Alfried Krupp: Ein Lebensbild. Frobenius Herman
gehörendes Haus, das in den letzten Jahren für einen Werkmeister errichtet worden war. Es ist ein ärmliches einstöckiges Fachwerks-Gebäude, neben der Thür in der Front beiderseits nur ein Fenster, im Giebel deren zwei mit grünen Läden, darüber beiderseits ein einfenstriges Giebelstübchen, kaum Raum genug für die Eltern und die vier Kinder bietend, eine Arbeiterwohnung im strengsten Sinne des Wortes, und was in diesem Hause für angestrengte, sorgenschwere, aber auch segensreiche Arbeit geleistet wurde, das hat die Welt nach Jahrzehnten mit Staunen wahrgenommen, dessen werden sich aber auch die Nachkommen des ersten Bewohners stets mit tiefbewegtem, dankbarem und immer aufs Neue ermuthigtem Herzen erinnern. Noch heute steht inmitten der Riesengebäude der Fabrik, in seiner ursprünglichen bescheidenen Form dieses „Stammhaus”, in dem Friedrich Krupp noch einmal Hoffnung schöpfte, sein Leiden überwinden und dem drohenden Zusammensturz seines Werkes mit Energie Einhalt gebieten zu können. Kurz und trügerisch war die Hoffnung. Mitten in neuen Arbeiten, in der Lösung neuer Aufgaben, raffte ihn der Tod dahin. Er starb am 8. Oktober 1826 an der Brustwassersucht. Was er erstrebt hatte, schien verloren, was er erreicht, schien vernichtet. In Noth und Sorge, ohne alle Mittel ließ er seine Familie zurück, in der Blüthe seiner Jahre überwältigt durch die Aufgabe, der er sein Leben und das Wohl der Seinen geopfert hatte. An seinem Grabe standen die früheren Freunde und Genossen ohne ernste Theilnahme; sie hatten es ihm ja vorausgesagt, daß er einem Hirngespinnst in thörichter Weise sich opferte; nur ein mitleidiges Lächeln hatten sie für die Wittwe und die unerwachsenen Kinder, die er im Elend zurückgelassen hatte. Sie ahnten nichts von dem reichen Erbe, das er ihnen vermachte, da er sie durch eine Schule geführt hatte, welche sie zur strengsten Pflichterfüllung und zum Einsetzen aller Kraft an hohe Ziele vorbereitet hatte, sie sahen nicht den unscheinbaren Keim blühender Entwickelung, den er in seinem Werke eingepflanzt hatte und der sich zum Riesenbaum ausgestalten sollte, in dessen Schatten Deutschlands Industrie für seine Weltbedeutung sich zu entfalten Schutz fand.
II.
Lehrjahre.
Ein vierzehnjähriger Knabe stand Alfried am Grabe seines Vaters, und in den tiefen Schmerz hinein, welcher sein Herz mit Thränen erfüllte, in die bangen, schweren Gedanken, welche mit ungewohnter Last sein Haupt beschwerten, klangen anstatt der Töne warmen Mitgefühls die Aeußerungen des frostigen Mitleids wie ein schneidender Mißton, seinem thränenverschleierten Blick entging nicht das Achselzucken der klugen Leute, welche es nicht für der Mühe werth hielten, ihre Schadenfreude zu verbergen. Und die Thränen versiegten in heiligem Zorn, das schmerzgebeugte Haupt erhob sich in stolzem Bewußtsein der großen Aufgabe, welche der Knabe von heute ab als Nachfolger seines Vaters diesen kleinen Seelen gegenüber zu vertheidigen, in ihrer ganzen vollberechtigten Bedeutung zur Anerkennung zu bringen berufen war. So verließ Alfried Krupp das frische Grab seines Vaters, nicht in verzweifelndem Kleinmuth des Kindes, sondern im muthigen Selbstvertrauen des werdenden Mannes, so ward er, der vierzehnjährige Knabe, der Chef der Firma Friedrich Krupp, durch das im Tiefsten ihn verletzende Gebahren seiner Mitbürger am Grabe des Vaters, zu dem Manne der eisernen Energie, des rücksichtslosen Zielbewußtseins, des tiefsten Verständnisses für die Lebensnoth seiner Mitmenschen, wie er in seinem ganzen Leben sich bewiesen hat.
Er war kein Musterschüler gewesen; denn im Oktober 1825 hatte er erst die Quarta erreicht, als sein Vater es für nothwendig erachtete, ihn in seinen Freistunden zur Mitarbeit in der Fabrik heranzuziehen. Die Entlassung eines untreuen Buchhalters und eines unzuverlässigen Faktors hatten ihm den Gedanken nahe gelegt, mit Hilfe seines ältesten Sohnes alles Geschäftliche allein zu besorgen und hierdurch die Fabrik von einer immerhin ins Gewicht fallenden Ausgabe zu entlasten.
