Gesammelte Werke von Dostojewski. Федор Достоевский

Gesammelte Werke von Dostojewski - Федор Достоевский


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braucht! Ich glaube Ihnen nicht!«

      »Nun sehen Sie mal, wie Sie sich hin und her zu wenden verstehen!« kicherte Porfirij. »Mit Ihnen, Väterchen, kann man doch gar nicht fertig werden! Es hat sich so eine Art von fixer Idee bei Ihnen festgesetzt. Also Sie glauben mir nicht? Ich aber sage Ihnen, daß Sie mir allerdings schon glauben, mir schon einen großen Teil von dem, was ich sage, glauben, und ich werde Sie dahin bringen, daß Sie mir alles glauben; denn ich habe Sie von Herzen gern und wünsche Ihnen aufrichtig alles Gute.«

      Raskolnikows Lippen fingen an zu zittern.

      »Ja, ich wünsche Ihnen alles Gute, und ich rate Ihnen ganz entschieden«, fuhr er fort und faßte mit leiser Berührung Raskolnikow freundschaftlich am Arm, ein wenig oberhalb des Ellbogens, »ich rate Ihnen ganz entschieden: achten Sie recht auf Ihre Krankheit. Es kommt noch hinzu, daß jetzt Ihre nächsten Angehörigen hier bei Ihnen eingetroffen sind; auch an die sollten Sie denken. Es wäre Ihre Pflicht, ihnen ein ruhiges Leben zu bereiten und sie mit zärtlicher Sorge zu umgeben; aber Sie versetzen die Ihrigen nur in Angst …«

      »Was geht Sie das an? Woher wissen Sie das? Warum interessieren Sie sich so für mich? Sie lassen mich also beobachten und wollen mir das zeigen?«

      »Aber, Väterchen! Ich habe das alles doch von Ihnen, von Ihnen selbst erfahren! Sie merken gar nicht, daß Sie in Ihrer Erregung mir und andern alles selbst zuerst erzählen. Auch von Herrn Dmitrij Prokofjitsch Rasumichin habe ich gestern viele interessante Einzelheiten erfahren. Nein, Sie haben mich unterbrochen, und ich muß Ihnen sagen, daß Sie infolge Ihrer Neigung zu Argwohn trotz all Ihres Scharfsinns sogar den gesunden Blick für die Dinge verlieren. Sehen Sie zum Beispiel, was das Ziehen an der Türklingel anlangt, wenn ich noch einmal auf dieses Thema zurückkommen darf: ein so wertvolles Beweismoment, ein solches Faktum (denn es ist ja ein ganz feststehendes Faktum) habe ich, der Untersuchungskommissar, Ihnen so mir nichts, dir nichts preisgegeben! Und in dieser Handlungsweise finden Sie gar nichts? Wenn ich auch nur den geringsten Verdacht gegen Sie hegte, hätte ich dann so verfahren dürfen? Ich müßte vielmehr zunächst Ihren Argwohn einschläfern und gar nicht merken lassen, daß mir dieses Faktum bereits bekannt ist; ich müßte in dieser Weise Ihre Aufmerksamkeit nach der entgegengesetzten Seite ablenken und Sie dann plötzlich, wie mit einem Knüttelschlage auf den Scheitel (nach Ihrem eigenen Ausdrucke), mit diesen Fragen betäuben: ›Was hatten Sie, mein Herr, in der Wohnung der Ermordeten um zehn Uhr abends oder noch später zu suchen? Warum haben Sie an der Türklingel gezogen? Warum erkundigten Sie sich nach dem Blute? Warum verblüfften Sie die Hausknechte und forderten sie auf, nach dem Polizeibureau, zum Revierleutnant, mitzukommen?‹ So müßte ich verfahren, wenn ich auch nur eine Spur von Verdacht gegen Sie hätte. Ich müßte in aller Form ein Verhör mit Ihnen anstellen, eine Haussuchung vornehmen, vielleicht auch Sie festnehmen lassen … Folglich hege ich gegen Sie keinen Verdacht, da ich ja anders gehandelt habe! Aber um es noch einmal zu wiederholen: Sie haben den gesunden Blick verloren und sehen nichts!«

      Raskolnikow zuckte mit dem ganzen Körper zusammen, so daß Porfirij Petrowitsch es ganz deutlich bemerkte.

      »Sie lügen fortwährend!« rief er. »Ich kenne Ihre Absichten nicht, aber Sie lügen fortwährend! … Vorhin haben Sie in ganz anderem Sinne gesprochen; darin kann ich mich nicht irren … Sie lügen!«

      »Ich lüge?« erwiderte Porfirij, der sich anscheinend ereiferte, aber seine heitere, spöttische Miene beibehielt und sich nicht im geringsten darüber aufzuregen schien, was Herr Raskolnikow über ihn für eine Meinung hätte. »Ich lüge? … Na, und wie habe ich mich vorhin gegen Sie benommen, ich, der Untersuchungskommissar? Ich selbst habe Ihnen alle möglichen Verteidigungsmittel mitgeteilt und an die Hand gegeben; ich selbst habe Ihnen dieses ganze Kapitel der Psychologie auseinandergesetzt: ›Krankheit‹, sagt man zu seiner Verteidigung. ›Fieberwahn, ich fühlte mich gekränkt, Schwermut‹, und ›die Polizeibeamten‹ und noch vieles andre. Nicht wahr? He-he-he! Wiewohl, beiläufig bemerkt, all diese der Psychologie entlehnten Verteidigungsmittel, Ausreden und Finten äußerst unzuverlässig sind und gar sehr ihre zwei Seiten haben: ›Krankheit‹, sagt man, ›Fieberwahn, Träume, es ist mir so vorgekommen, ich erinnere mich nicht‹; alles ganz schön; aber, Väterchen, warum stellen sich denn in der Krankheit und im Fieberwahn immer gerade nur solche Träume ein und keine andern? Es könnte einem doch auch etwas andres träumen? Nicht wahr? He-he-he-he!«

      Raskolnikow maß ihn mit einem stolzen, verächtlichen Blicke.

