Die wichtigsten Novellen, Romane & Erzählungen von Wilhelm Raabe. Wilhelm Raabe

Die wichtigsten Novellen, Romane & Erzählungen von Wilhelm Raabe - Wilhelm  Raabe


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wird vergehen. Gebt mir mein Schwert und lasset mich meines Weges ziehen; ich gebe es auf, mit dem Verhängnis zu kämpfen. Sehet sie nicht an in ihrer Schönheit, Herr Graf von Pyrmont! Weichet von ihr!«

      »Gebet mir Raum und lasset mich denn, ihr alle!« rief Fausta, die Unbekannte. Sie wandte sich zum Gehen; aber Philipp von Spiegelberg vertrat ihr den Weg.

      »Nicht also! So darfst du nicht von dannen. Ich bin dieses Bodens Herr und befehle dir zu bleiben. Ich will das Geheimnis, so über dir lieget, kennen. Sprecht, Meister Spada, wer ist die Maid?«

      »Fragt sie selbst, gnädiger Herr! Erzähle, Fausta La Tedesca, wer du bist – sag, woher du kommst!«

      Die Angeredete schwieg und ließ nur ihr großes, dunkles Auge im Kreise umherschweifen.

      »Rede, rede, Fausta!« rief Simone.

      »Redet!« sprach der Graf, dessen Pulse und Herz klopften, vor dessen Augen alles in roter Glut schwamm.

      Fest schaute die Unbekannte dem Spiegelberger ins Gesicht; sie wußte, was in ihm vorging; plötzlich sank sie auf die Kniee und hob die Hände gegen den Grafen flehend auf:

      »Rettet, rettet mich! Duldet nicht, daß er mich töte; nehmet mich in Euren Schutz! – Ich hasse ihn, weil er mich liebt!«

      »Hütet Euch, Herr Graf«, rief Simone; »rührt sie nicht an, sie ist verflucht, sage ich Euch, und verflucht ist mit ihr der, welcher sie berührt!«

      »Glaubet ihm nicht, um der heiligen Jungfrau willen; rettet mich vor ihm. In Dunkelheit und Vergessenheit hat er mich begraben – lebendig begraben wollen; er –«

      »Ja, Unselige!« rief Simone der Arzt; »da das Kloster, der dunkle Kerker dich nicht halten konnten, so war’s am besten, man wühlte eine Grube und würfe dich hinein und häufte Stein’ und Erde auf dich und verbrächte sein Leben damit, einen Berg auf dich zu wälzen, auf daß du dich erst dann wieder ins Licht hinauf gewühlt hättest, wann die Trompeten zum Jüngsten Gericht rufen und der Herr niedersitzt zum letzten Spruch!«

      Von neuem und heftiger wurde die Menge ob solcher schrecklichen Worte von Entsetzen bewegt, und der leere Raum um die unbekannte Fremde, welcher solche Worte galten, erweiterte sich mehr und mehr. Nur der Graf und der Arzt blieben auf ihren Plätzen.

      »Was saget Ihr dagegen?« fragte der erstere. Die Fremde schüttelte stumm das Haupt und neigte es fast zur Erde nieder.

      »Sprich, Fausta, weshalb bist du nicht in der Finsternis geblieben?« fragte Simone Spada. »Weshalb bist du wieder unter die Lebendigen zurückgekommen? Wer hat dich hervorgezogen? Wer hat dich befreiet?«

      Die Fremde erhob das schöne, bleiche Gesicht, die tränenvollen Augen wieder; den Fragenden schien sie nicht zu beachten, gegen den Grafen gewandt, sprach sie mit tonloser Stimme:

      »Sehet, gnädiger Herr, auf allen Pfaden meines Lebens ist er mir zur bösen Stunde entgegengetreten, er und noch – ein anderer. Sie fürchteten sich vor mir, weil sie mir Böses zugefügt hatten, und führten mich gefangen fort in dieses kalte, fremde Land. Da schlossen sie mich in ein Kloster ein, und meinen Wächterinnen erzählten sie Lügen, daß auch diese mich fürchteten und mich einkerkerten in ein dunkles Gemach, wo ich keine menschliche Seele erblickte; denn Speise und Trank reichten sie mir durch eine enge Öffnung der Tür.«

      Hier schoß ein Strahl wilden Triumphes aus den Augen Faustas.

      »Wer hat mich je gehalten?« rief sie. »Zersprengt habe ich Ketten und Bande!«

      Der Strahl war wieder erloschen, und in tiefer Zerknirschung fuhr die Maid fort:

