Die wichtigsten Novellen, Romane & Erzählungen von Wilhelm Raabe. Wilhelm Raabe

Die wichtigsten Novellen, Romane & Erzählungen von Wilhelm Raabe - Wilhelm  Raabe


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und ihren Gartenbeeten. Das arme Kind sah nicht mehr so rotwangig aus wie im vergangenen Sommer. Die Monika war bleich, recht bleich geworden und schien sich nur mit Mühe aufrecht zu halten. Sie war fast noch schöner geworden; aber – es war die Schönheit, welche nur das Herzweh und die allertiefste Sorge geben kann, über sie gekommen.

      Sonst hatte sie sich jedenfalls helfend und sorgend mit in solches Getümmel gestürzt; jetzt aber schaute sie müde, gleichgültig den nach Norden hinab sich drängenden Eisschollen nach. Seit der wandernde Spielmann ihr jenes Briefelein ihres Herzliebsten gebracht hatte, war ihr kein Gruß, kein Bote, kein Lebenszeichen von ihm gekommen.

      Auf den heißen Sommer war der Herbst gefolgt, und die Menschen hatten die kümmerliche Ernte, welche ihnen die böse Glut übergelassen hatte, eingebracht in ihre Scheunen: – vergeblich war das Hoffen der kleinen Monika gewesen.

      Nach dem Herbst war der kalte, lange Winter mit seinem Regen, Schnee und Eis gefolgt: – nichts, nichts hatte die arme Monika von dem Klaus erfahren.

      Nun kam der Frühling wieder, und wie das Herz im Frühling sich regt, das hat wohl jeder erfahren in Leid und Freud!

      Die Monika Fichtner spürte es zu großem Leide; – bängliche Schwermut drückte ihr fast das Herz ab. Lebte er noch? Hatte er sie noch lieb?

      Die Monika wurde krank in dem Gedanken, daß er tot, daß er hülflos in der Fremde gestorben sei; oder noch schlimmer, daß er sie längst vergessen habe um eine Schönere drüben hinter den blauen Bergen.

      »Die Disteln und die Dornen, die stechen allzusehr;

       Die falschen, falschen Zungen, die stechen noch viel mehr.«

      Alle neidischen Gespielinnen der Monika erzählten ihr mit verhaltener Schadenfreude von dergleichen Vorkommnissen, und wie so etwas gar nicht so selten sei in der Welt, wie man sich wohl vorstellen möchte.

      »Die eine redt dies, die andre redt das,

       Das macht mir gar oft die Äuglein naß.«

      Auch die Monika lachte schon lange nicht mehr über solches Zischeln, Flüstern und Sticheln. Mehr und mehr hatten die bösen Gedanken Raum gewonnen in ihrem armen, kleinen, ängstlichen Herzen.

      O wie sie sich quälte, wie sie häßliche Träume hatte und lange schlaflose Nächte, in welchen sie ihr Kopfkissen feucht weinen mußte! Und das alles so unnötigerweise und nur, weil die guten, lieben Weiber um so viel besser sind als die Männer, welche gar nicht verdienen, daß die guten, lieben Weiber ihretwegen geschaffen worden sind.

      Wie leicht hätte dieser nichtsnutzige Klaus dieses ängstliche, sorgende Herz beruhigen können; wie wenig ahnete er den Wert des Schatzes, der ihm in diesem kleinen Herz zugefallen war! Wie sehr hatte Ehrn Valentin recht, als er sein Töchterlein warnte, dieses Herz nicht gar so leichtsinnig wegzugeben!

      Aber wer konnte etwas dagegen tun?

      Geschehen war einmal das Unglück und konnte nicht wiedergutgemacht werden. Was die arme kleine Monika auf sich genommen hatte, das mußte sie nun tragen. –

      Drüben am linken Ufer der Weser hatte der Vikarius Festus auch seine liebe Not. Auf dem linken Ufer des Stromes war die Gefahr und die Verwirrung fast noch größer als auf dem rechten. In dem Augenblick, wo wir uns zu dem jungen Mönch wenden, schritt er, ein Kind auf dem rechten Arm, ein Vogelbauer mit einem höchst verwunderten Dompfaffen im linken Arm tragend, eilfertig hervor aus einem dicht am Fluß gelegenen und fast halb fortgeschwemmten Fischerhause, dessen sämtliche Bewohner in niedersächsischer Hartnäckigkeit sich in den Kopf gesetzt hatten, mit ihrem Obdach abzusegeln, obgleich damals noch nicht so viel Leute aus dem deutschen, gesegneten Vaterlande auswanderten nach Amerika.

      Auf seinen Stab gelehnt, stand der Vater Chrysostomus inmitten seiner sich um ihn drängenden Gemeinde. Er war nun ganz blind geworden und vermochte nichts weiter, als die Kügelchen seines Rosenkranzes durch die zitternden Finger rollen zu lassen; auf dem Bruder Festus allein lag alle schwere Sorge und Arbeit der Zeit. – Immer höher stiegen die Wasser. Schon erreichten sie das Pfarrhaus, und wenn nicht bald ein Stillstand eintrat, so mußte in kurzer Frist das ganze Dorf ihrem wilden Spiel anheimfallen.

