Seewölfe - Piraten der Weltmeere 28. John Curtis
nun zeigte sich der Vorteil, den die kleinere und damit viel beweglichere „Golden Hind“ hatte: Sie nahm schnell Fahrt auf, schneller, als die Spanier heranzusegeln vermochten.
Moone und der alte Burnaby sahen sich an. Die Männer an den Brassen und den Geschützen brüllten vor Begeisterung. Selbst der griesgrämige Mac Pellew, der Schiffskoch der „Golden Hind“, verzog sein Gesicht in diesem Moment zu einem schadenfrohen Grinsen.
„Mr. Moone!“ Die Stimme Drakes übertönte das Geschrei der Männer.
„Aye, Sir?“ Moone eilte zum Achterkastell hinauf.
„Wir segeln auf den Golf von Nicoya zu und nehmen Kurs auf den Hafen von Puntarenas. Wir werden den Harmlosen spielen und die Spanier glauben lassen, daß wir ein spanisches Schiff sind.“
„Aye, Sir, aber ...“
Drake sah seinen Bootsmann an, und seine Brauen zogen sich drohend zusammen.
„Aber was, Mr. Moone?“ fragte er.
„Die Spanier werden sehr schnell herausfinden, daß wir nicht zu ihnen gehören, Sir, dann sitzen wir in der Falle. Der Wind steht achterlich – sie können uns mühelos den Weg verlegen ...“
Drakes Züge verhärteten sich.
„Mr. Moone“, sagte er leise, und seine Stimme hatte dabei einen scharfen Klang, „sehen Sie sich die beiden Galeonen an. Es handelt sich um große Schiffe, dreihundert Tonnen und mehr. Sie werden sich auf Reede legen, ankern. Sie werden Bug und Heckanker werfen und völlig manövrierunfähig sein, wenn wir drehen und wieder auf sie zusegeln. Man wird an Bord dieser beiden Schiffe nicht einmal vermuten, daß wir kein spanisches Schiff sein könnten. Und deshalb wird man auf den beiden Galeonen auch nicht feuerbereit sein, wenn wir feuern.“
Drake wandte sich ab, und Thomas Moone starrte ihn an.
Das war wieder einmal typisch Drake. Das war jener gefürchtete Mann, den die Spanier so respektvoll El Draque – den Drachen – nannten, den sie haßten und fürchteten wie die Pest.
Und doch hatte sich El Draque diesmal verrechnet.
Capitan Calixto Ramos Navarro blickte zu der kleinen Galeone, die soeben Kurs auf die Reede von Puntarenas genommen hatte, hinüber. Im Gegensatz zu den meisten seiner Landsleute war er ein Hüne von Gestalt, ein schwerer Mann mit eisenharten Muskeln. Er hatte schon so manche Seeschlacht hinter sich, außerdem einen hellwachen Verstand und sehr scharfe Augen. Die Männer fürchteten Navarro, denn ihm entging nichts, was an Bord seines Schiffes geschah. Unnachgiebig hielt er auf Disziplin und bestrafte selbst kleine Verstöße schon sehr hart.
„Leutnant Garcia!“ Capitan Navarro rief seinen Ersten Offizier zu sich, ohne die „Golden Hind“ aus den Augen zu lassen. „Geben Sie mir das Spektiv, Leutnant, ich werde mir diese Galeone dort einmal genauer ansehen. Mit den Kerlen stimmt etwas nicht, ich kann keine Flagge entdecken, die Aufschluß über die Nationalität des Schiffes gibt.“
Der Leutnant reichte dem Capitan das Spektiv, ein teures und sehr sorgfältig gefertigtes Instrument niederländischer Bauart. Der Capitan hob es an die Augen und blickte hindurch, und zwar in dem Moment, in dem die „Golden Hind“ anluvte und für einen Moment auch die Steuerbordseite zeigte.
Capitan Navarro beobachtete das fremde Schiff angespannt. Mit den geschulten Augen des Seemanns erkannte er sofort, daß es sich seit vielen Monaten auf See befinden und es von weit her herangesegelt sein mußte. Wind und Wetter hatten alle Farbe längst von den Flanken des Rumpfes gewaschen und die Verzierungen am Heck zum Teil zerschlagen. Auch die Takelage wies unübersehbare Sturmschäden auf, die mit Bordmitteln behoben worden waren. Gerade, als die „Golden Hind“ abdrehte, erwischte Navarro noch einen Blick auf die einst goldene und inzwischen in Wind und Wetter völlig verblichene Hirschkuh am Steven.
Ruckartig setzte er das Spektiv ab. Seine Züge hatten sich verfinstert, und dem Leutnant, der neben ihm stand, war das nicht entgangen. Aber Garcia kam nicht dazu, etwas zu fragen, denn der Capitan hielt ihm das Spektiv hin.
