Das österreichische Antlitz: Essays. Felix Salten
man rasch wieder zusammen. Ein hoher Saal mit Kronleuchtern, Spiegeln, Teppichen. Weiß, Gold und Rot, die offiziellen Farben in den Palästen. Das Wort Zimmer schrumpft auf ein Nichts; in wahrhaft beschämender Weise. Hier sind Gemächer, Appartements. Und Lakaien. Ein solcher Schwarm von Lakaien, wie er sich nur in verschwenderisch ausstaffierten Romanen zu finden pflegt. Nicht einmal auf der Bühne. Denn welches Theater hätte so viele und so präsentable Komparsen? Galonierte prächtige Lakaien mit galonierten, prächtigen Gesichtern. Es ist wirklich herzerfreuend, wie gesund und wohlgenährt diese wackeren Männer aussehen. Lakaien, mit einem Wort, die höflich sind und streng dabei; die Gebärden von ungeheurem Stolz haben, und die einem trotzdem beim Ablegen des Winterrockes behilflich sind. Man merkt sofort: hier muß man sich geehrt fühlen.
Von allen Gefühlen, die es gibt, ist das Gefühl, geehrt zu sein, unstreitig das angenehmste. Und wenn man diese bescheidene Behauptung nur einigermaßen als wahr hinnehmen will, dann ist das Rätsel solcher Vorstellungen gelöst. Das Rätsel nämlich, daß man solche Vorstellungen wie Ereignisse ersten Ranges traktiert, daß man sich zu ihnen drängt, sich die Billette aus der Hand reißt und sich schlechterdings für deklassiert hält, wenn man nicht mit dabei gewesen ist. Es gibt Vorstellungen, in denen man sich gerührt, Vorstellungen, in denen man sich aufgeregt fühlt, Vorstellungen, in denen man sich belustigt oder begeistert, Vorstellungen, in denen man sich gelangweilt fühlt. Aber Vorstellungen, in denen man sich ununterbrochen geehrt fühlen muß, darf oder kann, gehören doch zu den seltenen Genüssen. Man betritt den Zuschauerraum, und gleich am Eingang steht ein Graf, der die Kartenabgabe überwacht. Zu viel Ehre! Man versucht, in seine Sitzreihe zu gelangen, und es erheben sich drei Komtessen, zwei Gardekapitäne, um uns durchzulassen, eine Altgräfin und zwei Prinzen. Zu viel, zu viel der Gnade! Man setzt sich nieder und hat einen Prinzen zur Rechten, eine Reichsfreifrau zur Linken, einen Fürsten vor sich und hinten einen Marquis. Wie angenehm das ist! Und der Prinz zur Rechten plaudert mit der Reichsfreifrau zu deiner Linken, so laut und so ungeniert, als ob du gar nicht da, als ob du einfach Luft wärst. Jedes Wort hörst du, ob du nun willst oder nicht, du hörst es und bist hochgeehrt. Kein Zweifel.
Es wäre nun ganz abscheulich, die hohen Eintrittspreise zu erwähnen. Wer wird vom Geld sprechen? Was ist das überhaupt: Geld? Jeder Krämer, der sichs sauer werden läßt, kann es besitzen. Hier gilt vor allem die Wohltätigkeit, und was der Abend bringt, ist gewiß einem ebenso guten als tadellos frommen Zweck geweiht. Wenn adelige Leute lebende Bilder stehen und sich gegen Entree anschauen lassen, wenn dieser Saal im Augarten – ein zwar nicht allen, aber doch allen zahlenden Menschen gewidmeter Erlustigungsort wird, dann, bitte, nur keine plebejischen Anwandlungen. Daß Aristokraten keine gelernten Künstler sind, muß man im voraus wissen; daß sie nur über eine standesgemäße Begabung verfügen, darauf muß man gefaßt sein. So amüsant wie beim Wurstl kann's halt nicht sein. Aber: ein Theater, wo lauter Fürsten und Grafen und Komtessen und Prinzessinnen Komödie spielen, das ist doch was, Himmelherrgott!