      »Um es kurz zu machen«, sagte er laut und energisch, indem er aufstand und dabei Porfirij ein wenig beiseite schob, »um es kurz zu machen, ich will wissen: erklären Sie mich endgültig für frei von allem Verdacht oder nicht? Sagen Sie mir das, Porfirij Petrowitsch, sagen Sie mir das bestimmt und endgültig, und recht schnell, sofort!«

      »Ach, ist das eine Not! Nein, was man mit Ihnen für Not hat!« rief Porfirij mit durchaus heiterer, schlauer Miene und ohne jedes Zeichen von Erregung. »Wozu brauchen Sie denn das zu wissen, wozu brauchen Sie denn all so etwas zu wissen, da es doch noch keinem Menschen eingefallen ist, Sie irgendwie zu belästigen? Sie sind ja ganz wie ein Kind, das durchaus verlangt, man solle ihm das Feuer in die Hand geben! Und warum beunruhigen Sie sich so? Warum drängen Sie sich uns denn selbst in dieser Weise auf? Was haben Sie dazu für Gründe? He-he-he!«

      »Ich wiederhole Ihnen«, schrie Raskolnikow wütend, »daß ich das nicht länger ertragen kann! …«

      »Was können Sie nicht ertragen? Die Ungewißheit?« unterbrach ihn Porfirij.

      »Verhöhnen Sie mich nicht! Ich will das nicht länger ertragen! … Ich sage Ihnen, daß ich das nicht länger ertragen will! … Ich kann und will es nicht! … Hören Sie! Hören Sie!« schrie er und schlug wieder mit der Faust auf den Tisch.

      »Aber leiser, leiser! Das hören ja andre Leute! Ich warne Sie in allem Ernst: schonen Sie Ihre Gesundheit! Ich scherze nicht!« erwiderte Porfirij flüsternd; aber diesmal war auf seinem Gesichte von dem weibisch-gutmütigen, ängstlichen Ausdruck nichts mehr zu bemerken; im Gegenteil, jetzt befahl er geradezu, in strengem Tone, mit zusammengezogenen Brauen; es war, als würfe er mit einem Male alles Versteckspiel und alle Zweideutigkeit beiseite.

      Indes dauerte das nur einen Augenblick. Raskolnikow war aufs höchste überrascht und geriet in vollständige Raserei; aber sonderbarerweise fügte er sich wieder dem Befehle, leiser zu sprechen, obwohl er sich in einem wahren Paroxysmus von Wut befand.

      »Ich lasse mich nicht so quälen!« flüsterte er gerade wie vorhin; voll Schmerz und Ingrimm wurde er sich in demselben Augenblicke bewußt, daß er nicht die Kraft besaß, dem Befehle zu widerstreben, und dieser Gedanke machte ihn nur noch wütender. »Verhaften Sie mich, halten Sie bei mir Haussuchung; aber verfahren Sie in der gesetzlich vorgeschriebenen Form und spielen Sie nicht mit mir! Unterstehen Sie sich nicht, das zu tun!«

      »Beunruhigen Sie sich doch nicht wegen der gesetzlichen Form!« unterbrach ihn Porfirij, nun wieder mit seinem schlauen Lächeln, und betrachtete Raskolnikow, wie es schien, sogar mit einer besonderen Art von Genuß. »Ich hatte Sie jetzt doch nur als guten Bekannten zu einem Besuche aufgefordert, Väterchen, nur so ganz freundschaftlich!«

      »Ich will Ihre Freundschaft nicht, ich pfeife darauf! Hören Sie? Sehen Sie her: ich nehme meine Mütze und gehe weg. Nun, was werden Sie jetzt dazu sagen, wenn Sie wirklich die Absicht haben, mich zu verhaften?«

      Er ergriff seine Mütze und ging zur Tür.

      »Ich habe eine kleine Überraschung für Sie; wollen Sie die nicht noch sehen?« kicherte Porfirij, faßte ihn wieder etwas oberhalb des Ellbogens an und hielt ihn an der Tür zurück.

      Er wurde augenscheinlich immer heiterer und lustiger, worüber Raskolnikow ganz außer sich kam.

      »Was für eine kleine Überraschung? Was wollen Sie damit sagen?« fragte er, blieb plötzlich stehen und blickte Porfirij erschreckt an.

      »Die Überraschung ist hier zur Stelle; ich habe sie da hinter der Tür sitzen, he-he-he!« Er wies mit dem Finger auf die geschlossene Tür in dem Bretterverschlag, die nach seiner Dienstwohnung führte. »Ich habe sie sogar eingeschlossen, damit sie nicht davonläuft.«

      »Was ist es denn? Wo? Was?«

      Raskolnikow


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