DECEMBER PARK. Ronald Malfi
also wünschte ich ihm ein fröhliches Thanksgiving und begleitete ihn hinaus auf die Veranda. Er erwiderte nichts und schien erleichtert zu sein, dass er wieder draußen war. Von den Erkerfenstern im Wohnzimmer aus sah ich ihm hinterher, wie er über den Rasen nach Hause ging. Er schlurfte und hatte die Schultern angezogen, sodass er aussah wie jemand, der sich seiner bloßen Existenz wegen nicht wohlfühlte.
Am Sonntag darauf, als meine Familie und ich von der Kirche zurückkamen, sichtete ich Adrians schmale, kleine Erscheinung, eingezwängt in den gleichen viel zu kleinen Parka, die Haven Street hinaufmarschieren. Er hatte seinen sperrigen Rucksack auf dem Rücken und ging mit gesenktem Kopf, als zehrte die Anstrengung so sehr an ihm.
Als unser Wagen an ihm vorüberfuhr, blickte ich ihn direkt an. Es sah aus, als suchte er etwas auf dem bräunlichen Grasstreifen, der sich am Straßenrand erstreckte. Er bemerkte mich nicht.
***
Natürlich musste ich mir über wichtigere Dinge als Adrian Gardiner Gedanken machen. In den Wochen nach meinem Zusammenstoß mit Keener und seiner Gang in der Teufelsnacht hatte ich zu den seltsamsten Tageszeiten und manchmal auch am frühen Abend seinen Wagen durch mein Viertel kreuzen sehen. Es bestand nur wenig Zweifel daran, dass er mich suchte.
Für den Rest des Monats konnte man Keener mit einer Handvoll seiner Freunde jeden Tag beim Generous Superstore antreffen, wo sie die Obszönitäten, die sie an die Wände gesprüht hatten, mit weißer Farbe übertünchten. Ich sah sie dort, als meine Freunde und ich von der Schule nach Hause gingen, und wir gaben sorgsam acht, nicht von ihnen entdeckt zu werden. Einmal konnte ich auch Carl Nance unter ihnen ausmachen. Er saß auf der Motorhaube seines Aries K, trug eine Beinschiene und balancierte ein Paar Krücken auf seinem Schoß – was mir eine unglaubliche, finstere Genugtuung verschaffte.
Ich musste vorsichtig sein und erwartete hinter jeder Ecke einen Hinterhalt. Wie ein entflohener Sträfling bewegte ich mich immer in den Schatten, hielt mich im Verborgenen.
Eines Samstagnachmittags, als ich mir im Toddy Surplus ein paar Taschenmesser in einer Auslage ansah, erblickte ich Keener, Denny Sallis und Kenneth Ottawa, wie sie an den Fenstern der Vorderseite des Geschäfts vorbeigingen. Ich betete, dass sie nicht hereinkämen. Sie blieben genau vor dem Laden stehen und zündeten sich Zigaretten an. Es herrschte leichter Schneefall und der Himmel jenseits des Parkplatzes war grau und bedrohlich wolkenverhangen.
Ohne die Fenster aus den Augen zu lassen, trat ich einen Schritt seitwärts zu einem Regal mit Jagdausrüstung. Als sie ihre Zigarettenkippen auf den Gehweg schnippten und das Geschäft betraten, fühlte ich einen gehörigen Hitzeschwall aus meiner Jacke aufsteigen. Unauffällig zog ich mich in den hinteren Bereich des Ladens zurück, als Mr. Toddy, der Geschäftsinhaber mit einem Gesicht voller Aknenarben, von der Ladentheke aufsah und sich räusperte.
»Kann ich euch irgendwie behilflich sein?«, fragte er Keener und seine Kumpels.
»Sehn uns nur ein wenig um«, erwiderte Ottawa, der gemächlich an einem Drahtständer voll Postkarten, Motivmagneten und Kreuzworträtselheften herumdrehte. Er trug eine Armeejacke voller Fettflecken und verwaschene Jeans. Seine Militärstiefel hinterließen nasse Fußspuren auf dem Linoleumboden.
Ich schlüpfte in einen Gang und versteckte mich zwischen zwei Regalen mit alten Jagdjacken. Vorne im Laden amüsierten sich Kenner und Sallis über etwas neben einer Vitrine mit Elektronikartikeln. Wie ein rastloser Bär strich Ottawa weiter durch das Geschäft, nahm dabei hier und da geistesabwesend Artikel aus den Regalen und legte sie kurz darauf wieder zurück.
Als Ottawa auf der anderen Seite des Gangs stehenblieb, in dem ich mich versteckte, blickte ich hinauf zum Überwachungsspiegel über der Ladentür und sah, dass Keener und Sallis mit den Rücken zur Tür über ein paar Auslagen gebeugt waren. Wenn Ottawa in meinen Gang herüberkäme, würde ich in die entgegengesetzte Richtung und zur Tür laufen. Mit viel Glück würde ich es hinausschaffen, bevor Ottawa die anderen beiden alarmieren konnte.
