Das österreichische Antlitz: Essays. Felix Salten
Nachlässigkeit zuschulden kommen und hatten eine sachliche Freude des Gelingens, in der ihr gedrücktes Selbstbewußtsein frei wurde. Sorgloser gingen zwei andere zu Werke, die mit ruckweisen Drehungen im Tanze sich schwangen; die Köpfe weit zurückgebogen, daß sie einander beständig ins Antlitz schauen konnten. Und beständig lachten sie, als ob ein prächtiger Scherz ihnen von einem Mund zum andern ginge. Dabei sagten sie kein Wort, redeten nur mit den lachenden Augen, und das war wie ein Spiel fröhlicher Kinder.
Überhaupt war in allen diese kindergleiche, vollkommene Hingabe an die Freude, und diesem tanzenden Gewühl entströmte eine unaussprechliche Glückseligkeit, mühelos verlockt, hingerissen und entfacht von ein paar Walzertakten und etlichen Trommelschlägen. Und die erwachende Sinneslust schlug die Harmlosigkeit hier keineswegs nieder. Vielmehr wurde all das Begehren, davon die Atmosphäre bebte, ins Unschuldige gerückt, da es so aufrichtig und mit solcher Selbstverständlichkeit sich äußerte. Was hier die Arme umeinanderschlang, das liebte sich, gleichviel, ob vorher schon oder jetzt erst, aber es gab keine andere Veranlassung zum Tanz als die Liebe. Sie tanzten mitsammen, weil sie sich liebten, und sie liebten sich, weil sie mitsammen tanzten.
Zwei Soldaten waren hereingekommen und standen neben mir. Artilleristen. Der eine von ihnen, aufragend und in der Fülle seiner Kraft, »schön wie ein junger Gott«, mit blauen, fröhlich leuchtenden Siegeraugen. Der andere schwächlich, von der Uniform fast erdrückt, und mit verprügelten Mienen. Ein hübsches blondes Mädchen sprang ihnen entgegen, flog mit ausgebreiteten Armen auf den schönen Burschen zu und küßte ihn, munter, herzlich, vergnügt. Er ließ sichs gefallen und meinte nur, auf den Kameraden deutend: »Dem gibst d' a a Bußl!« Sie zögerte keinen Moment, lächelte, stellte sich auf die Zehenspitzen und küßte den Verprügelten. Dann wartete sie, daß der Schöne sie zum Tanze führe. Der aber schaute gelassen umher, achtete ihrer kaum. Er war nicht in der Geberlaune. So ließ sie sich denn vom andern umfangen.
Ein Ländler begann, eine kleine, bescheidene Melodie, die sich zufrieden im Kreise um sich selbst drehte, dann wieder innehielt, um sich gleich wieder gutgelaunt weiterzuschwingen. Und jetzt waren die Großstadtkinder und die vom Lande Zugereisten deutlich zu unterscheiden. Für die einen war's eben nur wieder ein Walzer, die anderen aber fingen an, sich in kleinen Gehschritten kirchweihmäßig zu wiegen, in jener ernsthaften Ruhe, mit der die Bauern den Tanz als eine feierliche Arbeit traktieren, und das Bauerng'wand schien unter mancher Uniform jetzt sichtbar zu werden. Ein Juchschrei flog da und dort empor, der Erinnerung an das ferne Dorf entstiegen, Händeklatschen, mühevolle Verschlingungen. Heimatkunst, in bescheidener Munterkeit verrichtet.
Inmitten dieser stampfenden, jubelnden, lachenden und liebenden Jugendseligkeit regt sich der Wunsch, hier nicht als Fremder stehen zu müssen, nicht wie nach fremden Tieren auf diejenigen zu schauen, die in Ursprünglichkeit und ungebrochener Lust genießen, nicht in Grübelei und nachdenklichem Zögern den Inhalt froher Stunden zu messen, sondern Anteil nehmen zu können, besinnungslos und ohne Rückhalt. Und da erträumt sich die Phantasie einen jungen Menschen, der, in allen Finessen des Geistes, des Wissens und der Kultur geschmeidig, dennoch so viel Schnellkraft sich bewahrt, daß er den Subtilen gelegentlich entwischt, seinen Lebensunband hierher zu tragen, der untertaucht in diesem dampfenden Tumult einfältiger Urtriebe, und dann neugebadet zurückkehrt zu den anderen, die nur beziehungsweise Wehmut kennen und vieldeutige Sentimentalität.
Schon dem Ausgange zugewendet, erblicke ich meine Bekannte vom Ringelspiel wieder. Sie walzt jetzt mit ihrem Burschen, ihr hübsches Gesicht ist dunkelrot geworden und hat denselben Ausdruck von Versunkenheit wie vorhin, da sie auf dem hölzernen Schaukelpferd saß. Hier aber fällt sie gar nicht auf, denn hier gleicht sie völlig den anderen, denen das Leben und die Jugend noch so überaus einfach geblieben: Man arbeitet erst und geht dann tanzen. Saure Wochen, frohe Feste.
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