Ausgewählte Werke von Selma Lagerlöf. Selma Lagerlöf
Das war etwas Neues für Niels, und es belustigte ihn es anzusehen, aber plötzlich wurde er von einer schrecklichen Müdigkeit befallen. »Ich muß ein wenig schlafen. Ich habe diese Nacht ja kaum ein Auge geschlossen,« dachte er, kroch in einen dichten Grasbüschel hinein, verbarg sich, so gut er konnte, unter Gras und Stroh und schlief ein. Er erwachte davon, daß er einige Menschen, die auf der Wiese saßen, sprechen hörte. Sie waren auf der Landstraße gekommen, konnten aber nicht über den Elf gesetzt werden, weil große Eisstücke stromabwärts schwammen und die Überfahrt hinderten. Während sie warteten, gingen sie auf die Wiese, setzten sich dort hin und redeten darüber, wie beschwerlich es doch mit dem Elf sei.
»Ich möchte wohl wissen, ob wir in diesem Jahr wieder eine solche Überschwemmung haben werden wie im vergangenen,« sagte ein Bauer. »Da ging der Elf daheim bei uns ganz bis an die Telephonstangen hinauf und nahm unsere ganze Floßbrücke mit fort.«
»Im vergangenen Jahr hat er in unserer Gegend keinen sonderlichen Schaden angerichtet,« sagte ein anderer, »aber das Jahr vorher nahm er mir eine ganze Scheune voll Heu weg.«
»Nie vergesse ich die Nacht, als er die große Brücke bei Domnarfvet zerstörte,« warf ein Eisenbahnarbeiter dazwischen. »In der Nacht hat niemand auf dem ganzen Werk ein Auge geschlossen.«
»Freilich richtet der Elf viel Schaden an,« sagte ein großer, stattlicher Mann, »aber wenn ich euch so schlecht von ihm reden höre, kann ich nicht umhin, an den Propst daheim zu denken. Es war ein Fest im Hause des Propstes und die Leute sahen da und beklagten sich über den Elf, genau so, wie ihr es jetzt tut, da aber wurde der Propst ganz zornig und sagte, er wolle uns eine Geschichte erzählen. Und als er geendet hatte, war da niemand, der auch nur ein böses Wort über den Dalelf hatte sagen können, und ich möchte wohl wissen, ob es euch nicht ebenso ergangen wäre, wenn ihr mit dabei gewesen wäret.«
Als die Wartenden das hörten, wollten sie alle wissen, was der Propst von dem Elf gesagt hatte, und der Bauer erzählte dann die Geschichte, so gut er sich ihrer entsinnen konnte.
»Oben an der norwegischen Grenze lag ein Bergsee. Dem entströmte ein Bach, der gleich von Anfang an trotzig und heftig war. So klein er war. wurde er doch Storaa, der große Bach, genannt, weil es so aussah, als könne etwas Tüchtiges aus ihm werden.
Gleich als er aus dem See herauskam, warf er einen Blick um sich; er wollte sehen, welche Richtung er am besten einschlagen solle; aber es war im Grunde kein ermunternder Anblick, der ihm da entgegentrat. Rechts, links und geradeaus war nichts zu sehen als waldbedeckte Bergrücken, die nach und nach in kahle Felswände übergingen und sich allmählich zu hohen Berggipfeln erhoben.
Der Storaa warf den Blick nach links. Dort hatte er den Langfjeld mit dem Djupgravstöt, Barrfröhågna und Storvätteshågna. Er sah gen Norden; dort hatte er den Näsfjeld, im Osten stand der Nipfjeld und im Süden der Städjan. Er war nahe daran zu denken, ob es nicht am klügsten sei, wieder in den See zurückzukehren. Aber dann fand er, daß er doch wenigstens einen Versuch machen müsse, den Weg zum Meer zu finden, und so machte er sich denn auf die Wanderschaft.
Es ist leicht zu verstehen, daß es ein hartes Stück Arbeit war, sich den Weg durch dies wilde Bergland zu bahnen. Lag ihm nichts weiter im Wege, so war da doch immer der Wald. Er mußte eine Fichte nach der anderen umreißen, um sich freien Lauf zu schaffen.
Am mächtigsten und stärksten war er im Frühling, wenn der erste Zufluß kam und ihn mit Schneewasser aus den Tannenwäldern speiste, und wenn dann der Zufluß aus den Bergen ihn mit Gebirgswasser füllte. Da sammelte er seine ganze Kraft und stürzte dahin, fegte Steine und Erde zur Seite und grub sich durch Sandrücken. Auch im Herbst konnte er eine tüchtige Arbeit schaffen, wenn ihn der Herbstregen gestärkt hatte.
Eines schönen Tages, als der Storaa wie gewöhnlich geschäftig dabei war, sich seinen Weg zu bahnen, hörte er plötzlich ein Bubbeln und Brausen rechts vor sich, weit weg im Walde. Er lauschte so eifrig, daß er fast stillstand. ›Was in aller Welt kann das sein?‹ fragte er sich.
