Gesammelte Werke. Джек Лондон

Gesammelte Werke - Джек Лондон


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war im­mer noch wirk­lich und le­ben­dig. Das war das Un­glück. So sehr sie sich auch an­streng­te, konn­te sie doch nicht die klaf­fen­de Lee­re aus­fül­len, die der Um­stand, dass es nicht leb­te, in ih­rem Da­sein ge­schaf­fen hat­te. Zu­wei­len war es fast wie eine Hal­lu­zi­na­ti­on, so wirk­lich er­schi­en ihr al­les. Ir­gend­wo muss­te sie es im­mer su­chen. Zu­wei­len konn­te sie sich da­bei er­tap­pen, wie sie mit an­ge­spann­ten Sin­nen auf den Schrei lausch­te, den sie nie ge­hört, aber in Ge­dan­ken in den glück­li­chen Mo­na­ten vor­her tau­send­mal zu hö­ren ge­meint hat­te.

      Ei­nes Ta­ges setz­te sich in der Stra­ßen­bahn eine jun­ge Mut­ter mit ei­nem plau­dern­den Kind­chen auf dem Schoß ne­ben sie. Und sie sag­te zu ihr:

      »Ich hat­te ein­mal ein klei­nes Kind. Es starb.«

      Die jun­ge Mut­ter sah sie er­schro­cken an und press­te ihr Kind an sich, in Ei­fer­sucht oder viel­leicht in Angst; dann aber wur­de ihr Herz ge­rührt und sie sag­te:

      »Sie Ärms­te.«

      »Ja«, nick­te Sa­xon. »Es starb.«

      Ihr tra­ten Trä­nen in die Au­gen, aber ihr war, als hät­te es ihr ei­ni­ge Lin­de­rung ver­schafft, von ih­rem Kum­mer zu spre­chen. Und den gan­zen Tag muss­te sie mit ei­nem fast über­wäl­ti­gen­den Drang kämp­fen, je­der­mann von ih­rem Kum­mer zu er­zäh­len – dem Kas­sie­rer in der Bank, dem ält­li­chen In­spek­tor von Sa­lin­ger, der blin­den Frau, die Har­mo­ni­ka spiel­te und von ei­nem klei­nen Kna­ben an der Hand ge­führt wur­de, kurz al­len, au­ßer Schutz­leu­ten. Schutz­leu­te wa­ren in ih­ren Au­gen neue und schreck­li­che Ge­schöp­fe. Sie hat­te ge­se­hen, wie sie die Strei­ken­den eben­so un­barm­her­zig nie­der­schlu­gen, wie die Strei­ken­den die Streik­bre­cher nie­der­ge­schla­gen hat­ten. Und im Ge­gen­satz zu den Strei­ken­den war es der Be­ruf der Po­li­zei, tot­zu­schla­gen. Sie kämpf­ten nicht, um Ar­beit zu be­kom­men. Sie ta­ten es, weil es ihre Ar­beit war. Sie hät­ten die Strei­ken­den an je­nem Tage an der Ecke zwi­schen ih­rer Trep­pe und dem Hau­se fest­neh­men kön­nen. Aber das hat­ten sie nicht ge­tan. Je­des Mal, wenn sie in die Nähe von Schutz­leu­ten kam, drück­te sie sich un­will­kür­lich an die Häu­ser, umso weit wie mög­lich von ih­nen fort­zu­kom­men.

      An der Ecke der Ach­ten Stra­ße und des Broad­ways, wo sie auf die Stra­ßen­bahn war­te­te, die sie heim­brin­gen soll­te, stand ein Schutz­mann, der sie kann­te und grüß­te. Sie wur­de lei­chen­blass, und ihr Herz klopf­te, dass es schmerz­te. Es war nur Ned Her­man­mann, di­cker, brei­ter im Ge­sicht und ge­müt­li­cher als je. Er hat­te gan­ze drei Jah­re mit ihr auf ei­ner Schul­bank ge­ses­sen. Spä­ter war Ned Her­man­mann Schutz­mann ge­wor­den und hat­te Lena High­land ge­hei­ra­tet, und Sa­xon hat­te ge­hört, dass sie fünf Kin­der hät­ten.

      Er war also Schutz­mann ge­wor­den, und Bil­ly be­fand sich jetzt un­ter den Strei­ken­den. Und war es nicht denk­bar, dass Ned Her­man­mann ei­nes Ta­ges mit Knüp­pel und Re­vol­ver auf Bil­ly los­ging, wie die an­de­ren Po­li­zis­ten auf die Strei­ken­den in ih­rem Vor­der­gar­ten los­ge­gan­gen wa­ren?

      »Was gibt es, Sa­xon?« frag­te er. »Bist du krank?«

      Sie nick­te mit ei­nem wür­gen­den Ge­fühl in der Keh­le, ohne ein Wort her­vor­brin­gen zu kön­nen, und ging auf die Stra­ßen­bahn zu, die jetzt ge­ra­de hielt.

      »Darf ich dir hel­fen?« er­bot er sich.

      Sie schau­der­te bei der Berüh­rung sei­ner Hand zu­rück.

      »Nein, es ist nichts«, sag­te sie has­tig und schöpf­te Atem. »Ich fah­re nicht mit der Stra­ßen­bahn. Ich habe noch et­was ver­ges­sen.«

      Schwind­lig bog sie von dem Broad­way in die Neun­te ein. Zwei Stra­ßen wei­ter bog sie in die Clay Street ein und kam wie­der in die Ach­te, wo sie auf die nächs­te Stra­ßen­bahn war­te­te.