Ostern 1826 nahm er ihn ganz aus der Schule, konnte aber seine ursprüngliche Absicht, ihn bei dem Münz-Wardein Noelle auf der Düsseldorfer Münze seine Lehre durchmachen zu lassen, nicht ausführen, da ein neuer Krankheitsanfall ihm seine Hilfe im Geschäft unentbehrlich machte. Körperlich gebrochen, besaß er doch noch seine volle geistige Frische, um die jetzt wichtigste Aufgabe zu erfüllen, seinen Sohn in alle Zweige des Geschäftes einzuführen. Nach seiner Anweisung mußte Alfried die „Beschickung” und sonstige besonders wichtige Werkarbeiten übernehmen, mußte er in wenigen Monaten alles das erlernen, was ihn nicht nur zu einem geschickten Hüttenmann geeignet machte, sondern was als Ergebniß der Versuche und Studien des Vaters ihm überliefert werden mußte, damit er seiner hohen Aufgabe gewachsen wäre, dessen Erfindung weiter zu fördern und auszubeuten.
Das waren offenbar Dinge, welche den Anlagen und Neigungen des Knaben bedeutend mehr zusagten, als die Schulwissenschaften. Es ist nur aus einem vollen Verständniß der ihm zufallenden Lebensaufgabe und aus einer hohen spezifischen Begabung heraus verständlich, daß es dem Knaben gelang, des Gelehrten vollständig Herr zu werden, so vollständig, daß er auf des Vaters Errungenschaften ohne Weiteres weiter zu bauen im Stande war, als er nach sechs Monaten Lernzeit auf seine eigenen Füße gestellt wurde.
Als seine Schulkameraden nach der Tertia versetzt wurden, ward den schwachen Schultern des vierzehneinhalbjährigen Knaben die schwere Last auferlegt, als Chef der Firma eine Fabrik weiterzuführen, welche zusammenzubrechen drohte, als Haupt der Familie die Mittel zu schaffen, um seine Mutter und drei Geschwister zu ernähren. Er wollte und konnte sich dem nicht entziehen, denn es war das heilige Vermächtniß seines Vaters. Noch im Oktober des Jahres 1826 veröffentlichte die Wittwe in den Zeitungen eine „Empfehlung”:
„Den geschätzten Handlungsfreunden meines verstorbenen Gatten beehre ich mich die Anzeige zu machen, daß durch sein frühes Hinscheiden das Geheimniß der Bereitung des Gußstahls nicht verloren gegangen, sondern durch seine Vorsorge auf unseren ältesten Sohn, der unter seiner Leitung schon einige Zeit der Fabrik vorgestanden, übergegangen ist und daß ich mit demselben das Geschäft unter der früheren Firma „Friedrich Krupp” fortsetzen und in Hinsicht der Güte des Gußstahls, sowie auch der in meiner Fabrik daraus gefertigten Waaren nichts zu wünschen übrig lassen werde.
Die Gegenstände, welche in meiner Fabrik gefertigt werden, sind folgende: Gußstahl in Stangen von beliebiger Dicke, desgl. in gewalzten Platten, auch in Stücken, genau nach Abzeichnungen oder Modellen geschmiedet, z. B. Münzstempel, Stangen, Spindeln, Tuchscheerblätter, Walzen u. dergl., wie solche nur verlangt und aufgegeben werden, sowie auch fertige Lohgerberwerkzeuge.
Gußstahlfabrik bei Essen, im Oktober 1826.
Wittwe Therese Krupp, geb. Wilhelmi.”
Wie stand es nun mit der Fabrik? Friedrich Krupp war es trotz aller Schwierigkeiten immer noch gelungen, sein Geschäft in voller Ordnung zu hinterlassen und seine kaufmännische Ehre voll zu wahren. Aber Schulden waren natürlich vorhanden, und sie überstiegen beinahe den Werth des Vermögens. Die Güte des Kruppschen Gußstahls ward überall anerkannt; die Bestellungen waren aber in den letzten Jahren immer dürftiger eingelaufen, da die Krankheit des Chefs eine pünktliche Ausführung zur Unmöglichkeit gemacht hatte. Die Zahl der ständigen Arbeiter war auf vier Mann heruntergegangen. Kredit war jetzt naturgemäß noch viel schwieriger zu erlangen als zu Lebzeiten des Vaters. So galt es, unter den ungünstigsten Verhältnissen gewissermaßen von vorn wieder anzufangen, auf’s Neue eine Kundschaft zu erwerben, nachdem das Vertrauen in die Leistungsfähigkeit der Fabrik erschüttert war. Betriebsmittel, Rohmaterial, neue Arbeitskräfte und Kredit zu schaffen, wo kein irgend nennenswerther Fonds dafür zur Verfügung stand. Wieviel schwerer war die Aufgabe für Alfried jetzt, wo Englands Gußstahlfabrikate wieder als übermächtige Konkurrenten überall in den Weg traten, als damals für den Vater, wo das Vermögen noch vorhanden und durch die eigenen Erzeugnisse einem auf dem ganzen Kontinent schwer empfundenen Bedürfniß entsprochen werden konnte. Diesen Mängeln gegenüber standen aber die gut und für einen viel größeren Betrieb ausreichenden Fabrikgebäude als eine wichtige, unentbehrliche Errungenschaft des Vaters und die frische Arbeitskraft eines über Nacht zum Jüngling gereiften Knaben, der mit Begeisterung und hoffnungsfreudig ans Werk ging und, über die ersten Versuche hinweg, gleich ein vollwerthiges Material auf den Markt bringen konnte.