      »Tage, Wochen und Monden vergingen mir in Jammer und Elend. Wahnsinnig sei ich, hatte man den Nonnen gesagt, und es kam immer nur eine vorsichtige Hand durch die Klappe meiner Kerkertür, mir die hölzerne Schüssel und den irdenen Krug hineinzureichen. Hager und runzlig war diese Hand bis zu einem glücklichen Tage. Heil sei der Stunde, wo eine andere Hand, klein und weich gleich der meinigen hier mir Speise und Trank zuschob! Diese kleine, weiche Hand habe ich gefaßt und festgehalten, und sie hat mir geholfen und sich selbst auch. Nun schlug ein armes, mitleidiges Herz vor den Riegeln meines Gefängnisses, und dieses arme Herz war auch gefesselt und gefangen und härmte sich ab nach einem andern Herzen, welches draußen vor den Mauern des Klosters in Liebe für es klopfte. Pläne der Befreiung beredeten wir miteinander, bis die Stunde günstig war. Es war eine dunkle Sturmesnacht, im Walde harrte ein junger Reiter mit zwei ledigen Pferden, und die Riegel unseres Kerkers öffneten sich. Wir ritten die Sturmesnacht durch und den Tag auch. In Männerkleidung waren wir beiden Frauen. Meine Begleiter jagten stets so dicht als möglich nebeneinander her, und der junge Reiter küßte oft und heiß die kleine weiße Hand, welche die Schlösser meines und ihres Gefängnisses geöffnet hatte. Und wieder kam eine finstere Nacht, da hatten wir das katholische Land durchritten, und noch immer hatten wir die Verfolger dicht hinter uns. Da hörten wir das Rauschen eines Flusses in der Finsternis, und unser Schützer sagte: drüben finge das Reich der Ketzer an und drüben liege die Rettung, Schon vernahm unser Ohr wiederum den Hufschlag der Rosse unserer Verfolger, und wir befahlen unsere Seelen Gott und trieben unsere Pferde in das schwarze, rauschende Wasser. Über uns stand das Feuerzeichen Gottes, der große, erschreckliche Komet, und drohete furchtbarlich herab. Da hat die Flut meine Begleiter fortgerissen, und sie sind umgekommen, mir aber hatte das Wasser nichts getan, und auch die Kugeln der Feinde, welche dieselben vom Ufer auf uns abschossen, sind über meinem Haupte weggegangen. Der Herr hat die Unschuldige beschützt –«

      »Du lästerst Gott, Fausta La Tedesca!« rief Simone der Arzt; aber der Graf von Pyrmont stampfte mit dem Fuße auf:

      »Schweigt, schweigt Ihr! – Redet weiter, Fausta!«

      »Der Herr hat die Unschuldige geschützt; ungefährdet hab ich mich mit meinem Rosse an das Ufer gerettet; aber lang hab ich darauf krank gelegen in einer Hütte armer Bauern. Als ich mich wieder erheben konnte von meinem Schmerzenslager, hörte ich von dem Wunder, das sich begeben hatte – von dem Wunderbronn, welcher alles Weh und alles Gedächtnis von Weh wegspülen könne –«

      »Verflucht ist der Quell, aus welchem du trinkst!« rief Simone Spada.

      »Stopft ihm den Mund, ihr Knechte, wenn er nicht schweigen will!« rief wütend Philipp von Spiegelberg, und die Reisigen zogen den Arzt weiter aus dem Kreise fort.

      »Lasset ihn reden«, sagte Fausta, »mein Ohr und Herz sind verschlossen gegen das, was er sagt.«

      »Fahret fort, Fremde«, ließ sich Frau Hedwig von Brandenburg vernehmen.

      »Ich hatte weder Geld noch Schmuck; aber das gute Roß, welches mich aus dem Kloster und Gefängnis errettet, welches mich durch den wilden Fluß getragen hatte, stand noch in dem Stalle des Bauern, der mich aufgenommen hatte. Das Roß hab ich verkauft und mit Tränen Abschied von ihm genommen. Langsam bin ich zu Fuß weitergezogen all den einzelnen Wanderern und den Haufen nach, die von dem heiligen Bronnen gehört hatten und zu ihm wallfahrteten. Da hab ich den Fluß wieder gekreuzt und bin hier angekommen und habe den Simone wieder getroffen. Nun schützet, schützet mich vor ihm, Herr Graf! Bei Euerer Mutter beschwöre ich Euch, bei allem, was Euch am liebsten ist, lasset mich nicht wieder in seine Hände fallen!«

      Schluchzend umfaßte die Flehende die Kniee des jungen Grafen; – es schluchzten Ursula und Walburg, es schluchzte die Kurfürstin von Brandenburg, alle Weiber im Volke schluchzten, während alle Männer wilde, drohende Blicke dem Arzt zuwarfen. Es wurde bereits nötig, daß die reisigen Knechte den Simone gegen die Wut des Volkes schützten. Im nächsten Augenblick konnte das drohende Unwetter über seinem Haupte losbrechen, und außer einigen Mönchen, denen die Erzählung der Fremden von ihrer Klosterflucht durchaus nicht gefallen hatte, gab es niemanden, der nicht mit Vergnügen die Fäuste erhoben hätte gegen den Arzt Simone Spada aus Bologna.

      Mancherlei verworrene Gedanken bewegten den Geist des Grafen von Spiegelberg. Was sollte er tun? Was sollte er lassen?

      Die peinlichen Warnungen des Fremden erschütterten ihn mächtiger, als er sich merken ließ; aber noch mächtiger erschütterte ihn das schöne, wimmernde Weib zu seinen Füßen. Einen Augenblick


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