„Sehen Sie sich das Schiff an, Leutnant“, sagte der Capitan. „Und dann will ich Ihre Meinung darüber hören!“
Garcia starrte den Capitan fassungslos an. Es war noch nie vorgekommen, daß der Capitan ihn um seine Meinung gefragt hatte. Aber ihm blieb keine Zeit, darüber weiter nachzudenken, denn der drohende Blick, den ihm Navarro zuwarf, ließ ihn schleunigst das Spektiv ans Auge setzen.
Die „Golden Hind“ kehrte der spanischen Galeone inzwischen wieder das Heck zu, aber gerade dieser Umstand war es, der dem Leutnant eine Entdekkung bereitete, die ihm glatt für Sekunden den Atem verschlug.
Im Blickfeld des Spektivs befand sich Drake, der von der Heckreling des Achterkastells aus die beiden spanischen Galeonen beobachtete. Und Garcia erkannte Drake sofort.
Noch einmal vergewisserte er sich, aber es war kein Zweifel mehr möglich. Seine Züge verzerrten sich, als er das Spektiv schließlich absetzte, alles Blut war aus seinem Gesicht gewichen.
„El Draque“, stieß er mit heiserer Stimme hervor. Dann deutete er mit vor Erregung zitternder Hand zur „Golden Hind“ hinüber. „Señor Capitan, das ist El Draque“ stieß er abermals hervor.
Capitan Navarro fuhr herum.
„Was sagen Sie da, Leutnant?“ fauchte er den immer noch fassungslosen Ersten Offizier der „Sevilla“ an. „El Draque? Leutnant – Sie reden irre!“
Gleichzeitig riß er das Spektiv ans Auge und fixierte den untersetzten Mann, der auf der fremden Galeone stand und ihn ebenfalls zu beobachten schien. Er erkannte sein braunes Haar, seinen Spitzbart, seinen teuren Degen, der an der rechten Seite seiner Pumphose in einem kostbaren Gehänge steckte. Er sah die scharfen Augen, die ihn zu fixieren schienen, und er meinte das spöttische Lächeln zu sehen, das die Lippen dieses verhaßten und gefürchteten Gegners umspielte.
Er nahm das Spektiv vom Auge. Drohend richtete sich der Blick des Capitans auf seinen Untergebenen.
„Leutnant – Sie behaupten, dieser Mann dort drüben wäre El Draque? Jener Teufel, den die Engländer Francis Drake nennen und der Spanien beim Blackwater so übel mitgespielt hat? Und nicht nur dort! Leutnant, ich verlange augenblicklich eine stichhaltige Erklärung von Ihnen, was Sie zu einer solch kühnen Behauptung veranlaßt hat!“
Unwillkürlich nahm Leutnant Garcia Haltung an.
„Señor Capitan – ich war beim Blackwater dabei. Ich war Decksoffizier auf der Galeone ‚Cortez‘, die von den Engländern schließlich in die Luft gesprengt wurde. Aber bevor das geschah, hatten wir jenen El Draque bei uns an Bord. Er war unser Gefangener, bis so ein schwarzhaariger Teufel mit seinen Männern über uns herfiel und den ‚Drachen‘ befreite. Den weiteren Verlauf kennen Sie sicher selber, Señor Capitan. Blackwater ist für alle Spanier immer noch eine Schmach, die getilgt werden muß. Ich schäme mich heute noch, damals am Blackwater dabei gewesen zu sein!“
Leutnant Garcia knirschte vor Wut mit den Zähnen, als er daran dachte, wie der Seewolf und Drake sie damals auf jener Landzunge, auf die sie sich unter dem Trümmerregen ihres in die Luft gesprengten Schiffes mit Mühe gerettet hatten, wiederum zu Paaren getrieben hatten. Und wie Drake und dieser Killigrew schließlich trotz der enormen Übermacht der Spanier und Iren dennoch entwischt waren.
Capitan Navarro spürte, wie ihm das Blut zu Kopf stieg. Ja, er kannte die damalige Niederlage am Blackwater und alle jene schmachvollen Begleitumstände, die zu ihr geführt hatten, nur zu gut. Sein Bruder war damals der Kommandant jener Galeone „Cortez“ gewesen, man hatte ihn später tot am Ufer des Blackwater gefunden, unweit der Barriere, die die Iren und Spanier unter seiner Leitung errichtet hatten, um die Engländer auf diese Weise in eine tödliche Falle zu locken.
Capitan Navarro zögerte nicht länger.
„Leutnant, geben Sie den Befehl ‚Klar Schiff zum Gefecht‘!“ Lassen Sie auch der ‚Don Fernando‘ signalisieren, teilen Sie dem Capitan mit, mit wem wir es zu tun haben. Wir nehmen diesen verfluchten El Draque