Die wichtigsten Novellen, Romane & Erzählungen von Wilhelm Raabe. Wilhelm Raabe

Die wichtigsten Novellen, Romane & Erzählungen von Wilhelm Raabe - Wilhelm  Raabe


Скачать книгу
es vielleicht Bitten vermocht.

      Jedenfalls sah man den unbewegten Mienen des Fremden an, daß er sich wohl öfters in noch wilderem Getöse bewegt hatte.

      Auch die Aufmerksamkeit Eckenbrechers zog der schwarzgekleidete Ankömmling in hohem Grade auf sich; aber der Reiter des Grafen von Pyrmont durfte nicht verweilen. Quer über den heiligen Anger, wo Zelt an Zelt, Laubhütte an Laubhütte aufgeschlagen und gebaut war, wo Feuer bei Feuer brannte, um die Krankensuppen und die Nahrung des Volkes zu kochen, zog Klaus mit seiner Sänfte dem Schloß zu und über die Zugbrücke durch das dunkle, hallende Tor ein in den Schloßhof. –

      Das Schloß Pyrmont hatte damals eine ganz andere Gestalt als heute. Hohe Mauern und Wälle umgaben es zu Schutz und Trutz. Türme und Türmchen, Erker und Giebel von allen Formen ragten und klebten überall daran.

      Das alte Gebäude ist längst dahin – es ist zu Grabe gegangen wie das Haus der Spiegelberger selbst!

      Andere Mauern sind aufgetürmt auf der Stelle, wo es sich einst stolz genug erhob; ein anderes Geschlecht leidet und freut sich in diesen neuen Mauern. –

      In dem düstern Burghofe – bei solcher Hitze das kühlste Fleckchen der ganzen Grafschaft – sprangen sogleich einige Diener schnell heran und hoben den Rektor Hermann Huddäus so vorsichtig als möglich aus der Sänfte ihres Fräuleins und setzten ihn auf die Füße oder vielmehr auf den Fuß, denn sein linkes Pedal zählte der Rektor selbst seit langer Zeit nicht mehr mit als Fuß.

      Ein Bogenfenster öffnete sich in der Höhe, und unser alter Bekannte, Herr Philipp von Spiegelberg, legte sich weit hinaus und rief fröhlich herunter:

      »Guten Abend, Herr Rektore! Sacht, sacht, Klaus Eckenbrecher, faß mir den Herrn behutsam an! Hans, Toffel, ihr Lümmel, heda, vorsichtig! Unterstützet den Herrn Rektor, daß er die Trepp hinauf kann.«

      Klaus, Toffel und Hans gebärdeten sich um den Gelehrten wie drei Ammen um ein krankes Kind, doch trotz des besten Willens nicht mit demselben Geschick. Die enge Wendeltreppe, welche zu dem Gemache des Grafen hinaufführte, wurde ein wahrer Marterweg für den Rektor von Minden. Der Arme gelangte halb ohnmächtig vor der Tür droben an; aber Herr Philipp empfing ihn so freundlich mit Gruß und Handschlag, entschuldigte sich so sehr wegen der Not und der Umstände, welche er dem gelehrten Manne mache, daß dieser bald seine Schmerzen darüber vergaß.

      Es war recht kühl und heimlich in dem hohen Gemache. Durch die bunten Scheiben flimmerte das Sonnenlicht und spielte zauberisch auf dem braunen Holzgetäfel der Wände, um die Hirschgeweihe und Waffenstücke: aber noch viel zauberischer um ein blondes Lockenköpfchen, welches sich schelmisch in dem hohen Lehnstuhl barg, der in der Fensternische dem Sessel gegenüber stand, von welchem sich Herr Philipp soeben erhoben hatte.

      Dieses blonde, von der Abendsonne und der roten, blauen, grünen und gelben Glut der Scheiben umspielte Lockenköpfchen eignete dem Fräulein Walburg von Spiegelberg, des Grafen jüngstem Schwesterlein. Es war im Jahre 1556 kaum sechzehn Jahre alt und wurde als das Nestküchlein des Hauses Spiegelberg – und der Liebling der ganzen Grafschaft und weit nach allen vier Weltgegenden ins Land hinein – gehalten.

      Ihr machte der Lärm der letzten Zeiten, der Tumult drinnen und draußen, der Andrang der Gäste, über welchem ihr Bruder sich die Haare hätte raufen mögen – bei welchem der Schwester Ursel, dem Hausmütterchen von Pyrmont, oft genug die Sinne vergehen wollten – das allergrößte Vergnügen. Ihr gefiel das Getümmel um den heiligen Born gar sehr. Sie als der Eulenspiegel und die neckische Fee des Schlosses auf dem heiligen Anger, war bei diesem Skandal recht in ihrem Elemente und kam bei Tag und Nacht nicht aus dem Lachen heraus.