Aber Ottawa schlenderte zu seinen Freunden zurück. Seine Stiefel hinterließen immer noch nasse Spuren. Die Drei unterhielten sich leise und einer von ihnen – ich glaube, es war Sallis – gab ein kicherndes Lachen wie eine Hyäne von sich.
»Seid ihr Burschen auf der Suche nach etwas Bestimmtem?«, meldete sich Mr. Toddy erneut.
Zwar konnte ich ihn von meinem Standort aus nicht sehen, doch konnte ich einen Anflug von Besorgnis in seiner Stimme ausmachen.
»Nö«, antwortete Keener. Er steckte die Hände in die Taschen. »Lasst uns abhauen.«
Sie verließen den Laden. Bevor die Tür hinter ihnen ins Schloss fiel, hörte ich noch, wie einer von ihnen Mr. Toddy mit einer grellen Papageienstimme nachäffte: »Seid ihr Burschen auf der Suche nach etwas Bestimmtem?« Darauf folgte kehliges Gelächter.
Ich verfolgte, wie sie den Parkplatz überquerten und dann den Gehsteig in Richtung Highway entlanggingen. Es schneite jetzt stärker und ich verlor sie bald zwischen der Menschenmenge, die für die Feiertage einkaufte, aus dem Blickfeld.
»Sind die Jungs Freunde von dir?«, fragte Mr. Toddy, als ich hinter dem Regal mit den Jagdjacken wieder hervorkam.
»Nein, Sir.«
»Ich will nicht, dass sie hier hereinkommen. Richte ihnen das von mir aus.«
»Das sind nicht meine Freunde.«
»Wenn die wiederkommen, rufe ich die Polizei.«
Ich nickte, dann eilte ich aus dem Laden.
***
Am Weihnachtsabend feierten wir das Festa dei sette pesci, oder Fest der Sieben Fische. Das ganze Haus roch intensiv nach Wellhornschnecken und gebratenem Kabeljau, während meine Großmutter in der Küchenspüle Aale schlachtete. Mein Dad und mein Großvater saßen gemeinsam im Wohnzimmer und tranken Chianti, während Dean Martin und Perry Como abwechselnd Weihnachtsklassiker auf dem alten Plattenspieler meines Vaters trällerten.
Ich verpasste dem Weihnachtsbaum noch den letzten Schliff und betrachtete den Schnee, der an den Erkerfenstern vorbeitanzte. In Adrians Haus nebenan war es stockfinster. Ich fragte mich, ob er und seine Mutter über die Feiertage wohl zurück nach Chicago gereist waren.
Am darauffolgenden Morgen jedoch, als meine Familie und ich in das Auto meines Vaters stiegen, um zur Weihnachtsmesse zu fahren, bemerkte ich Adrian auf der Treppe vor seinem Haus sitzen. Er trug einen recht dünn aussehenden Pyjama und blaue Plüschpantoffeln.
Meine Großmutter meinte, dass sich der Junge noch eine Lungenentzündung holen würde, wenn er so angezogen dort draußen saß und ob seine Mutter denn überhaupt nicht aufpasste? Ich dachte an Doreen Gardiners medikamentenbetäubten, starren Blick und zombiegleiche Gangart und kam zu dem Schluss, dass Aufpassen wahrscheinlich jenseits ihrer Fähigkeiten lag.
Am Abend hatten wir zum Weihnachtsessen die Mathersons zu Besuch. Sie waren ein kinderloses Ehepaar mittleren Alters, einfache und herzensgute Leute. Mr. Matherson erzählte die Geschichte, wie sich einmal ein Rehbock in seiner Außenweihnachtsbeleuchtung verfangen hatte und wie er, mein Vater und Charles das Reh die Straße rauf und runter gejagt hatten, um es von den Kabeln befreien zu können. Mich hatten sie mit einem Besen auf dem Rasen unseres Vorgartens Stellung nehmen lassen; mein Dad hatte mich instruiert, dem Bock eins mit dem Besenstiel überzuziehen, falls er zu nahe kommen sollte. Mr. Matherson gab die Geschichte jedes Weihnachten zum Besten, als ob wir sie noch nie gehört hätten, geschweige denn dabei gewesen wären, als es sich zutrug.
»Schließlich«, lächelte Mr. Matherson reumütig, wenn nicht sogar leicht angetrunken, »floh das Ding in den Wald und schleifte eine ungefähr dreißig Meter lange Kette aus bunten Lichtern hinter sich her. Wahrscheinlich ist der Bock immer noch da draußen und sein Geweih mit den Lichtern umwickelt.«
Als der Kaffee serviert wurde, bugsierte mich meine Großmutter in die Küche und drückte mir einen Porzellanteller in die Hand. Er war voll mit Struffoli – kleinen Teigkügelchen, die mit Honig glasiert und bunten Zuckerkügelchen bestreut waren.
»Geh doch rüber und wünsche den neuen Nachbarn ein