Leni Behrendt Staffel 6 – Liebesroman. Leni Behrendt
»Ich habe doch einen Bruder, der so lieb für mich sorgt.«
»Ist ja schon gut«, streichelte er zärtlich die weiche Wange. »Ich bin genauso froh, dich zu haben, mein kleiner Zeisig. Du hast mir in der schweren Zeit sehr geholfen.«
»Wirklich, Winrich? Das macht mich aber stolz. Ich bin doch nur ein dummes Ding.«
»Hört, hört!« schmunzelte der Tierarzt, der das Backfischchen doch gar zu gern neckte. »Da möchte ich fast den abgegriffenen Ausspruch von der Selbsterkenntnis anwenden.«
»Wenn dir nichts anderes einfällt, dann bitte sehr«, tat sie nonchalant ab. »Ich würde Winrich raten, sich einen andern Intimus anzuschaffen, da sein jetziger schon ziemlich abgegriffen ist.«
Da mußte selbst der ernste Bruder lachen, der bisher dem Gespräch sowie dem Geplänkel schweigend gefolgt war. Jetzt nahm er das Schwesterlein bei den rosigen Öhrchen.
»Mir scheint, Kleine, wir werden keck.«
»Uwe gegenüber auch angebracht. Ich muß mich doch meiner Haut wehren. Hulda sagt, man soll sich nie zuviel gefallen lassen, dann machen die Menschen mit einem, was sie wollen.«
»Diese Hulda scheint eine bemerkenswerte Persönlichkeit zu sein«, bemerkte der Bruder lächelnd, und die Schwester nickte eifrig.
»Ist sie auch. Alles, was sie sagt, hat Hand und Fuß.«
»Aha, Barbes Spezialausdruck.«
»Apropos Barbe! Ich muß ihr gleich von meinen Freundinnen ausführlich erzählen.«
Sie wippte ab, und Uwe sah forschend zu dem Freund hinüber, dessen Gesicht so hart und blaß war. Von der Nase bis zu den Mundwinkeln zogen sich tiefe Falten, die den Mann älter erscheinen ließen, als seine dreißig Jahre bedingten.
Die beiden Männer waren schon als Kinder unzertrennlich gewesen. Denn der Vater Uwe Gunders hatte als Pfarrer im Dorf amtiert, dessen Pfarrei unter dem Patronat des Baron von Swidbörn stand. Da nun Gunder seinem Sohn in den ersten Schuljahren Unterricht erteilte, bat ihn der Freiherr, es auch bei seinem Sohn zu tun, da die Knaben gleichaltrig waren.
Später kamen sie dann mit dem erforderlichen Wissen bestens ausgerüstet auf ein Gymnasium, wo sie das Abitur glänzend bestanden und danach studierten. Uwe wurde nicht Pfarrer, wie sein Vater es gern gesehen hätte, sondern Tierarzt, und Winrich absolvierte die landwirtschaftliche Hochschule. Dann kehrten die beiden Intimusse, die sich auch während der Studienzeit nie getrennt hatten, in die Heimat zurück, wo Winrich das Erbe seiner Väter verwaltete und Uwe nach der Approbation im Dorf die freiwerdende Tierarztpraxis übernahm. So blieben die Freunde nach wie vor unzertrennlich bis auf den heutigen Tag.
»Siehst miserabel aus«, brummte Uwe in die Stille hinein. »Pack deine Koffer, reise ab und laß man für eine Weile den lieben Gott einen guten Mann sein.«
»Aber nur, wenn du mitkommst«, entgegnete der Baron gelassen, was den andern hochgehen ließ.
