Ausgewählte Werke von Selma Lagerlöf. Selma Lagerlöf

Ausgewählte Werke von Selma Lagerlöf - Selma Lagerlöf


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um so größer wurden die Seen und um so reicher wurden sie an Inseln und Werdern. Und am Ufer eines Sees stand der Wildenterich und machte der Wildente Komplimente: »Ich will dir mein ganzes Leben treu sein! Ich will dir mein ganzes Leben treu sein!« sagte der Enterich. »Währt nicht, bis der Sommer zu Ende ist!« rief der Junge, der vorüberflog. – »Was für einer bist denn du?« rief der Enterich. – »Ich heiße Krähengestohlen,« schrie der Junge.

      Zur Mittagszeit ließen sich die Krähen auf einer Wiese nieder. Sie flogen umher und suchten sich Futter, keine von ihnen dachte aber daran, dem Jungen etwas zu geben. Da kam Fumle-Drumle mit einem wilden Rosenzweig, an dem einige Hagebutten saßen, zum Häuptling geflogen. »Hier ist etwas für dich, Wind-Eile,« sagte er. »Das ist ein köstliches Essen, das dir gut tun wird.« Wind-Eile schnob verächtlich. »Glaubst du, daß ich alte, trockene Hagebutten esse?« sagte er. – »Und ich hatte geglaubt, du würdest dich so darüber freuen!« sagte Fumle-Drumle und warf den Hagebuttenzweig weg wie im Ärger. Aber er fiel gerade vor die Füße des Jungen, und der war nicht faul, er fing ihn auf und aß sich satt daran.

      Als die Krähen gegessen hatten, begannen sie miteinander zu plaudern. »Woran denkst du, Wind-Eile? Du bist heute so still,« sagte eine von ihnen zum Anführer. – »Ach, ich denke daran, daß hier in der Gegend einstmals ein Huhn war, das seine Herrin so sehr liebte, und um ihr ein rechtes Vergnügen zu machen, ging es hin und legte ein Nest voll Eier und versteckte sie unter dem Fußboden des Stalles. Während der ganzen Zeit, daß die Glucke brütete, lag sie da und freute sich bei dem Gedanken, wie froh ihre Herrin über alle die Küchlein sein würde. Die Frau konnte gar nicht begreifen, wo das Huhn die ganze Zeit nur sein mochte. Sie suchte nach ihm, konnte es aber nicht finden. Kannst du raten, Langschnabel, wer das Huhn und die Eier fand?«

      »Es ist nicht unmöglich, daß ich es erraten kann, Wind-Eile, aber wenn du es erzählst, will ich auch etwas erzählen. Erinnert ihr euch noch der großen, schwarzen Katze im Hinneryder Pfarrhaus? Sie war böse auf die Familie, weil sie ihr immer die neugeborenen Kätzchen wegnahmen und sie ertränkten. Nur ein einziges Mal gelang es ihr, sie zu verstecken, nämlich als sie sie in eine Strohmiete draußen auf dem Felde gelegt hatte. Sie war so glücklich über ihre Kätzchen, aber ich glaube, ich bekam mehr Freude von ihnen als sie.«

      Nun wurden sie alle so eifrig, daß sie bunt durcheinander schwatzten. »Soll das eine Kunst sein, Eier und junge Kätzchen zu stehlen?« sagte eine von ihnen. »Ich habe einmal einen jungen Hasen gejagt, der beinahe ausgewachsen war. Ich mußte von einem Busch zum andern hinter ihm drein fliegen.« Weiter kam sie nicht, denn eine andere fiel ihr in die Rede: »Das mag ja ganz gut sein, Hühner und Katzen zu foppen, aber ich finde es doch noch merkwürdiger, daß eine Krähe einem Menschen Schaden zufügen kann. Ich habe einmal einen silbernen Löffel gestohlen.«

      Der Junge fand aber nachgerade, daß er doch zu gut sei, um solch ein Gewäsch mit anzuhören. »Nein, hört einmal, ihr Krähen,« sagte er, »schämen solltet ihr euch, statt alle eure dummen Streiche zu erzählen. Ich habe nun drei Wochen unter den wilden Gänsen gelebt, und von denen habe ich nichts als Gutes gehört und gesehen. Ihr müßt einen schlechten Häuptling haben, daß er euch erlaubt, so zu rauben und zu morden. Ihr solltet euch vornehmen, auf andere Weise zu leben, denn ich kann euch erzählen, die Menschen haben eure Bosheit so satt, daß sie sich mit allen Kräften bemühen, euch auszurotten. Und es wird noch ein Ende mit Schrecken nehmen.«

      Als Wind-Eile und die anderen Krähen das hörten, wurden sie so erzürnt, daß sie sich über den Jungen stürzen und ihn zerreißen wollten. Fumle-Drumle aber lachte und krächzte und stellte sich vor ihn hin. »Nein, nein, nein!« sagte er und tat so, als erschrecke er sehr. »Was meint ihr, wird Wind-Kaara sagen, wenn wir Däumling zerreißen, ehe er uns das Silbergeld geschafft hat?« – »Also du bist bange vor Weibsleuten, Fumle-Drumle?« sagte Eile, aber er und die andern lachten und ließen Däumling in Ruhe.