Und – Himmelherrgott – es ist auch was! Schon der Zuschauerraum, dieses ganze vornehme, wenn auch reichlich bürgerlich gesprenkelte Auditorium bietet genug und genug. Wollte man die Kronen der hier versammelten Herrschaften auf ein Häuferl schichten, das gäbe eine nette, funkelnde Pyramide, die bis zur Decke reichen würde. Schwerlich vermöchte es diese Erwägung, auf einen Südsee-Insulaner sonderlich zu wirken. Aber ein zivilisierter Mensch fühlt sich immerhin von Ehrfurcht ergriffen. Was das Wissen, das Bewußtsein nicht alles tut: An einem anderen Ort zum Beispiel möchte man sich schrecklich entrüsten, wenn die Leute so schreien, wenn sie einander über zwanzig Köpfe hinweg anreden, sich »Grüß' dich« oder »Servus« zuschmettern wollten. Weil es aber Aristokraten sind, die so knallende Gespräche führen, hält man's für ungenierte Noblesse, fühlt sich eingeschüchtert von diesen Menschen, die durch ihre ungeheuer hörbare Konversation zu erkennen geben, daß sie immer und überall »unter sich« sind, und daß, wer nicht dazu gehört, einfach nicht als anwesend gilt. Das Bewußtsein und seine Helfer, die Kleider, die Uniformen, die Juwelen: es ist kinderleicht, eine Frau als eine Fürstin zu erkennen, wenn sie ein Diadem in den Haaren trägt, das eine Million wert sein mag. Man breite ein Kopftuch über diesen Schmuck, ein gewöhnliches, kleines Kopftuch, und das nette, zutrauliche Gesicht eines Wäschermädels ist fertig. Diesen kleinen Offizier, der trotz seiner Uniform so unscheinbar aussieht, muß man erst umdrehen, um hinten an seiner Kämmererspange zu merken, daß er »wer« ist. In Zivil würde man ihn mit seinen gewöhnlich-ernsthaften Zügen, mit seiner alltäglichen, ein wenig farblosen Wohlgenährtheit und mit seinem Zwicker für einen Magistratsbeamten nehmen. Jener alte Mann dort, dessen weißer Bart ebenso ungepflegt als ehrwürdig ist, dem die Backen schlaff und wie ermüdet niederhängen, dem die Nase zum Mund hereinhängt, dem die Schultern hängen, und die Kleider am Leibe: – genau so, so betrübt und erschöpft und im ganzen so belanglos hat mein Mathematik-Professor ausgesehen. Jener Herr aber ist ein Fürst. Fürstliche Gnaden, Durchlaucht. Da ist eine liebe, schlanke Frau. Dünn wie eine Gelse. Fliegt im Saal umher wie eine Gelse, hat ein nettes, schmales Gesicht, kurzsichtige Augen, ein schnippisches Stumpfnäschen, und man würde sie treuherzig für ein niedliches Kammerzöfchen halten, das zu hüpfen gewöhnt ist, sooft die Klingel tönt; wenn man nicht wüßte, daß man sie Frau Gräfin ansprechen muß. Da sind junge Herren, die so glatt frisiert sind und so windspielhaft von Wuchs, wie feine Kellner in einem feinen Hotel. Haben so gutmütig junge, gedankenlos hübsche und sauber gewaschene Gesichter wie feine Kellner und sind Majoratserben, Prinzen, Pagen. Da sind andere, mit herrischen Mienen, scharfgerissene Profile, Nasen von einer Krümmung, die sich heutzutage nur ein Graf erlauben kann. Glühende Augen. Stolzgeschwungene Lippen. Und gleich sagen die Leute: Da sieht man die Rasse! Da zeigt sich die Abkunft! Aber mit Leichtigkeit könnte man in Hernals und in Ottakring ein paar junge Burschen einfangen, angehende Fiaker, bei denen nur die mangelhafte Kleidung schuld daran ist, daß sie nicht wie Grafen aussehen. Selbst aus der Tempelgasse ließen sich Duplikate herbeischaffen. Nur daß es dann freilich mit anderer Betonung hieße: Da sieht man die Rasse! Da zeigt sich die Abkunft!
Einen gänzlich Fremden – man brauchte ihn gar nicht von den Südsee-Inseln herzunehmen – könnte die Vorstellung nicht im mindesten interessieren. Weder das Publikum, da er unsere Uniformen und Ehrenzeichen nicht zu erkennen vermöchte, noch die Gaben der Bühne, da ja die stolzen Namen seinem Ohr unvertraut und gleichgültig wären, die Namen, ohne die beinahe alle Akteure ihren Reiz verlieren müßten. Wir aber haben die Zusammenhänge, haben alle die Relativitäten, die das Amüsement solcher Theaterspielerei ausmachen. Und mondainen Leuten mag es schon ein Hauptspaß sein, die Herrschaften, die sonst hoch über ihnen hausen, einmal als befangene, ehrgeizige Komödianten vor sich zu sehen.
Befangen aber und ehrgeizig sind die meisten dort oben auf den Brettern. Die Aufregung ist so ungeheuer, daß sie sympathisch wird, wie jede ehrliche Regung sympathisch ist. Da war ein Engel in dem ersten Bild. Eine reizende kleine Komteß hatte nichts weiter zu tun, als in der vorgeschriebenen Stellung ruhig dazusitzen, indes die anderen musizierten. Aber wie gelähmt war sie vor Befangenheit, wurde rot und röter unter der ungewohnten Schminke, und man mußte gerührt werden, wenn man das schöne Kind ansah. In diesem ersten Bild war übrigens die Darstellerin der heiligen Cäcilie vortrefflich. Ein Antlitz, als ob's von Holbein gemalt worden sei, mit einem weltentrückten Ernst in den Augen und einem frommen, strengen Harm auf den eingefallenen Wangen. Noch einer fiel mir im zweiten Bild auf: der Pierrot. Ein schöner, feingeschnittener Kopf. So geisterhaft beschattete, gleichsam gehöhlte Züge, daß man an die wunderbaren Pierrots denken mußte, die Willette gezeichnet hat. Dieses Bild brachte ein bewegliches Kindermenuett. Ein Halbdutzend winziger Prinzessinnen und Komtessen und, das muß wahr sein, sie haben wie die kleinen Ladstöcke getanzt. Aber lustig war's doch, wie an den Kindern gewisse Unterschiede am schärfsten merkbar wurden. Wie die einen nämlich, von ihrer Angst, von ihrer Befangenheit und von ihrem Ehrgeiz hypnotisiert, nur mehr automatisch sich rührten, indessen die anderen mit einer großartigen Gleichgültigkeit, mit absoluter Ruhe ihre Schritte und Knickse taten, unbekümmert, ob's gut sei oder schlecht, und als dächten sie: hier tanzt die Prinzessin Mimi – das genügt! Es waren dann im Schubert-Bild ein paar niedliche Mädchen zu sehen, von einem kleinbürgerlichen Typus, der unsere Vertraulichkeit nicht gar zu sehr entfernt. Und ein blonder Jüngling war bei ihnen, von der Schlankheit und federnden Grazie russischer Windspiele, dazu mit Augen, die so vergißmeinnichtblau schimmerten wie Schubertsche Lieder. Die Schubertschen Lieder