Gesammelte Werke. Джек Лондон
stellte sich ruhig vor ihn hin.
»Hör zu, Charley Long. Billy hat nur dreißig Tage zu sitzen, und die dreißig Tage sind beinahe um. Kommt er heraus, so ist dein Leben nicht einen Pfifferling wert, wenn ich ihm erzähle, dass du mich belästigt hast. Hör zu! Wenn du sofort gehst und dich weghältst, werde ich ihm nichts erzählen. Das ist alles, was ich zu sagen habe.«
Der große Schmied stand finster und unentschlossen da mit einem Gesicht, das in seiner wilden Sehnsucht ganz rührend war, und seine Hände krampften sich unbewusst zusammen, als wollte er etwas packen.
»Ach, du schwaches, kleines Ding«, sagte er heftig. »Ich könnte dich mit einer Hand zerquetschen. Ich könnte, ja – ich könnte tun, was ich wollte. Ich will dir nichts tun, Saxon, das weißt du gut. Sag nur, dass du –«
»Ich habe alles gesagt, was ich in dieser Sache zu sagen habe.«
»Donnerwetter!« murmelte er in unfreiwilliger Bewunderung. »Du hast keine Angst. Nein, wahrhaftig, du hast keine Angst.«
Einige lange Minuten standen sie Angesicht zu Angesicht, ohne ein Wort zu sprechen.
»Warum hast du keine Angst?« fragte er schließlich, nachdem er in das Dunkel um sie her geblickt hatte, um zu sehen, ob sie vielleicht heimliche Bundesgenossen hätte.
»Weil ich mit einem richtigen Mann verheiratet bin«, sagte Saxon kurz. »Und jetzt geh lieber.«
Als er gegangen war, schob sie ihre Last auf die andere Schulter und ging weiter, und ihr Herz wurde von einem stillen Stolz auf Billy durchbebt. Selbst hinter den Gefängnismauern konnte er sie immer noch mit seiner Kraft beschirmen. Sein Name allein genügte, um einen brutalen Burschen wie Charley Long zu verjagen.
An dem Tage, als Otto Frank gehängt wurde, blieb sie im Hause. Die Abendzeitungen schrieben über die Hinrichtung. Es war keine Rede von Aufschub gewesen. In Sacramento wohnte der Generaldirektor einer Eisenbahn, der Aufschub oder sogar Freispruch für Leute erwirken konnte, die Banken geplündert oder Bestechung angenommen hatten, der es aber nicht wagte, einen Finger für einen Arbeiter zu rühren.
Am nächsten Tage ging Saxon über den Rock Wall, und neben ihr wanderte das Gespenst Otto Franks. Aber in seiner Gesellschaft war ein anderes, noch undeutlicheres Gespenst, in dem sie Billy erkannte. War es denn der Wille des Schicksals, dass er sein Leben ebenso unheimlich wie Frank beschließen sollte? Das tat er sicher, wenn all dies Blutvergießen und dieser Kampf andauerte. Er war eine Kampfnatur. Er fühlte, dass er für das Rechte kämpfte. Man kam so leicht dazu, einen Mann zu töten. Wenn man auch nicht die Absicht hatte, es zu tun, so konnte einem Streikbrecher, wenn man ihn verprügelte, der Kopf auf dem zementierten Bürgersteig oder an einer Steinkante zerschlagen. Und dann würde Billy gehängt werden. Deshalb war Otto Frank gehängt worden. Er hatte nicht die Absicht gehabt, Henderson zu töten. Es war der reine Zufall, dass Henderson der Kopf zerschlagen worden war. Und doch hatte man Otto Frank deshalb gehängt.