      Eine verwegene Reiterin und Jägerin, eine gute Sängerin und Harfenschlägerin – wenn sie wollte – war Fräulein Walburg. Mutwillig und sanft, trotzköpfig und milde, spielte sie nach Gelegenheit in allen Farben, gleich einem Tautropfen in der Morgensonne. Ein gutes Dritteil aller seltsamen Ereignisse, welche das Schloßvolk den Kobolden und Hausgeisterchen zuschrieb, fiel von Rechts wegen auf des kleinen Fräuleins Rechnung. Auf ihr lastete das Leben noch nicht so schwer wie auf den beiden andern Waisen von Spiegelberg; sie führte ja nicht den Herrschaftsstab über das Land Pyrmont wie Bruder Philipp; sie trug ja nicht das Schlüsselbund der Grafschaft am Gürtel wie Hausmütterlein Ursula, die gute stille Schwester, welche durch den frühen Tod der Eltern schnell zu weiblicher Selbständigkeit gereift war und in Not und Sorgen das häusliche Regiment auf Pyrmont führen mußte.

      Wahrlich hatte Ursula die meiste Not und Sorge von dem tollen Wesen, das über ihr stilles, grünes Waldtal so urplötzlich, so verwirrend hereingebrochen war. Früh vor Tage, ehe die Hähne krähten, mußte sie aus dem Bett hervor, und als die allerletzte durfte sie in der Nacht das Lager suchen. Überall mußte sie ihre Stimme erklingen lassen, bittend, klagend, scheltend, befehlend, ihre braunen Locken schüttelnd.

      Ein jeder wandte sich an sie, ein jeder fragte sie um Rat, ein jeder verlangte von ihr Trost und Hülfe!

      In diesem Augenblick befand sie sich im Schloßgarten mit Frau Hedwig von Brandenburg, der Gemahlin des Kurfürsten Joachim, einer polnischen Prinzessin von grämlichem Gemüte, sauertöpfigem Aussehen und knarrend-kreischender Stimme. Die hohe Frau litt am Magenkrampf, wollte ihres Übels durch den Born zu Pyrmont ledig werden und machte der guten Ursel von Spiegelberg mit Zanken, Hadern, Grollen, Greinen, Keifen und Nagen das Leben schwer genug. Leider können wir dem armen Kinde nicht helfen, wir müssen sie ihrem bösen Geschick und der Prinzessin überlassen und in das Gemach des Grafen zurückkehren.

      Zwischen Herrn Philipp und dem Rektor Huddäus waren derweilen die Fragen nach der bösen Gicht und dem übrigen Befinden, die Komplimente und höflichen Worte abgetan. Klaus Eckenbrecher hatte dem Gelehrten einen Sessel gebracht, auf welchem dieser sich erst nach vielen Bitten niederließ, und sehr hübsch war es anzusehen, wie die kleine Walburg dann heranschlich und sich auf die Lehne dieses Sessels stützte zu nicht geringer Beklemmung und Beängstigung des Rektors.

      Hübsch war es ferner anzuschauen, wie die Schelmin sich bemühte, aus ihrem rosigen Gesichtchen eine faltenreiche, mürrische Schulmeisterphysiognomie zu machen. Hübsch war es anzusehen, wie ihr solches Vorhaben auf keine Weise gelingen wollte und wie sie es aufgab und sich für ihre vergebliche Mühe entschädigte durch eine Nase, die sie mit zierlichem Finger hinter dem Stuhle des gelehrten Mannes dem gelehrten Manne drehte.

      Eigentlich war das sehr unrecht von ihr, denn der Rektor Hermann Huddäus war in der Wahrheit ein sehr frommer und kluger Mann; aber – Kinder sehen solches nicht eher, bis sie selbst in die bedächtigeren Jahre hineinwachsen, und das ist wohl recht gut also, sintemalen das Leben in dieser Welt sonst doch gar zu langweilig werden würde.

      Herr Philipp von Spiegelberg hatte alle Mühe, ernsthaft zu bleiben, und biß sich dabei fast die Zunge ab. Er warf auch der niedlichen Gauklerin einen nach Möglichkeit grimmigen Blick zu, welcher Blick jedoch auf halbem Wege seine ganze Schreckhaftigkeit verlor und in das Gegenteil sich veränderte.

      Aus der Gefahr des Erstickens an unterdrücktem Lachen vermochte sich der Graf nur durch die schnelle Frage zu erretten:

      »Nun, Herr Rektore, Ihr habet also die Täfelein, so ich von Euch erbeten hatte, fertig gemacht?«

      Huddäus verbeugte sich und griff nach seiner Brusttasche, wo die Papiere, welche wir schon kennen, knisterten.

      »Die Gesetze des heiligen Borns sind geschrieben, wie Ihr, Herr Graf, es befohlen habet.«

      »Das ist mir eine gar weidliche Freud, und ich danke Euch recht sehr dafür. Aber nun setzet auch Euerer Güte das Kränzel auf und leset sie meinem neugierigen Schwesterlein und mir her. Nachher wollen wir sie anschlagen an der Linde neben dem Bronnen, und alles Volk, so dieselbigen übertritt, soll zu seinem Schaden und Eueren großen Ehren Euerer Gelahrsamkeit gedenken.«

      Der Rektor verbeugte sich abermals, räusperte sich und schaute erschrocken seitwärts auf seine linke Schulter, auf welche plötzlich ein leises Lockenringlein sich herabgesenkt hatte. Die Walburg als neugierige Evastochter blickte dem Rektor über die Schulter in das Konzept, und das war wieder sehr unartig von ihr, da sie mit Vorbedacht den Mann dadurch vollständig aus


Скачать книгу