
Barry Burraby, der alte Stückmeister Francis Drakes, warf vom Hauptdeck einen Blick zum Achterdeck hinauf. Dann verlor er keine Zeit, sondern enterte kurzerhand in den Großmars auf.
Thomas Moone, der die gleiche Absicht gehabt hatte, wartete, bis Burnaby den Mastkorb erreicht hatte.
Schon als der Alte sich einen Augenblick später aus dem Korb beugte, wußte Moone, daß er eine Hiobsbotschaft zu verkünden hatte. Burnaby besaß trotz seines Alters Augen, die fast mit denen Dan O’Flynns konkurrieren konnten. „Zwei Galeonen, Spanier!“ rief er, und seine Baßstimme schallte über das ganze Schiff. „Ein paar hübsche Brocken. Wenn die uns in die Zange nehmen, dann können die uns ganz schön Feuer unter den Ärschen anheizen! Und diese verdammten Hunde haben Wind, ihre Segel stehen voll. Der Teufel soll diese ganzen Dons holen, ich werde mich um meine Geschütze kümmern. Wenn die denken, daß sie die gute alte ‚Golden Hind‘ so mir nichts dir nichts zu den Fischen schicken können, dann haben die Kerle sich verrechnet!“
Damit schwang sich der alte Burnaby aus dem Großmars, sauste die Wanten zum Hauptdeck hinunter und tauchte gleich darauf bei seinen Leuten an den Geschützen auf.
Drake war das Geschrei, das aufgeregte Durcheinanderschnattern der Männer an Deck, in seiner Kammer nicht entgangen. Zufällig trat er an eins der achterlichen Fenster über der Galerie – und auch er erstarrte mitten in der Bewegung. Deutlich sah er, die Mastspitzen, die sich bedrohlich schnell über den Horizont schoben, die Marssegel, die weithin in der Sonne leuchteten.
Sofort eilte er in seine Kammer zurück, griff nach seinem Degen und schob ihn mit einem Ruck in das Gehänge. Dann eilte er an Deck.
Als er die Stufen zum Achterkastell emporjagte, lief er fast Thomas Moone in die Arme, der ihm gerade die Hiobsbotschaft überbringen wollte.
Thomas Moone wich zur Seite, als Drake an ihm vorbeistürmte. Schon an der Eile Drakes erkannte Moone, für wie gefährlich der Kapitän ihre Lage einschätzte.
Drake eilte mit großen Schritten über das Achterkastell bis zur Reling. Dann starrte er die beiden spanischen Galeonen an, deren Rümpfe bereits aus dem Wasser zu wachsen begannen.
Und immer noch standen ihre Segel voll, während sich auf der „Golden Hind“ nichts, auch nicht der leiseste Windhauch, regte.
Nach ein paar Minuten drehte Drake sich langsam um. Über seiner Nasenwurzel standen zwei scharfe, tiefe Falten. Sein Spitzbart zuckte.
„Mr. Moone, lassen Sie gefechtsklar machen!“ befahl er mit leiser Stimme. „Wir haben eine Chance. Entweder laufen die Spanier in wenigen Minuten in dieselbe Flaute, die uns hier festnagelt, oder sie rechnen gar nicht damit, in diesen Gewässern ein anderes Schiff als ein spanisches anzutreffen. Dann ist die Überraschung auf unserer Seite. Stellen Sie jeden entbehrlichen Mann an die Brassen, Mr. Moone. Wir müssen auch den leisesten Windhauch sofort ausnutzen, wir dürfen keine Minute verschenken.“
„Aye, Sir. Werde das sofort veranlassen!“ Thomas Moone verschwand vom Achterkastell. Gleich darauf schallte seine kräftige Stimme über die Decks, scheuchte die Männer auf Stationen.
Drake hatte sich wieder umgewandt und blickte den von achtern heranlaufenden Galeonen entgegen.
Es gab noch eine dritte Möglichkeit – und das war die, auf die er am stärksten hoffte. Die Spanier konnten wie die „Golden Hind“ bis vor kurzem ebenfalls in einer Flaute gelegen haben, und es war plötzlich Wind aufgekommen. Wenn das so war, dann mußte die Brise sie ebenfalls erreichen, und zwar lange, bevor die Galeonen heran waren.
Dennoch – die Lage war kritisch. Die Spanier hatten in diesem Teil der Neuen Welt fast ausschließlich große und stark bewaffnete Schiffe stationiert.
Thomas Moone schickte ein Stoßgebet zum Himmel – im Gegensatz zu Fletcher, dem Bordgeistlichen der „Golden Hind“, der den beiden heranrauschenden Galeonen aus angstgeweiteten Augen entgegenstarrte und die Hosen wie üblich gestrichen voll hatte.
Wieder und wieder glitt Moones Blick zu den Segeln empor. Zum Henker, das gab es doch gar nicht, daß die Spanier unter Vollzeug heranpreschten und daß gleichzeitig auf der „Golden Hind“ nicht das geringste Lüftchen wehte! Und dabei waren die beiden Schiffe höchstens noch ein paar Meilen von der „Golden Hind“ entfernt! Wenn die Kerle geschickt waren, dann nahmen sie sie in die Zange und feuerten mit ihren dicken Geschützen gleichzeitig – über die entsetzliche Wirkung von zwei solchen Breitseiten war sich Thomas Moone wie jeder andere Mann an Bord völlig im klaren.
Der alte Burnaby wischte sich den Schweiß von der Stirn.
„Verdammter Mist!“ stieß er hervor. „Das gibt es doch gar nicht, die müssen mit dem Teufel im Bunde sein!“ Er versuchte die Stückpforten der Gegner zu zählen. Das Ergebnis war geradezu niederschmetternd. Zwölf bei der einen Galeone auf jeder Seite, zehn bei der anderen. Außerdem bemerkte er bei der an Backbord segelnden Galeone einen schweren Mörser auf der Back – jedenfalls konnte es einer sein, die Entfernung war auch für seine scharfen Augen noch zu groß.
Wieder schickte er einen Blick zu den Segeln empor – und dann traute er seinen Augen nicht. Die helleuchtenden Flächen der Marssegel gerieten plötzlich in Bewegung. Gleich darauf bauschten sich auch die Großsegel.
„Wind – wir haben Wind!“ brüllte einer der Männer, die an den Brassen standen.
Wie der Blitz war Thomas Moone zur Stelle. Seine Kommandos hallten über Deck. Die „Golden Hind“ legte sich leicht nach Backbord über, dann nahm sie Fahrt auf.
Gehetzt