      Bald darauf zogen die Krähen weiter. Bisher hatte der Junge im stillen gedacht, Smaaland sei doch kein so armseliges Land, wie er immer gehört hatte. Es war freilich sehr bewaldet und voll von Bergabhängen, aber an den Flüssen und Seen entlang lagen bestellte Felder und wirkliche Einöden hatte er noch nicht angetroffen. Aber je tiefer sie ins Land hineinkamen, um so spärlicher wurden die Dörfer und Häuser. Schließlich erschien es ihm wie ein ganzes Wüstenland, über das er hinflog, wo er nichts weiter sah als Moore und Heiden und Wacholderhügel.

      Die Sonne war untergegangen, aber es war noch heller Tag, als die Krähen die große Heide erreichten. Wind-Eile sandte eine Krähe voraus, um zu melden, daß er siegreich heimkehre, und als dies verlautete, zog Wind-Kaara mit vielen Hunderten von Krähen vom Krähenhügel den Heimkehrenden entgegen. Mitten unter dem ohrenbetäubenden Krächzen, das die Krähen anstimmten, als sie sich wiedersahen, sagte Fumle-Drumle zu dem Jungen: »Du bist während der ganzen Reise so munter und fröhlich gewesen, daß ich dich gern leiden mag. Sobald wir uns niederlassen, werden sie dich bitten, eine Arbeit zu verrichten, die dir vielleicht sehr leicht erscheinen wird. Hüte dich aber, sie auszuführen!«

      Gleich darauf setzte Fumle-Drumle Niels Holgersen auf den Boden einer Sandgrube nieder. Der Junge warf sich hin und blieb liegen, als käme er um vor Müdigkeit. Es flatterten so viele Krähen um ihn herum, daß es in der Luft brauste wie ein Sturm, aber er sah nicht in die Höhe.

      »Däumling,« sagte Wind-Eile, »steh jetzt auf! Du sollst uns bei etwas behilflich sein, was sehr leicht für dich ist.«

      Aber der Junge rührte sich nicht, er tat so, als schliefe er. Da packte Wind-Eile ihn beim Arm und schleppte ihn durch den Sand zu einer Tonkruke von altmodischer Form, die mitten in der Grube stand. »Steh auf, Däumling!« sagte er, »und mach’ uns diese Kruke auf!« – »Warum wollt ihr mich nicht schlafen lassen?« sagte der Junge. »Ich bin zu müde, um es heute abend noch zu tun. Wartet doch bis morgen!«

      »Du machst sofort die Kruke auf!« befahl Wind-Eile und rüttelte ihn. Da erhob sich der Junge und musterte die Kruke. »Wie glaubt ihr nur, daß ich armes Kind eine solche Kruke öffnen kann? Die ist ja ebenso groß wie ich.« – »Mach’ sie auf!« kommandierte Wind-Eile noch einmal. »Sonst ergeht es dir schlecht.« Der Junge erhob sich, schwankte nach der Kruke, befühlte den Deckel und ließ die Arme sinken. »Ich habe sonst keine schwachen Kräfte,« sagte er. »Wenn ihr mich nur bis morgen schlafen lassen wollt, glaube ich wohl, daß ich mit dem Deckel fertig werden kann.«

      Aber Wind-Eile war ungeduldig und flog hin und zwickte den Jungen ins Bein. Das wollte sich der Junge jedoch nicht von einer Krähe gefallen lassen. Er riß sich schnell los, trat ein paar Schritte zurück, zog sein Messer aus der Scheide und hielt es ausgestreckt vor sich hin. »Nimm dich in acht!« rief er Wind-Eile zu.

      Der aber war so empört, daß er sich nicht von der Gefahr zurückschrecken ließ. Blind vor Wut stürzte er auf den Jungen los und fuhr gerade gegen das Messer, so daß es ihm durch das Auge ins Gehirn eindrang. Der Junge zog schnell das Messer zurück, Wind-Eile schlug aber nur noch mit den Flügeln, dann sank er um und war tot.

      »Wind-Eile ist tot! Der Fremde hat unsern Häuptling, Wind-Eile, getötet!« riefen die Krähen, die zunächst standen, und dann entstand ein entsetzlicher Spektakel. Einige jammerten, andere riefen nach Rache. Alle liefen oder flatterten sie auf den Jungen zu, mit Fumle-Drumle an der Spitze. Aber der tat wieder, als sei er ganz töricht. Er flatterte nur mit ausgebreiteten Flügeln über dem Jungen und hinderte die anderen, ihre Schnäbel in ihn zu bohren.

      Der Knabe hatte ein Gefühl, als befinde er sich in einer schlimmen Lage. Er konnte den Krähen nicht entkommen, und da war kein Ort, wo er sich hatte verbergen können. Aber dann fiel ihm die tönerne Kruke ein. Er zog kräftig an dem Deckel und riß ihn herunter. Dann sprang er in die Kruke hinein, um sich darin zu verstecken. Aber es war ein schlechtes Versteck, denn die Kruke war fast bis an den Rand mit dünnen Silbermünzen angefüllt. Der Junge konnte nicht tief genug hineinkommen. Da bückte er sich herab und fing an, die Silbermünzen herauszuwerfen.

      Während der ganzen Zeit hatten die Krähen ihn in einem dichten Schwärm umflattert und nach ihm gehackt, sobald er aber anfing, das Silbergeld herauszuwerfen, vergaßen sie augenblicklich ihre Rachsucht und beeilten sich, es aufzufangen. Der Junge schleuderte das Geld


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