Der Wald, der rings um ihn her stand, konnte sich nicht enthalten, sich ein wenig lustig über ihn zu machen. ›Du bildest dir wohl ein, daß du ganz allein auf der Welt bist,‹ sagte er. ›Aber ich kann dir erzählen, daß der, den du da brausen hörst, niemand anderes ist als der Gröfvelaa aus dem Gröfvelsee. Der hat sich gerade durch ein schönes Tal hindurchgegraben, und kommt wohl ebenso schnell wie du an das Meer.‹
Aber der Storaa hatte seinen eigenen Kopf, und als er diese Antwort erhielt, sagte er, ohne sich einen Augenblick zu besinnen: ›Der Gröfvelaa ist nur ein armseliges Ding, das sich nicht allein helfen kann. Grüße ihn von mir und sage, der Storaa aus dem Vånsee sei auf dem Wege ans Meer, ich würde mich seiner gern annehmen und ihm weiterhelfen, wenn er sich mir anschließen will.‹
›Du bist ein tüchtiger Bursche, so klein du bist,‹ sagte der Wald. ›Ich will dem Gröfvelaa gern deinen Gruß überbringen, aber ich bin nicht sicher, daß er sich darüber freuen wird!‹
Am nächsten Tage stand der Wald da und sollte von dem Gröfvelaa grüßen und sagen, er habe so schwer zu kämpfen, daß er sich freue, Hilfe zu erhalten, er werde schon kommen und sich mit dem Storaa vereinen, sobald er könne.
Nun ging es natürlich noch schneller mit dem Storaa, und es währte nicht lange, bis er sich soweit vorwärts gearbeitet hatte, daß er einen langen, schmalen, schönen See erblickte, in dem sich der Jdreberg und der Städjan widerspiegelten.
›Was ist denn das?‹ sagte er, und wieder war er nahe daran, vor Staunen still zu stehen. ›Ich habe mich doch nicht so töricht benommen, daß ich wieder nach dem Vånsee zurückgekommen bin?‹
Aber der Wald, der zu dieser Zeit überall zugegen war, antwortete sogleich: ›Nein, du bist nicht nach dem Vånsee zurückgekommen. Dies ist der Jdresee, der mit Wasser aus dem Sönderelf angefüllt ist. Das ist ein tüchtiger Elf. Er ist eben damit fertig geworden, den See zu machen, und ist nun dabei, sich einen Ablauf aus ihm zu schaffen.‹
Als der Storaa das hörte, sagte er sofort zu dem Walde: ›Du, der du überall vordringst, willst du nicht den Sönderelf grüßen und ihm sagen, der Storaa aus dem Vånsee sei gekommen. Falls er mich durch den See laufen lassen will, werde ich zum Dank den Elf mit mir an das Meer hinausnehmen. Du kannst ihm sagen, er brauche sich keine Sorge zu machen, wie er vorwärtskommen soll, das werde ich schon einrichten.‹
›Ich will deinen Vorschlag gern überbringen,‹ sagte der Wald, ›aber ich glaube nicht, daß der Sönderelf darauf eingeht, denn er ist ebenso mächtig wie du.‹
Aber am nächsten Tage konnte der Wald erzählen, daß der Sönderelf ebenfalls ermüdet sei, sich seinen Weg allein zu bahnen, und daß er bereit sei, sich mit dem Storaa zu vereinen.
Der Bach lief nun durch den See und fuhr dann fort, mit dem Wald und den Bergen zu kämpfen, so wie bisher.
Eine Weile ging alles gut, aber dann kam er in ein Gebirgstal, das war so fest verschlossen, daß er keinen Ausweg zu finden vermochte. Der Storaa lag da und schäumte vor Wut, und als der Wald hörte, wie rasend er war, sagte er: ›Nun ist es doch wohl aus mit dir!‹
›Aus mit mir?‹ sagte der Storaa. ›Nein, ich bin nur eifrig beschäftigt mit einer Großtat. Ich will versuchen, ob ich nicht ebensogut wie der Sönderelf einen See machen kann.‹
Und dann begann er, den Särnasee zu füllen, und das war die Arbeit eines ganzen Sommers. Allmählich, als das Wasser im See stieg, wurde der Storaa höher in die Höhe gehoben, und schließlich brach er sich einen Ausweg nach Süden zu.
Als er glücklich aus der Klemme herausgekommen war, hörte er eines Tages ein mächtiges Sausen und Brausen links von sich. Ein so mächtiges Brausen hatte er noch nie im Walde gehört, und er fragte gleich, was das sei.
Der Wald war wie gewöhnlich sogleich mit der Antwort beider Hand: ›Das ist der Fjätelf‹ sagte er. ›Kannst du hören, wie er braust und schäumt? Er ist auf dem Wege zum Meer hinaus.‹
›Falls du so weit reichst, daß dich der Elf hören kann,‹ sagte der Storaa, ›so grüße, bitte, den armseligen Elf und sage, der