      In stumpfsinniger Apathie standen die armen Bauern da, vergebens bat und flehete der Vikarius und ermunterte zu rettender Anstrengung.

      Man betete, man rief alle Heiligen an, man weinte und ballte auch wohl die Fäuste, man entgegnete dem mahnenden Geistlichen: »Es hilft doch nichts! Alles ist vergeblich! Was sollen wir uns quälen?«

      »Nicht also! Wehren sollt ihr euch! Gott gibt die Rettung, wenn ihr euch dazuhaltet.«

      »Es hilft nichts – ‘s ist alles verloren – die Sündflut bricht herein – der Komet hat’s vorausgesagt!«

      Der Bruder Festus sank fast zusammen vor übergroßer Ermattung.

      »Wehren sollt ihr euch!« murmelte er noch einmal, als wiederum sein Auge an dem weißen Gewande auf der Mauer des lutherischen Pfarrgartens haftete. »Glaube ich denn an das, was ich ihnen sage?«

      Ratlos, die Hände ringend, irrte er umher am Rande der steigenden Flut, der donnernden Eismassen. Da erschien plötzlich hoch zu Roß inmitten des verzweifelnden Volkes ein Mann, dem einige Diener folgten. Das Auge des Ankömmlings flog über die Menschen und die Wasser; im nächsten Augenblick war er von seinem Pferde gesprungen, winkte er seinen Dienern, dasselbe zu tun.

      Schnell hatte er erkannt, wo es hier fehle, und was dem Vikarius Festus nicht gelingen wollte, das gelang dem – Arzt Simone Spada aus Bologna!

      Drohungen, welsche Flüche erweckten die Bauern aus ihrem Stumpfsinne. Das unerwartete frische Eingreifen übte seine Macht über die Gemüter. Von neuem griffen die Leute von Stahle zu ihren Haken und Stangen, um von neuem den Kampf gegen die sich aufeinanderschiebenden Eismassen aufzunehmen. Die am meisten bedrohten Häuser und Hütten wurden geräumt – alles half nach Kräften; die Männer arbeiteten am Fluß, die Weiber und Kinder trieben das Vieh auf die Höhen und bargen die ärmlichen Habseligkeiten.

      »Avanti, avanti! Nicht den Mut verloren – vorwärts, Leute – Gott hilft den Wackeren! Schauet drüben die Ketzer; – wollt ihr euch von ihnen beschämen lassen? Auf, auf im Namen der allerheiligsten Jungfrau!«

      Das half. Der Mut kehrte wieder, und der Himmel tat dazu das Seinige: die Wasser stiegen nicht mehr, wenngleich sie auch fürs erste noch nicht fielen.

      Als die Abenddämmerung hereinbrach, konnte der Bruder Festus dem Fremden an dem flammenden, behaglichen Feuerherd seines Pfarrhauses mit Tränen in den Augen danken.

      »Das war Hülfe in der Not! Gesegnet sei der Herr, welcher Euch gesandt hat. O nennet mir Euern Namen, daß ich ihn ewiglich in meinem Herzen aufbewahre!«

      »Ach, schreibet nicht meinem geringen Verdienst das glückliche Ende dieses Tages zu! Übrigens ist mein Name Simone Spada, ich bin ein Arzt und soeben auf der Reise nach meinem Vaterland Italien begriffen. Von Osnabrück komme ich, allwo ich einen teuren, väterlichen Freund zur Erde habe bestatten müssen und allwo ich vorher selbst lange Zeit krank gelegen habe.«

      »Noch einmal den herzlichsten Dank! O, nun setzet Euch und nehmet mit dem vorlieb, was unser armes Dach und die schwere Zeit Euch bieten kann.«

      Der Arzt Simone ließ sich am Kamin des Pfarrhauses zu Stahle nieder. –

      Scholle auf Scholle knirschte und krachte an der Mauer des Pfarrgartens zu Holzminden im wildesten Getümmel vorüber, so daß Monika schwindelnd sich an der Brüstung halten mußte. Eben kam ein größeres Eisstück vorbei, und auf ihm saß ein Rabe, welcher des Fliegens müde geworden war. Frech blickte der schwarze, drollige Gesell, als er vorüberschiffte, zu dem jungen Mädchen in die Höhe, als wolle er sagen:

      »Jaja, Jungferchen, wenn du meine Flügel hättest, so wüßt ich wohl, wohin du den Flug um Kundschaft richten würdest – krah – kräh – kräh.«

      Weiter stromabwärts wurde dem seltsamen Reisenden solche Fahrt wieder langweilig. Mit lautem, höhnischem Geschrei schüttelte er die Flügel, schwang sich in die graue Abendluft


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