Der Fuß weiß alles. Markus Scheer
ihm bei der Arbeit über die Schulter geschaut und ihm Streiche gespielt, indem ich etwa mit Weizenkleber Holznägel auf seinen Stuhl geklebt habe. Immer wieder habe ich für ein bisschen Taschengeld diverse einfache Arbeiten verrichten und später sogar assistieren dürfen. Mit der Zeit habe ich ein ziemlich großes Interesse für das Schuhhandwerk entwickelt. So ist in mir Stück für Stück die Leidenschaft des Schuhmachens erwacht.
Das Meiste habe ich von meinem Großvater Carl Ferdinand gelernt. Er war ein strenger Lehrer. Und ich muss gestehen, dass mir das Hineinwachsen in den Beruf nicht immer nur Spaß gemacht hat. An manchen Tagen saß er, während ich an einem Schuh arbeitete, am Schreibtisch und tat so, als würde er Zeitung lesen. Tatsächlich hat er mich durch ein kleines Loch in der Zeitung beobachtet, ob ich alles richtig mache. Er hatte eine eigenartige Art, mir seine Zuneigung zu zeigen.
Und ich erinnere mich noch, als ob es gestern gewesen wäre, an das Glühbirnenspiel im ersten Stock. 15 Jahre lang habe ich im großen Kristallluster die 15-Watt-Glühbirnen nach und nach gegen etwas stärkere 25-Watt-Birnen ausgetauscht, damit wir besser sehen konnten und die Arbeit leichter vonstatten ging. Und 15 Jahre lang hat mein Großvater die 25-Watt-Birnen rausgeschraubt und wieder die alten reingedreht, um ja nicht zu viel Strom zu verbrauchen.
Es war ein nonverbales Machtspiel. Ich denke, das kennzeichnet die schwierige Beziehung zu meinem Großvater ganz gut. Regelmäßig sind wir kollidiert, regelmäßig ist der Generationenkonflikt zwischen uns aufgerissen wie ein breiter Graben. Ich erlebe es oft bei Handwerkern, bei hochwertig ausgebildeten Fachkräften, deren Arbeit etwas Besonderes, ja in gewisser Weise etwas Kunstvolles ist, dass sie sich sehr schwer dabei tun loszulassen, sich zurückzuziehen und ihr Wissen und ihre Erfahrungen weiterzugeben. Viele Handwerker beißen sich fest und verteidigen ihr Werk bis zum letzten Atemzug. Das ist einerseits nachvollziehbar, andererseits aber auch schade, denn genau damit laufen sie Gefahr, dass die Tradition womöglich abreißt und das Handwerk eines Tages ausstirbt. Ich denke, mein Großvater und ich haben die Kurve gut gekratzt. Ich bin sehr froh darüber, dass vor seinem Tod noch eine Versöhnung stattgefunden hat.
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