      *

      Die Som­mer­mo­na­te ver­gin­gen, und die Lage auf dem In­dus­trie­markt ver­schlim­mer­te sich im­mer mehr. Es war, als hät­te sich das Ka­pi­tal des gan­zen Lan­des die­se Stadt er­wählt, um sei­nen Kampf ge­gen die Ar­bei­ter­or­ga­ni­sa­tio­nen aus­zu­fech­ten. Vie­le Leu­te in Oa­k­land wa­ren we­gen Streiks oder Auss­per­rung ar­beits­los, und vie­le konn­ten nicht ar­bei­ten, weil sie ir­gend­wie von den Strei­ken­den ab­hän­gig wa­ren, und des­halb war es sehr schwer, Ge­le­gen­heits­ar­beit zu fin­den. Bil­ly ver­dien­te hin und wie­der einen Ta­ge­lohn, aber es ge­nüg­te nicht, ihre Aus­ga­ben zu de­cken, trotz dem klei­nen Be­tra­ge, den sie an­fangs wö­chent­lich aus der Streik­kas­se er­hiel­ten, und trotz der Spar­sam­keit, die er so­wohl wie Sa­xon üb­ten.

      Das Es­sen, das sie ihm jetzt vor­setz­te, war sehr un­gleich dem im ers­ten Jah­re ih­rer Ehe. Nicht nur war al­les von schlech­te­rer Qua­li­tät, vie­le Din­ge wa­ren über­haupt ver­schwun­den. Fleisch, selbst das bil­ligs­te, kam sel­ten auf ih­ren Tisch. Frisch­ge­mol­ke­ne Milch war kon­den­sier­ter ge­wi­chen. Wenn sie über­haupt But­ter hat­ten, so muss­te ein hal­b­es Pfund fünf- bis sechs­mal so­lan­ge rei­chen als frü­her. Hat­te Bil­ly frü­her drei Tas­sen Kaf­fee zum Früh­stück ge­trun­ken, so trank er jetzt nur eine. Sa­xon brauch­te zum Ko­chen die­ses Kaf­fees un­ver­hält­nis­mä­ßig lan­ge Zeit, und sie be­zahl­te zwan­zig Cent für das Pfund. Das gan­ze Vier­tel war wie ge­lähmt von den schwe­ren Zei­ten. Fa­mi­li­en, die nicht di­rekt von den Streiks be­rührt wur­den, lit­ten doch un­ter die­ser Wir­kung, oder weil in ir­gend­ei­nem Be­ruf, von dem sie ab­hän­gig wa­ren, kei­ne Ar­beit mehr zu ha­ben war. Vie­le un­ver­hei­ra­te­te Män­ner, die bei ver­schie­de­nen Fa­mi­li­en ge­wohnt hat­ten, wa­ren jetzt in alle Win­de ver­streut, so­dass die Mie­te sich für je­den ein­zel­nen er­höh­te.

      »Gott!« sag­te der Schlach­ter zu Sa­xon. »Wir von der Ar­bei­ter­klas­se lei­den alle. Vi­el­leicht gehe ich plei­te.«

      Als Bil­ly sich ent­schloss, sei­ne Uhr zu ver­set­zen, schlug Sa­xon ihm vor, sich Geld von Bil­ly Mur­phy zu lei­hen.

      »Da­ran habe ich auch schon ge­dacht«, ant­wor­te­te Bil­ly. »Aber es geht jetzt nicht. Er hat sich den Arm ge­bro­chen.«

      Sa­xon hat­te ihre Mor­gen­zei­tung auf­ge­ge­ben, aber Mag­gie Do­na­hues Jun­ge, der die »Tri­bu­ne« aus­trug, warf ge­wöhn­lich eine Ex­tra­zei­tung auf ihre Trep­pe. Aus den Leit­ar­ti­keln er­hielt Sa­xon den Ein­druck, dass die Ar­bei­ter­or­ga­ni­sa­tio­nen das Land zu re­gie­ren ver­such­ten und al­les in schreck­li­che Un­ord­nung brach­ten. Al­les war Schuld der Ar­bei­ter­par­tei – der herr­schen­den Ar­bei­ter­par­tei – so lau­te­ten die Leit­ar­ti­kel, Spal­te auf Spal­te und Tag auf Tag, und Sa­xon war über­zeugt, aber doch, nicht ganz. Das Le­ben war so ver­wi­ckelt und das Rät­sel, das die so­zia­len Ver­hält­nis­se auf­ga­ben, an­schei­nend un­lös­bar.

      Der Fuhr­leu­te­streik, der of­fi­zi­ell von den San Fran­zis­ko­er Fuhr­leu­ten und der Ge­werk­schaft der San Fran­zis­ko­er Ha­fen­ar­bei­ter un­ter­stützt wur­de, schi­en sich in die Län­ge zie­hen zu wol­len, ob er nun durch­ge­führt wur­de oder nicht. Die Ge­schirr­pas­ser und Stall­knech­te von Oa­k­land hat­ten bis auf we­ni­ge Aus­nah­men ge­mein­sa­me Sa­che mit den Fuhr­leu­ten ge­macht. Die Fuhr­her­ren konn­ten ih­ren Ver­pflich­tun­gen nicht zur Hälf­te nach­kom­men, aber der Ar­beit­ge­ber­ver­band half ih­nen. In Wirk­lich­keit stand


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