»Ich, mitkommen? Ja, Menschenskind, wie denkst du dir das eigentlich. Ich kann doch unmöglich meine kranken Viecher so schnöde im Stich lassen.«
»Siehst du. Ich kann nämlich auch unmöglich das alles hier im Stich lassen. Zumal noch im Frühjahr, wo für den Landwirt die stramme Arbeit beginnt. Du weißt ganz genau, wie scharf ich auf Posten sein muß.«
»Da hast du auch wieder recht. Hm, ja, was ich noch sagen wollte – also Winrich, wenn du Geldschwierigkeiten hast, so will ich dir gern heraushelfen. Ich verdiene viel mehr, als ich bei meinem jetzt so bescheidenen Leben ausgeben kann. Außerdem waren meine Eltern nicht ganz mittellos, da mein Muttchen ein stattliches Heiratsgut mit in die Ehe bekam. Als sie ihre lieben Augen schloß, konnte sie ihrem Einzigen nett was hinterlassen. Wenn du also Geld brauchen solltest, es trifft ja keinen Armen.«
»Danke«, entgegnete der Freund einfach. »Ohne weiteres nehme ich deine Hilfe an, wenn es erforderlich sein sollte. Ich hoffe jedoch, daß ich auch ohne sie auskommen werde. Ich konnte in diesem Quartal glatt meinen Verpflichtungen gerecht werden, obgleich Olas Krankheit mir sehr teuer zu stehen kam.«
»Sei froh, daß du sie los bist«, knurrte der sonst so warmherzige Uwe. »Oder geht dir ihr Tod etwa nahe?«
»Ich würde heucheln, wollte ich diese Frage bejahen. Ich hätte mich jedoch lieber von einer gesunden Frau durch Scheidung getrennt. Dazu wäre ihr Tod wirklich nicht nötig gewesen.«
»Den sie selbst verschuldet hat«, blieb der Freund ungerührt. »Soviel ich weiß, hast du sie oft genug vor der verrückten Autoraserei gewarnt.«
»Daher brauche ich mir jetzt keinen Vorwurf zu machen. Ihr Schicksal hat sich erfüllt, dagegen ist der Mensch machtlos. Wer weiß, was es für uns noch alles in Bereitschaft hält.«
»Ja, das kann man nie wissen. Aber ich meine, daß wir beide durch unsere miserablen Ehen schon manches abgebüßt haben, da dürfte das liebe Geschick uns nicht mehr ganz so ungnädig sein. Nun gehab dich wohl, die Pflicht ruft. Mach’s gut, mein alter Kampf- und Streitgenosse. Bleib sitzen, brauchst mir nicht das Geleit zu geben. Ich bin ja hier zu Hause.«
Als er im Wagen Platz genommen hatte, kam Barbe durch die Anlagen, die das Schloß von dem riesigen Wirtschaftshof trennten. Ein zierliches Persönchen mit glattem Scheitel und freundlichem Gesicht. Eigentlich sah sie harmlos aus, aber es war nicht ratsam, die Harmlosigkeit durch ein Vergehen auf die Probe zu stellen. Der bekam ihr strenges Regiment, das sie im Schloß führte, empfindlich zu spüren. Wer seine Pflicht tat, der hatte es gut. Wer sie vernachlässigte, hatte keine Nachsicht zu erwarten.
Als die den Tierarzt bemerkte, strahlte sie über das ganze Gesicht und ging eilig auf das Auto zu. Natürlich zählte sie ihn ganz zur Familie, der schon als Knabe im Schloß ein und aus gegangen war.
»Jetzt ist endlich alles überstanden, Barbe«, sagte er leise. »War’s in der letzten Zeit sehr arg?«
»Es war immer arg«, verschwand das Lachen und machte einem verbissenen Ausdruck Platz. »Wie der Teufel den Herrn Baron und das Baroneßchen gepeinigt hat, das war nicht mehr menschenmöglich. Jetzt ist sie tot, und wir haben endlich Ruhe vor ihr. Sie werden doch oft nach meinem Herrn sehen, Herr Doktor?«
»Ehrensache, Barbe. Wo steckt übrigens Oda?«
»Sie ist nach unten gelaufen, wo man sich so liebreich ihrer annahm, als sich keiner um sie hier kümmern konnte. Mag das Kind da fröhlich sein; denn bei uns gibt es vorläufig noch nichts zu lachen. Und ich weiß nicht, ob es das hier überhaupt noch jemals geben wird.«
»Dafür laß nur den lieben Gott und den Uwe sorgen«, sagte er zuversichtlich, nickte ihr herzlich zu und fuhr ab. Den breiten Kiesweg entlang, durch das breite, schmiedeeiserne Tor, durch die Allee auf die Asphaltchaussee. Dort bog er rechts ab, fuhr eine kurze Strecke geradeaus und nahm dann vorsichtig die Kurve, die wieder rechtsab auf eine gutgehaltene Kiesstraße führte. Ein großes Schild machte darauf aufmerksam, daß es ein Privatweg wäre, der nur von Anliegern benutzt werden durfte. Er führte zum Ausgang des Dorfes und man ersparte auf ihm mindestens vier Kilometer.
Das Schloß war auf einem Plateau erbaut. Die Vorderfront lag zur ebenen Erde und war durch Anlagen von dem Gutshof getrennt, die Rückfront von einem herrlichen Park umschlossen. Wo er endete, begann sich der Boden allmählich zu senken bis hinab ins Tal. Der Abhang war mit üppigem Grün bewachsen, durch das sich ein Pfad schlängelte.
Es war ein prächtiger Bau, das Stammschloß der Reichsbarone von Swidbörn, fest gefügt, wie für die Ewigkeit erbaut. Der es tat, war der reichste Mann weit und breit gewesen. Konnte es sich daher leisten, das teuerste Material zu wählen und den berühmtesten Baumeister seiner Zeit zu beschäftigen, ebenso den besten Architekten. Die beiden Männer gaben ihr Bestes her, schufen innen wie außen Prunk und Glanz. Den Park legte der beste Gartenexperte an, also kein Wunder, daß hier wie da ein Meisterwerk entstand, das Jahrhunderte ehern überdauerte.
Auch die Nachfahren waren reich gewesen, hatten gut gelebt, ohne dabei zu verschwenden. Damit hätten erst die beiden vorletzten Swidbörn begonnen, was der Enkel und Sohn jetzt büßen