Sie rang die Hände und weinte laut, während sie zwischen den windumwehten Felsen dahinwankte. Die Stunden vergingen, ohne dass sie etwas von sich oder ihrem Kummer wusste. Als das Bewusstsein wiederkehrte, befand sie sich am äußersten Ende des Deiches, wo er, zwischen Oakland und der Alameda-Mole, ins Wasser hinausging. Aber sie konnte keinen Deich sehen. Es war bald Vollmond, und das Wasser, das ungewöhnlich hoch stand, strömte über die Klippen herein. Sie stand bis zu den Knien im Wasser, und rings um sie her schwammen Dutzende großer Wasserratten, die pfeifend und winselnd miteinander kämpften, um, außer Reichweite des Wassers, zu ihr heraufzuklettern. Sie schrie laut vor Angst und Schrecken und trat nach ihnen. Einige tauchten und schwammen unter Wasser fort; andere schwammen weiter in angemessener Entfernung um sie herum, und eine große Ratte hieb die Zähne in ihren Schuh. Sie zertrat sie mit dem freien Fuß. Obwohl sie immer noch heftig zitterte, war sie jetzt doch imstande, ruhig zu überlegen. Sie watete zu einem festen Stück Treibholz hinaus, das einige Fuß entfernt schwamm, und schaffte sich damit bald Platz.
Ein grinsender kleiner Junge in einer kleinen Jolle, die in schimmernden Farben gestrichen und mit einem Halbdeck versehen war, segelte dicht an den Deich heran und ließ die Schot nach.
»Wollen Sie an Bord kommen?« rief er.
»Ja«, antwortete sie. »Hier gibt es so viele große Ratten. Ich habe Angst vor ihnen.«
Er nickte, lief dicht an die Küste und gab die Schot lose, sodass die Segel killten und die Strömung das Boot zu ihr trieb.
»Schieben Sie den Bug hinaus!« kommandierte er. »So. Ich möchte nicht gern das Schwert abbrechen – und jetzt springen Sie ins Heck, hier neben mich, schnell.«
Sie gehorchte und sprang gewandt ins Heck des Bootes. Der Junge hielt das Ruder mit dem Ellbogen fest, holte die Schot an, und als das Segel sich füllte, flog das Boot über die gekräuselten Wellen dahin.
»Sie verstehen wohl was vom Segeln?« sagte der Junge bewundernd.
Es war ein schlanker, feingebauter Knabe von zwölf oder dreizehn Jahren, und er sah gesund und frisch aus mit seinem sonnenverbrannten, sommersprossigen Gesicht und einem Paar großer grauer Augen, die klar und träumerisch waren. Trotz dem hübschen Boot war Saxon sich gleich klar, dass er ein Kind ihrer Klasse war.
»Es ist das erstemal, dass ich in einem Boot bin, außer in einer Fähre«, lachte sie.
Er sah sie forschend an.
»Nun ja, Sie sind wie ein Fisch im Wasser, das ist alles, was ich sagen kann. Wo soll ich Sie absetzen?«
»Wo du willst.«
Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen, sah sie wieder mit einem langen, forschenden Blick an, bedachte sich einen Augenblick und fragte dann plötzlich:
»Haben Sie Zeit?«
Sie nickte.
»Den ganzen Tag?«
Sie nickte wieder.
»Wissen Sie was – ich fahre mit der Ebbe nach der Ziegeninsel, um Dorsche zu fangen, und komme abends wieder, wenn die Flut kommt. Ich habe massenhaft Angelleinen und Köder. Wollen Sie mitkommen? Wir können beide fischen! Was Sie fangen, können Sie selbst behalten.«
Saxon bedachte sich. Etwas von der Freiheit und Beweglichkeit des kleinen Bootes sprach sie an. Wie die Schiffe, die sie beneidet hatte, steuerte sie hinaus.
»Also gut«, erklärte sie. »Aber vergiss nicht, dass ich nichts von Segeln verstehe.«
»Ach, es wird schon gehen. – Aber jetzt muss ich wenden. Wenn ich sage: Ree!, dann ducken Sie den Kopf, dass der Baum Sie nicht trifft, und rücken nach der anderen